Debatte Konflikt in Georgien: Gemeinsames Haus in Flammen

Der Konflikt mit Russland ist Teil eines globalen Kampfs um Öl und Gas. Bleibt der Westen bei seiner Politik, werden weitere Kriege im Kaukasus oder in Zentralasien folgen.

Mit seinem militärischen Vorgehen in und gegen Georgien hat Russland eindeutig gegen die UNO-Charta und das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Doch so notwendig diese Feststellung auch ist: angesichts der realen Machtverhältnisse wirkt die Verurteilung Moskaus hilflos - und aus dem Mund so mancher PolitikerInnen und Intellektueller in westlichen Hauptstädten wie Washington, Paris und Berlin, aber auch in Warschau oder Vilnius klingt sie auch scheinheilig und verlogen. Immerhin trägt man dort eine erhebliche Mitverantwortung für die Eskalation, die zu dem heißen Krieg auf dem Kaukasus geführt hat.

Am Drehbuch für diesen Krieg wird bereits seit Anfang der Neunzigerjahre geschrieben. Damals, nach dem Zerfall des Warschauer Pakts und der Sowjetunion, nahm der Westen zwar vorübergehend die Vision des sowjetischen Reformpräsidenten Michail Gorbatschow vom "gemeinsamen Haus Europa" auf. Die "Konferenz/Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit" (K/OSZE) solle zum "Herzstück der europäischen Architektur werden" hieß es in der "Charta für ein neues Europa", die 1990 in Paris von den Staats-und Regierungschefs aller 54 Mitgliedsstaaten der KSZE feierlich verabschiedet wurde. Doch es blieb bei der Rhetorik.

Tatsächlich haben die westlichen Regierungen seitdem systematisch die Nato gestärkt und sie nach Osten bis an die Grenzen Russlands ausgedehnt, während sie die OSZE verkommen ließen. Statt Moskau mittels OSZE mit allen dort vereinbarten Rechten und Pflichten in Europa einzubinden, wurde das Land im Nato-Russland-Rat mit einer Statistenrolle abgespeist. Mit der völkerrechtswidrigen Anerkennung des Kosovo haben die USA und EU einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, der die Glaubwürdigkeit ihrer Kritik an Russlands Unterstützung für die abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien untergräbt. Und das "Raketenabwehrprojekt" in der Nähe zur russischen Westgrenze, auf das sich die USA und Polen am Donnerstag endgültig einigten und das von der Nato ausdrücklich unterstützt wird, setzt die Provokation Moskaus weiter fort.

Der Konflikt um die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien und die Rechte der dort lebenden Minderheiten wäre längst gelöst, wäre er nicht Teil eines großen Energiepokers zwischen den USA, Russland und der EU im Kaspischen Becken und in Zentralasien. Dieser Poker begann, als sich die großen Ölkonzerne der USA nach dem Ende der Sowjetunion weitreichende Zugriffs- und Erschließungsrechte an den Öl- und Gasreserven in den zentralasiatischen Ex-Republiken der UdSSR sicherten - zumeist mittels Bestechung der autokratischen und diktatorischen Regierungen dort. Sämtliche US-amerikanischen und europäischen Pipeline-Projekte zum Transport dieser Reserven, die seit Mitte der Neunzigerjahre geplant - und inzwischen zum Teil realisiert - wurden, haben alle eines gemeinsam: Sie führen, anders als die einst wichtigste sowjetische Pipeline von Aserbaidschans Hauptstadt Baku am Kaspischen Meer nach Noworossisk am Schwarzen Meer, nicht über russisches Territorium. Die Pipeline durch Georgien, das an Russland grenzt, wurde trotz der internen und externen Konflikte des Landes gebaut. Dafür betreiben die USA seit Jahren die militärische Aufrüstung Georgiens und seinen Beitritt zur Nato.

In seiner ökonomischen Schwächephase der Neunzigerjahre hatte Moskau kein Mittel zur Gegenwehr. Mit den Milliardenerträgen, die Russland heute erwirtschaftet, hat sich das grundlegend geändert. Ursache für Moskaus neue Macht sind der Anstieg der Weltmarktpreise für Gas und Öl um das Drei- bis Vierfache seit Frühjahr 2005 sowie die weltweit steigende Nachfrage. Angesichts dessen sind alle Sanktions- oder Bestrafungsmaßnahmen gegen Moskau wegen des Georgienkrieges, über die derzeit diskutiert wird, zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Auch die weiterhin - unter anderem durch Georgien - verzögerte Aufnahme in die Welthandelsorganisation (WTO) trifft Russland kaum. Denn nach wie vor exportiert das Land fast nur Öl, Gas und andere Rohstoffe, für die es auch ohne WTO-Status weltweit begierige Abnehmer findet.

Als Land mit den größten Gas- und den sechstgrößten Ölreserven der Erde tritt Russland als einziger unter den derzeit sechs größten Energiekonsumenten (neben USA, China, EU, Japan und Indien) auch als Anbieter auf dem Weltmarkt auf. Damit ist Russlands aktuelle Macht mindestens so lange zementiert, bis ab Mitte des Jahrhunderts diese fossilen Energieressourcen erschöpft sein werden.

Das gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die USA, EU und andere Staaten weiterhin vorrangig auf Öl und Gas setzen, um ihren Energiebedarf zu sichern. Zwar haben Washington wie Brüssel inzwischen die Absicht bekundet, die Energieversorgung des Westens notfalls auch mit militärischen Mitteln gemeinsam zu sichern. Doch im konkreten Konfliktfall gibt es zumindest taktische Interessenunterschiede zwischen den USA und der EU. Das zeigt sich auch jetzt im aktuellen Kaukasuskrieg, wo die Bush-Administration in Washington deutlich schärfere Töne gegenüber Moskau anschlägt als Angela Merkel bei ihrem Besuch im russischen Sotschi. Denn anders als die EU (mit Ausnahme Großbritanniens) sind die USA nicht abhängig von russischen Öl-und Gaslieferungen sowie von einem ungestörten Betrieb der Pipelines durch Georgien.

Die offenkundige Spaltung der EU in ihrer Haltung zum Konflikt in Georgien dagegen geht vor allem auf historisch bedingte Ängste in Polen und anderen osteuropäischen Staaten vor einem wiedererstarkten Russland zurück. Denn was die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen angeht, gibt es zwischen west- und osteuropäischen EU-Staaten keinen signifikanten Unterschied. Bleibt der Westen bei seiner Energiepolitik, werden dem Krieg in Georgien in den nächsten Jahren weitere heiße Kriege im Kaukasus oder Zentralasien folgen. USA, Nato und EU werden einem mächtigen Russland dann ähnlich hilflos, gespalten und handlungsunfähig gegenüberstehen wie jetzt.

Verändern lässt sich das nur, wenn sich der Westen so schnell wie möglich aus seiner sklavischen Abhängigkeit von Öl und Gas befreit, indem er die Energieeffizienz deutlich erhöht, den Pro-Kopf-Verbrauch an Energie drastisch reduziert und vor allem in weit größerem Ausmaß als bisher auf Sonne, Wind und andere erneuerbare und umweltfreundliche Energieträger umschaltet. Eine sinkende Nachfrage nach Öl und Gas würde nicht nur Russlands derzeitige Macht wieder relativieren. Sie würde das Land auch dazu nötigen, die eigene Wirtschaft und den Export zu diversifizieren, und die Macht der staatlichen Energiekonzerne, die innergesellschaftlich höchst problematisch ist, schwächen. Das würde auch die Bedingungen für eine Entwicklung Russlands zu mehr Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verbessern.

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Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.

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