Debatte Quotenpolitik beim Radio: Hören, was geht

Das öffentlich-rechtliche Radio schottet sich bestmöglich von alternativen Musikszenen ab. Und entfremdet sich so radikal von seinem Auftrag, Stimmenvielfalt zu garantieren.

Schön, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine Qualitätsdebatte führt. Es ist nicht das einzige Medium, das sie brauchen kann. Da der Hessische Rundfunk zum Jahresende die renommierte Musiksendung "Der Ball ist rund" von Klaus Walter einstellen wird und der Rundfunk Berlin Brandenburg seinen Sender Radio Multikulti abschaltet, muss man feststellen: Das Radio hat sie mindestens so nötig.

Die Diskussion um die Rundfunkgebühren beschäftigt sich seit Jahren ausschließlich damit, wie hoch eine angemessene Erhöhung auszufallen habe. Doch das ändert nichts daran, dass die Öffentlich-Rechtlichen dieses Geld von den Hörern mit einem bestimmten Auftrag bekommen: Ihre Sender sollen die Stimmenvielfalt und die Meinungspluralität sicherstellen. Sie sollen einen Unterschied markieren zu Sendern, deren Basis und Ziel die Kommerzialität ist. Und die vielen Millionen Euro, die die Radiohörer ihnen in die Kassen spülen, geben ihnen auch die Möglichkeit dazu.

Nun kann man eine Sendung wie "Der Ball ist rund" selbstverständlich einstellen, auch wenn sie 25 Jahre mit Erfolg gelaufen ist und eine äußerst loyale Zuhörerschaft hat. Auch eine Welle wie Multikulti ist nicht sakrosankt, wenn eine Anstalt so gravierende finanzielle Probleme hat wie der RBB. Das Problem ist, dass die Verantwortlichen keine Idee haben, was man stattdessen machen könnte. Sie streichen nur - und fühlen sich damit auf der Höhe Zeit. Diese umfassende Fantasielosigkeit der Entscheider ist noch schlimmer als die Entscheidungen selbst.

Innovative Sendekonzepte entstehen nun nicht im luftleeren Raum, sie antworten auf virulente kulturelle oder soziale Fragen. "Der Ball ist rund" reagierte auf die Entstehung einer unabhängigen Musikszene in den späten Achtzigern; Radio Multikulti auf neue Lebenswelten in einer vielsprachigen und polyethnischen Stadt wie Berlin. Und wenn die Sendungen gut sind, wandeln sie sich mit der Welt, die sie abzubilden versuchen. "Der Ball ist rund" wie Multikulti haben das getan, denn ihre Macher waren kreativ.

Bei den gegenwärtigen Programmverantwortlichen hingegen sucht man eine solche Beweglichkeit vergeblich. Es gibt nur den Verweis aufs Geld und die Quote. Das wars. Als würde es sich dabei um ein Argument handeln. Aber die Zahl der Hörer ist nur ein Moment, will man die Meinungsvielfalt sichern.

Die Folge eines solch grauen Denkens: Das öffentlich-rechtliche Popmusikradio ist zu einer traurigen Trümmerwüste verkommen. Von einigen Ausnahmen abgesehen, ist man in Deutschland längst wieder bei einem Zustand wie in den Siebzigern angelangt. Die, die damals aufregende Musik hören wollten, schalteten die amerikanischen und britischen Soldatensender an - diese Aufgabe übernehmen heute übrigens die Internetradios.

Wofür also überhaupt noch öffentlich-rechtliche Popsender? Warum nicht den ganzen Vorgang an die Idealisten im Netz übertragen? Existiert noch ein Grund für das Insistieren darauf, dass der steuerfinanzierte Rundfunk seinen Job machen soll - jenseits des Umstands, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihre Redakteure und Mitarbeiter meist sehr gut bezahlen und so für eine gewisse Lebensqualität sorgen können? Die Antwort ist bestürzend einfach: Ja. Denn die Kulturwelt hat sich wieder mal grundlegend verändert. Diesmal durch den Kollaps der Tonträgerindustrie und den damit verbundenen Aufstieg der Konzertveranstalter. Die Sender sollten sich dringend bemühen, mit neuen Sendeformaten auf diese neue Situation zu reagieren.

