Debatte Spekulanten: Die Staatsheuschrecken

Das Signal der EU an die Spekulanten lautet: Wir spielen mit, wenn auch gegen euch! Das ist ein Fehler. Das Spiel an sich muss beendet werden.

Die einschlägig bekannten Banken wie Goldman Sachs, JPMorgan, Deutsche Bank und viele Hedgefonds (kurz: die "Finanzalchemisten") sind seit langem groß im Geschäft mit Credit Default Swaps (CDS). Dabei garantiert eine Partei A gegen eine Prämie einer Partei B die Einbringlichkeit einer Forderung gegenüber einer Partei C. Partei B muss dafür keinesfalls selbst eine Forderung gegen C haben, sie wettet einfach, dass C pleitegeht - man schließt gewissermaßen eine Feuerversicherung auf das Haus des Nachbarn ab und kassiert die Versicherungssumme, wenn es abbrennt ("naked CDS"). Hat man einen CDS erworben, so steigt sein Wert umso mehr, je schlechter es dem Schuldner geht. Also kann man damit profitabel handeln, Unfallrisiko inkludiert.

Beispiel: Goldman Sachs kaufte CDS in Höhe von 17 Mrd. $ für Schulden seines Konkurrenten Lehman Brothers, und zwar vom größten US-Versicherungskonzern AIG. Unter dem Einfluss des damaligen US-Finanzminsters Paulson (vormals Chef von Goldman Sachs) ließ man Lehman im September 2008 "abbrennen". Am nächsten Tag wäre AIG ebenfalls in Konkurs gegangen, doch es wurde von Paulson mit öffentlichen Mitteln gerettet und Goldman bekam die 17 Mrd. $.

Mit der Lehman-Pleite begann die Phase 1 der Krise, entsprechend ihrem Motto "Panik, Furcht und Reue" versprach die Politik allerlei Regulierung. Mit dem Börsenboom ab März 2009 setzte Phase 2 ein ("Wir machen weiter wie vorher"), und nichts geschah. Also begannen sich die "Finanzalchemisten" auf Staaten zu stürzen. Nicht auf die USA - diese stehen zwar schlechter da als die Gesamtheit der EU was Budgetdefizit, Staats- und Auslandsschuld betrifft, doch sind sie ein Staat, der sich bei seiner eigenen Notenbank (günstig) finanziert.

Vielmehr stürzten sich die CDS-Trader auf die schwächsten EU-Länder (Griechenland wurde als Erstes behandelt). Bei diesen lässt sich ein Bankrott am leichtesten plausibel machen: Die Risikoprämien für CDS steigen, also auch die Zinsen der Staatsanleihen, also wird ein Bankrott plausibler, also steigen die CDS-Prämien etc. So erreichten die Zinsen "für" Griechenland rasch zweistelliges Wucherniveau.

Damit ist die Krise in Phase 3 eingetreten, es wird "Heulen und Zähneknirschen" herrschen: Der Finanzkapitalismus lässt sich nicht restaurieren, entweder dieses System geht bankrott oder das europäische Sozialmodell samt Euro. So vertieften die Spekulation gegen Griechenland und das dadurch unvermeidliche Hilfspaket die Spannungen innerhalb der EU, insbesondere zwischen dem "fleißigen" Deutschland und dem "faulen ClubMed". Das lässt wiederum die Risikoprämien steigen - mit Gewinn studieren die "Staatsheuschrecken" (SHS) allmorgendlich die Bild-Zeitung.

Manche meinen, mit der Rettung Griechenlands hätten die CDS-Käufer verloren - die "Alchemisten" sicher nicht: Denn diese handeln mit solchen Derivaten, sie halten sie aber nicht. So hat die Deutsche Bank schon 2007 mit dem ABX-Derivat darauf spekuliert, dass die Mortgage Backed Securities (MBS) (das sind die Schrottpapiere, in denen die Kredite an US-Häuslebauer gebündelt wurden) an Wert verlieren werden und gleichzeitig die MBS weiter verkauft, aber nicht gehalten: Was man für Schrott hält, davon muss man sich trennen, so profitabel das auch sein mag.

Die PolitikerInnen spüren, dass es in dieser Phase 3 ums Ganze geht, ihre Lerngeschwindigkeit war zuletzt enorm (Mainstream-Ökonomen, nehmt euch ein Beispiel!). Dennoch hecheln sie den SHS hinterher. Als diese nun mit der Behandlung von Portugal und Spanien beginnen wollten, erkannten die Politiker die Gefahr und beschlossen den Währungsfonds in Höhe von 750 Mrd. Euro. Damit senden sie den SHS das Signal: Wir lassen uns den Euro nicht ruinieren und halten gegen! Und zwar durch Käufe von Staatsanleihen der SHS-Opfer. Das implizite Signal lautet: Wir spielen mit, wenn auch gegen euch! Das ist ein Fehler. Dieses Spiel muss beendet werden, und zwar so: EU, EZB und der (künftige) Europäische Währungsfonds (EWF) geben eine Garantie für die Staatsschuld aller Euroländer ab (wie die USA nach der Lehman-Pleite für die großen Banken). Damit gibt es keinen Grund für Risikoprämien.

EU, EZB und EWF legen einheitliche Zinsniveaus für neu emittierte Staatsanleihen fest, nunmehr echte Euro-Bonds, garantiert von der gesamten Staatengemeinschaft (daher auf dem Niveau von Triple-A-Schuldnern, derzeit höchstens 4 Prozent). Wenn diese Bedingungen glasklar gemacht werden, hört das Spiel mit den Risikoprämien auf.

Die Euro-Bonds werden genügend Anleger finden, vermutlich sogar überzeichnet sein. Es existiert ja ein enormes Bedürfnis nach sicherer Geldveranlagung. Und diese kann die Staatengemeinschaft bieten - auch und gerade im Vergleich zu den USA. Sollten dennoch nicht alle Emissionen einen Abnehmer finden, übernimmt sie der EWF. Die Finanzierung des Staates durch die Notenbank entspricht der US-Strategie, sie ist in einer schweren Krise klug, sie kostet den Steuerzahler keinen Cent und sie wirkt nicht inflationär, weil viel Produktionskapazität brachliegt. Eine gemeinschaftliche Finanzierung würde den Zusammenhalt der Euroländer stärken, erfordert aber gleichzeitig eine effizientere Fiskalpolitik, die vom EWF zu überwachen ist. Die Festlegung des Anleihenzinses ist durch die CDS-Spiele der "Staatsheuschrecken" gerechtfertigt. Schließlich werden ja auch der Leitzins und damit indirekt der Kreditzins durch die Zentralbank gesetzt.

Gewiss: Für "marktreligiöse" Ökonomen bedeutet mein Vorschlag eine Lästerung der "unsichtbaren Hand". Ich aber beobachte lieber die sichtbaren Hände, bedenke ihr Handwerk und wie man es ihnen legen könnte.

PS: Am Montag ist Hearing im Bundestag zur Finanztransaktionssteuer (FTS). Man möge bedenken: Alle Geschäfte der "Finanzalchemisten" können prinzipiell nur durch eine FTS belastet werden, nicht aber durch eine Bankenabgabe. Denn Erstere erfasst Aktivitäten, Letztere Bestands(Bilanz)größen.

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