Kommentar Einkommenssteuer: Ein Herz für Reiche

Wie kann es eigentlich sein, dass seit Jahren permanent über die Einkommensteuer diskutiert wird, wenn de facto fast keiner mehr Einkommenssteuern zahlt?

Die neue Regierung ist seit knapp einem Monat im Amt, und seither hat sie sich vor allem über die Steuern gestritten. Man könnte meinen, die Deutschen hätten auf dieser Welt keine anderen Probleme zu lösen. Dabei zeigen neueste Daten des Statistischen Bundesamts: Eigentlich zahlt fast niemand noch Einkommensteuern. Die ärmere Hälfte der Bevölkerung sowieso nicht, weil sie viel zu wenig verdient. Doch auch Millionäre liefern beim Fiskus gerade mal 36 Prozent ab.

Und das ist sogar noch hoch gegriffen: Die Zahlen stammen von 2005, weil es keine neueren Daten gibt. Inzwischen wurde aber auch noch die Abgeltungsteuer eingeführt, sodass die Kapitalerträge nicht mehr mit dem persönlichen Steuersatz, sondern pauschal mit 25 Prozent belastet werden. Gerade bei Kapitaleignern dürfte die Belastung also noch weiter gesunken sein.

Gleichzeitig ist völlig klar, dass die Sozialabgaben, die die Mehrheit der Bevölkerung betreffen, weiter steigen werden. Zudem dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis der Regierung einfällt, die Mehrwertsteuer anzuheben. Denn irgendwo müssen die Steuereinnahmen ja steigen, wenn der Staat nicht in der völligen Überschuldung enden soll.

Man muss sich wundern über die Deutschen: Wie kann es eigentlich sein, dass seit Jahren permanent über die Einkommensteuer diskutiert wird? Denn Schwarz-Gelb hat diese Debatte ja nicht erfunden. Auch Rot-Grün war dringend bemüht, den Spitzensteuersatz radikal zu senken. Man kann auch nicht behaupten, dass die Wähler getäuscht würden: Die FDP ist schon seit Jahren monothematisch damit beschäftigt, für ihr Dreistufenmodell bei den Einkommensteuern zu werben.

Für diese Fixierung gibt es nur zwei denkbare Erklärungen. Erstens: möglich, dass die Deutschen ihr eigenes System nicht mehr verstehen - und gar nicht wissen, dass es einen Unterschied zwischen der Einkommensteuer und den Sozialabgaben gibt. Blind würden sie also alles als "Staat" abbuchen. Und genauso blind würden sie diesen verhassten "Staat" dann in seine Schranken weisen, ohne noch zu fragen, wer eigentlich von welcher Maßnahme profitiert. Zweitens: Die Deutschen verstehen ihren eigenen Staat, was immerhin ein gewisser Trost wäre - und sie finden es eben richtig, vor allem die Reichen zu entlasten. Dann bleibt nur noch das Rätsel: warum bloß?

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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