Kommentar Vorratsdatenspeicherung: Gezügelter Kontrollzwang

Sicherheit soll ohne Vorratsdatenspeicherung nicht möglich sein? Wer das glaubt, leidet unter krankhaftem Kontrollzwang.

Das Bundesverfassungsgericht ist die Geißel der großen Koalition. Während in Bund und Ländern ein Sicherheitsgesetz nach dem anderen beschlossen und geplant wird, beschneidet Karlsruhe diese Gesetze mit beeindruckender Regelmäßigkeit. Nun wurde die Nutzung der Vorratsdatenspeicherung vorübergehend beschränkt. Der Eilbeschluss regelt zwar nur, was in den nächsten Monaten bis zum Urteil in der Hauptsache gelten soll, aber das Signal ist deutlich: Am Ende wird es wieder Korrekturen geben.

Geschickt hat Karlsruhe gestern auf Zeit gespielt. Denn weil die Vorratsdatenspeicherung eine EU-Vorgabe umsetzt, ist das deutsche Verfassungsgericht eigentlich gar nicht zuständig. Mit dem Eilbeschluss wurde nun dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) signalisiert, dass in Deutschland große Skepsis gegenüber einer so weitgehenden grundlosen Zwangsspeicherung von Daten besteht. Vermutlich hoffen die Karlsruher Richter sogar, dass der EuGH die EU-Richtlinie für nichtig erklärt - sei es aus formalen Gründen, sei es wegen Verletzung von EU-Grundrechten. Denn erst dann könnte das Verfassungsgericht richtig zuschlagen. Ohne EU-Vorgabe beruht die Vorratsdatenspeicherung schließlich nur auf einem einfachen deutschen Gesetz, mit dem die Richter machen können, was sie für richtig halten.

Wenn es so kommt, sollte Karlsruhe feststellen, dass es keinen Grund dafür gibt, Daten aller Art auf Vorrat zu sammeln, damit sie irgendwann einmal von der Polizei benutzt werden können. Es genügt völlig, wenn die Polizei die Daten verwenden darf, die ohnehin vorhanden sind. So war es schon immer, und so sollte es im Rechtsstaat auch bleiben: Die Polizei kann Beweise nutzen, wenn sie vorliegen, aber nicht alle Bürger zwingen, auf Vorrat Beweise zu produzieren.

Wenn ein Täter viele Spuren hinterlässt, hat es die Polizei leichter; wenn er geschickt vorgeht, müssen sich die Ermittler mehr anstrengen. Im Informationszeitalter braucht man sich ohnehin keine Sorgen machen, dass die Polizei irgendwann mit leeren Händen dastehen könnte. Wer sich ohne Vorratsdatenspeicherung keine Sicherheit vorstellen kann, leidet an einem krankhaften Kontrollzwang.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.