Kommentar Marwa-Prozess: Du Rassist – Du Ehrenmörder

Rund um den Marwa-Prozess haben auch die Deutschen eine unangenehme Erfahrung gemacht, die Muslime in Deutschland jeden Tag machen: einem Generalverdacht ausgeliefert zu sein.

Der Mörder der Ägypterin Marwa Scherbini ist zu einer lebenslänglichen Gefängisstrafe verurteilt. In den arabischen und islamischen Ländern zeigt man sich durchaus zufrieden mit dem Ausgang des Prozesses in Dresden. Das strenge Urteil ist eine Botschaft an alle Rassisten und blinden Islamhasser in Deutschland, wird kommentiert.

Am Ende, so eine arabische Tageszeitung, war es in diesem Prozess nicht zuletzt auch darum gegangen, nach dem ursprünglichen Schock über Marwas feige Ermordung zwischen beiden Seiten, den Deutschen und der Islamischen Welt wieder Vertrauen herzustellen. Tatsächlich sollte ein solcher Prozess das Gemeinsame und nicht das Trennende betonen und das ist die Ablehnung dieses Verbrechens aus niederen rassistischen Motiven, bei dem eine schwangere Frau vor den Augen ihres Mannes und ihres dreijährigen Kindes mitten in einem deutschen Gerichtsaal niedergemetzelt worden war.

Übrig bleibt für die Deutschen ein bitterer Beigeschmack rund um den Fall Marwa, international für ein paar Monate unter dem Generalverdacht des Rassismus und der Islamophobie gestanden zu haben. Vielleicht eine lehrsame Erfahrung, um sich ein wenig einzufühlen, unter welchem Generalverdacht sich täglich Muslime in Deutschland befinden, vom Ehrenmörder, prügelnden Jugendlichen zum Selbstmordattentäter. Jeder Generalverdacht gegen ein ganzes Volk oder gegen eine ganze Religion ist falsch und kann fatale Folgen haben. Das versteht man am besten, wenn man ihn am eigenen Leibe zu spüren bekommt.

Drehen wir doch einfach den Täter wieder um. Letzte Woche ermordete der US-Offizier Nidal Malik Hasan, ein Muslim, bei einem Amoklauf im US-Stützpunkt Ford Hood in Texas 13 Menschen. Die grausame Tat kann viele Motive haben, z.B. dass der Täter nicht damit fertig wurde erneut nach Afghanistan in den Krieg geschickt zu werden. Aber sofort war er wieder da – der Generalverdacht – gegen alle Angehörigen der US-Armee muslimischen Glaubens.

In der deutschen Diskussion muss auch endlich dieses gegenseitige Aufrechnen ein Ende haben: du Rassist und du Ehrenmörder. Irrationalität auf beiden Seiten. Der andere wird pauschal verurteilt, nur um sein eigenes Selbstverständnis zu retten. Oft geschieht das auch noch im Namen der Aufklärung, auf die man in Europa zu Recht stolz ist. Derweil sollte es ein Kern der Aufklärung sein, stets auch sich selbst und sein eigenes Selbstverständnis zu hinterfragen können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.