Debatte Libyen: Helft dem neuen Libyen!

Eine junge, linke Bewegung trägt die Revolte in Libyen. Sie will keinen Einmarsch - braucht aber die Flugverbotszone gegen Gaddafi.

Was in Libyen vor sich geht, ist kein Bürgerkrieg, sondern der Aufstand eines Volkes gegen einen Tyrannen, seine Familie und seine Söldner. Dieser Aufstand ist vergleichbar mit dem europäischen Widerstand gegen die Mächte des Faschismus in den 1930er- und 1940er-Jahren.

Die libysche Revolution vom 17. Februar 2011 wird angeführt von der Jugend und von Demokraten, die ihre Geschichte im Land selbst haben. Mit dem Wind der Ereignisse von Tunesien und Ägypten im Rücken haben sie sich gegen die Tyrannei erhoben. Wenn wir diesen Schrei nach Freiheit nicht in den Mittelpunkt all unserer Aufmerksamkeit stellen, diesen Schrei, der von unten kommt, dann missverstehen wir völlig den Charakter dieser Erhebung.

Das neue Libyen, das aus der Zerstörungen und aus den Massakern an Zivilisten entstehen muss, wird ein junges Land sein. Die Jungen, die nie ein anderes System kennen gelernt haben, sind die Protagonisten. Was Freiheit bedeutet, haben sie im Internet gelernt. Das Netz hat das politische Vakuum aufgefüllt, das durch Gaddafis Repression in Libyen entstanden war. An all den Informationen aus dem Ausland, aber auch aus Libyen selbst, an den Möglichkeiten der Vernetzung ist diese Generation gewachsen und hat dem Protest gegen das Regime eine ganz neue Energie gegeben.

Die libysche Gesellschaft ist aufgewacht

geboren 1948 in Bengasi, Libyen. Er lebt in Italien bei Messina und leitet dort "Anbamed", eine italoarabische Agentur für Nachrichten aus dem Mittelmeerraum. Als Journalist schreibt er u. a. für Corriere della Sera und Il Manifesto.

Aber was hat die Revolte ausgelöst? Libyen ist ein reiches Land. Aber die Libyer sind arm. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Schere zwischen den wenigen Reichen und den vielen Armen klafft immer weiter auseinander. Die Daten der libyschen Zentralbank sprechen eine klare Sprache: 30 Prozent der Jungen im arbeitsfähigen Alter sind ohne Beschäftigung, 20 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Merkwürdige Zahlen für ein Land mit nur 6 Millionen Einwohnern, aber mit Gas- und Ölvorkommen, die zu den bedeutendsten in Afrika zählen.

Die Jungen blicken nach Europa, in die USA, sie haben im Internet die Freiheit gefunden, die ihr Land ihnen verweigert hat. Sie sind die entscheidenden, aber nicht die einzigen Träger der Revolte. Es gab und gibt eine libysche Zivilgesellschaft - und sie ist aufgewacht: Anwälte, Richter, Freiberufler und Kaufleute, Angestellte und Arbeiter, die lange mit gesenktem Haupt unterwegs waren, sagen: Es ist genug! Schon vor fünf Jahren, im Februar 2006, zeigten sich die ersten Anzeichen dafür, als es eben in Bengasi, dem Zentrum der heutigen Revolution, zu Demonstrationen vor dem italienischen Konsulat kam.

Dabei ging es keineswegs, wie behauptet, nur um die Mohammed-Karikaturen: Das Gespenst einer radikal-islamischen Bewegung haben der Tyrann und sein Sohn, Seif Islam, heraufbeschworen, um die Opposition im Westen zu diskreditieren. In der Kyreneika gibt es kein islamisches Emirat und auch keine Zelle von al-Qaida. In allen befreiten Städten gab es Demonstrationen von Frauen - und sie waren nicht verschleiert. Drei Frauen sitzen im Provisorischen Nationalrat.

Die Fahne, welche die Revolutionäre schwenken, ist auch nicht die Fahne des Königs oder des Stammes der Senussi, sondern der libyschen Unabhängigkeit. Ich selbst hätte auf Grund meiner persönlichen und politischen Geschichte mit der roten Fahne in der Hand demonstriert - aber ich und meine Generation sind eben nicht die Träger dieser Bewegung. Die monarchistische Strömung in ihr ist jedenfalls sehr klein.

Angst vor einem Machtvakuum

Man hört immer wieder von der Angst vor einem Machtvakuum. Dabei ist die alternative Struktur in den befreiten Städten bereits voll funktionsfähig. Dort haben sich Volkskomitees gebildet, die über alle Belange des städtischen Lebens entscheiden. Sie bestehen aus Freiwilligen, die sich all der Versäumnisse der Vergangenheit annehmen. Die Beschlüsse werden in Fotokopien auf den Straßen verteilt. In Bengasi konnte nicht nur der öffentliche Nahverkehr wieder aufgenommen werden, sondern auch der Schutz öffentlichen Eigentums durch freiwillige Wachtrupps ist gesichert.

Die Koordinationsstelle dieser Komitees arbeitet bereits am Entwurf zu einer Verfassung - der ersten seit 42 Jahren, in der die Menschenrechte und der Pluralismus verankert sein werden. Doch wie auch immer der Kampf ausgeht: Das Antlitz des Landes hat sich bereits fundamental verändert.

Der libysche Frühling ist eine junge und eine linke Bewegung. Doch um auf diesem Weg weiter voranzugehen, muss die Struktur der libyschen Gesellschaft verändert werden. Sorge bereitet vor allem die soziale und rechtliche Lage der Millionen ausländischer Arbeiter (circa 25 Prozent der Bevölkerung), die das alte Regime in sklavenähnlichen Zuständen ausbeutete.

Gaddafi ist am Ende. Schon 1973, vier Jahre nach der Revolution, war von dem freiheitlichem Programm seiner damaligen Offiziere nichts mehr übrig als brutale Unterdrückung. Die Universitäten wurden mundtot gemacht, die alten Mitstreiter entfernt oder ermordet, die Gewerkschaften verboten. Im Ausland ließ Gaddafi zahllose Oppositionelle töten. Am 26. Juni 1996 wurden im Abu-Salim-Gefängnis 1.200 politische Gefangene mit Maschinengewehren ermordet.

Grundlage seines Regimes, das die Ressourcen des Landes verschleudert, sind allgegenwärtige Überwachung und Bestechung. Unter Gaddafi sind nicht moderner Staat und Gesellschaft entstanden, sondern ein korruptes und korrumpierendes Regime, das die Unterstützung anderer Diktaturen suchte und sich auf Kriegsabenteuer (Uganda, Tschad) einließ.

Gaddafi hat lange genug die Fahne des Antiimperialismus und Antikolonialismus geschwungen. Aber schon lange macht er schmutzige Deals mit den reichen Ländern und ist dabei vor allem immer um seine persönliche Sicherheit besorgt. Uns, der libyschen Opposition, ist klar, dass viele sich nichts sehnlicher wünschen als den uneingeschränkten Zugriff auf das libysche Öl. Deswegen sind wir gegen jede militärische Intervention. Aber wir brauchen die Flugverbotszone, um den mörderischen Oberst am Einsatz seiner Luftwaffe zu hindern.

Übersetzung aus dem Italienischen: Ambros Waibel

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