Debatte Iran: Geliebter Satan

Die Besetzung der US-Botschaft führte den Iran in die Isolation. Heute mag eine Mehrheit der Iraner in Amerika kein Feindbild mehr sehen.

Vor genau drei Jahrzehnten nahm die jüngere iranische Geschichte eine verheerende Wendung. Am Morgen des 4. November 1979 reihten sich mehrere hundert "Studenten" in die Schlange vor der Konsularabteilung der US-Botschaft in Teheran, um ihren Plan einer Besetzung der diplomatischen Vertretung in die Tat umzusetzen. 444 Tage sollte die Geiselnahme dauern, die sich für über 60 Diplomaten zu einem Martyrium mit Schlägen und Scheinerschießungen auswuchs. Als Barack Obama im November 2008 zum ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA gewählt wurde, rühmte sich die Islamische Republik, man habe während der Geiselnahme schon nach wenigen Tagen alle afroamerikanischen und weiblichen Mitarbeiter freigelassen - aufgrund der Sympathie für unterdrückte Minderheiten und der "speziellen Rolle der Frau im Islam". Als ob es ein humanitärer Akt gewesen wäre, sie nicht wie die verbliebenen 53 Diplomaten fast anderthalb Jahre lang als Geiseln zu halten.

Was bewog die Geiselnehmer damals zu ihrer Tat? Ganze Bibliotheken sind dazu erschienen, doch noch immer lässt sich die Frage nicht eindeutig klären. Einige sagen, die Aktion wäre spontan geplant worden und sollte eigentlich nur 24 Stunden dauern. Dagegen spricht die innere Führungskrise der noch jungen Islamischen Republik, die einen erheblichen Anteil am Geschehen hatte - der Führungsstreit zwischen dem damaligen Premierminister Basargan und dem obersten Revolutionsführer Chomeini.

schreibt als freie Autorin über den Iran und die USA. Sie wurde in Teheran geboren, wuchs in Deutschland auf und studierte Theaterwissenschaft, Amerikanistik und Soziologie in Bayreuth, Forschungsaufenthalte führten sie nach New York und an die Yale University.

Basargan, der im Westen fälschlicherweise bis heute als ein liberaler Politiker betrachtet wird, wollte die Beziehungen zu den USA nicht gefährden, sondern sie sogar festigen. Chomeini dagegen, der einen fanatischen Antiamerikanismus vertrat, wollte das gerade nicht. Durchsetzen konnte sich am Ende Chomeini, der wie so oft in seiner Laufbahn Menschen, politische Gruppen und Aktivisten für seine Interessen zu manipulieren und zu instrumentalisieren verstand. So auch diese Gruppe von "Studenten", die eigentlich seit über einem Jahr schon gar nicht mehr studierte und vorwiegend politisch aktiv war.

Ihr Vorgehen führte zu einem politischen und menschlichen Desaster. Basargan wurde mit dieser Aktion beseitigt, er trat im Zuge der Geiselnahme zurück. Doch der Preis war hoch, denn die Besetzung der US-Botschaft führte den Iran geradewegs in die weltpolitische Isolation. Eine selbst verschuldete Isolation, die bis heute anhält und für die iranische Bevölkerung zu einer Last geworden ist.

Eine der Geiselnehmerinnen des 4. November 1979 war Masoumeh Ebtekar. Ebtekar wuchs mit ihren Eltern in einem Vorort von Philadelphia auf. Ihr Vater hatte an der University of Pennsylvania studiert, Masoumeh Ebtekar lernte dort amerikanisches Englisch und trug den Spitznamen Mary. Was geht in einem solchen Mädchen von 19 Jahren vor, das zur Sprecherin der Geiselnehmer wird? Die Psyche von Terroristen verstehen zu wollen ist eine schier unlösbare Aufgabe. Masoumeh Ebtekar brachte es als ehemalige Sprecherin der Geiselnehmer unter dem "Reformpräsidenten" Mohammed Chatami zur ersten Vizepräsidentin des Iran.

Mit ihrer Biografie steht Ebtekar stellvertretend für eine Generation, die es im Iran so nicht mehr geben wird. Wer heute als junger Iraner das Glück hat, in einem Vorort von Philadelphia zu landen, wird dieses Glück mit beiden Händen fassen und wohl kaum mehr loslassen wollen. Telefonumfragen der vergangenen Jahre, die von verschiedenen Thinktanks in Washington durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass etwa 70 Prozent der Iraner gern in den USA leben würden. Amerika mit seiner Verfassung, mit seinen Werten, mit seiner Wirtschaftskraft und der Gabe, sich immer wieder zu erneuern wie kaum ein anderes Land in dieser Welt, ist das große Ideal der jungen iranischen Generation. Dabei machen sich die jungen Iraner ein realistisches Bild vom Leben in den USA, denn sie wissen, dass Freiheit mit Verantwortung zusammenhängt.

Das positive Amerikabild jener Iraner, die nach 1979 geboren wurden, hängt sicher auch damit zusammen, wie die amerikanische Gesellschaft mit den eingewanderten Iranern umgegangen ist. Trotz des Traumas, das die Geiselnahme von Teheran für die amerikanische Öffentlichkeit darstellte - es war immerhin der erste islamistisch motivierte Terrorakt gegen US-Amerikaner -, nahmen die USA die Exiliraner in der Mitte ihrer Gesellschaft auf. Der Weg, den sich viele Exiliraner in den USA erarbeitet haben, ist von Zielstrebigkeit, Bildung, Erfolg und Friedfertigkeit geprägt. Sie haben sich angepasst, ohne ihre eigene Identität aufzugeben, und die amerikanische Gesellschaft hat sie so angenommen, wie sie sind. Amerika ist es gelungen, zwischen den Menschen im Iran und in der Diaspora und ihren totalitären Herrschern zu trennen. Auch das ist ein entscheidender Grund, warum das Feindbild Amerika in der iranischen Gesellschaft von heute kaum noch Widerklang findet. Die iranische Bevölkerung weigert sich, einer rückständigen Propaganda zu folgen.

Heute ist das Gelände der ehemaligen US-Botschaft in Teheran ein Museum. Ein Museum, das nicht allzu viele Besucher hat. Denn junge Menschen im Iran, die große Fans der amerikanischen Popkultur sind, haben etwas Besseres zu tun, als diesen Schandfleck der jüngeren iranischen Geschichte aufzusuchen. Die Führung der Islamischen Republik steht mit ihrem Antiamerikanismus allein da.

Die Mehrheit der iranischen Bevölkerung dagegen ist längst in der Moderne angekommen. Ihre Freiheitsbewegung, die mit den gestohlenen Wahlen im Juni ihren Anfang nahm, will am 30. Jahrestag der Geiselnahme von Teheran öffentlich demonstrieren, dass Antiamerikanismus wie Antisemitismus keinen Platz mehr in der iranischen Gesellschaft haben sollen.

Einer der Slogans der iranischen Opposition für den heutigen Tag lautet: "Präsident Obama, entweder sind Sie auf unserer oder auf deren Seite." Es ist Zeit, dass der US-Präsident sich für die richtige Seite entscheidet und damit eine neue, hoffnungsvolle Ära amerikanisch-iranischer Beziehungen einleitet.

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