Was ist passiert? Den großen und international agierenden Künstlern geht es nach wie vor gut, und den kleinen, regional agierenden Künstlern nicht viel schlechter. Die einen haben immer noch die große Masse, zu der sie sprechen können, die anderen ihre Nische. Nur gegenseitig verstehen sie sich nicht mehr. Was hier Not tut, ist gar nicht so sehr einen "Underground" gegen einen "Mainstream" zu verteidigen. Stimmenvielfalt zu sichern, könnte für die Öffentlich-Rechtlichen in der Popmusik vielmehr heißen, neue Anschlüsse herzustellen, die dieses Auseinanderbrechen vermitteln könnten. Innen- und Außenperspektiven gegeneinander zu stellen, Kleinpop mit Großpop zu konfrontieren, Metropolenklänge mit Sounds der Peripherie zu mischen - so entsteht heute Musik. So müsste auch Musikradio entstehen.

Ein öffentlich-rechtliches Radio müsste folglich einfach nur versuchen, Verbindungen zwischen Künstlern und Szenen, Genres und Ländern herzustellen. Auch wenn sie auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben. Nur so lässt sich so etwas wie eine "Öffentlichkeit" konstituieren. Stattdessen ist Idee von "Öffentlichkeit", die hinter den Programmkonzepten der öffentlich-rechtlichen Sender steckt, rein quantitativ ausgelegt. Über die Quote. Man müsste sie aber qualitativ denken.

Was heißt das? Man stelle sich vor, der Deutschlandfunk würde den Erfolg seiner Morgensendung ausschließlich an den Zuhörerzahlen messen - es wäre Quatsch. Der Wert und der Erfolg dieser Sendung basiert darauf, dass sie von Pendlern und frühstückenden Elternteilen ebenso gehört wird wie von Politikern, Journalisten, Wirtschaftsleuten, Lobbyisten, Engagierten. Also von den Leuten, die dort auch interviewt werden. Auf diese Weise entsteht tatsächlich eine Vernetzung zwischen Alltag, Politik und Medien(-Kritik).

Kulturelle Öffentlichkeiten funktionieren genauso. Ein hörenswerter Popsender müsste den Ehrgeiz haben dürfen, genau die Leute zu erreichen, von denen er handelt: Musiker, DJs, Produzenten, Labelmacher, Kritiker, Plattenhändler, Konzertveranstalter und all die anderen Menschen, die mit Musik be- und vertraut sind. Leute, die - da sollte sich niemand etwas vormachen -, erst wieder überzeugt werden müssen, das Radio anzuschalten.

Stattdessen wiegen sich die scheinverbeamteten Macher des öffentlich-rechtlichen Musikradios in falschen Sicherheiten. Allerdings lässt sich am Absturz der Plattenindustrie beobachten, wie schwer eine große und ruhmreiche Institution durch Dummheit, Bequemlichkeit und den technischen Fortschritt in Mitleidenschaft gezogen werden kann - und gezogen worden ist. Die scheinbare Bestandsgarantie bis zum jüngsten Tag, die die Gebührenfinanzierung bereithält, wird ein ähnliches Schicksal wohl verhindern. Trotzdem braucht der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Popmusik, will er eine vitale Anstalt bleiben - oder besser: will er überhaupt noch mal an Leben gewinnen.

Isoliert er sich jedoch weiter von alternativen Lebens- und Arbeitswelten, wird ihm das passieren, was allen übermäßig bürokratisierten Apparaten bevorsteht, weil sie den Kontakt zu dem verlieren, was sie eigentlich verwalten sollen: das DDR-Schicksal. Ein unaufhaltsamer Exodus aller Interessierten, gefolgt von langer Stagnation. Und irgendwann sinkt das System dann in sich zusammen und schon wenige Wochen später kann sich kaum jemand vorstellen, dass es einmal anders gewesen sein könnte.

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