Debatte King of Pop: I did it my way

Sein Gesicht und seine Sexualität gefielen uns nicht. Und ihm selbst? Egal. Wir haben uns unseren eigenen Michael Jackson gebastelt.

Er war ein Freak. Er schaute gequält. Und das schon lange Zeit. Das Leben im Musikbusiness hatte ihm offensichtlich sehr zugesetzt. Er war übermäßig geschminkt. Sein Look war schon immer blöd, doch zuletzt sah er aus wie eine in Frisurfragen sehr ungeschickte Tunte. Und das sicher unfreiwillig, denn für gender-bending war er nicht bekannt. Er war ein Freak, wie gesagt, aber niemals zweifelte man an seiner musikalischen Größe. Und weil man an ihr nicht zweifeln konnte, weil große Musiker sich für ihn einsetzten, bezeichnete man ihn auch nie als Monster. Leider aber hatte er die Schauspielerin Lana Clarkson erschossen, daher musste er nun ins Gefängnis.

Jahrgang 1970, ist Journalist und Programmleiter des Verbrecher Verlags, den er mit gegründet hat. 2004 erschien "Der letzte linke Student", eine Sammlung seiner Glossen aus der "Jungle World" (Alibri). Er lebt in Berlin.

Vieles am Fall des Produzenten Phil Spector, von dem hier die Rede ist, gleicht dem des Michael Jackson, nur, anders als Jackson, wurde Spector eben nie zum Alien erklärt, niemand befand ihn für psychisch krank, niemand ließ Heere von Küchenpsychologen Hobbyanalysen erstellen. Niemand behauptete, dass er ein Perverser war, während dies bei Michael Jackson für die Mehrheit der Welt feststand, egal was er tat, egal was die Geschworenen meinten, egal wie dürftig die Beweislage war.

Damit soll Michael Jackson nicht grundsätzlich freigesprochen werden, es ist aber interessant, wie anders der schwarze Entertainer vor seinem Tod behandelt worden ist als etwa der heterosexuelle weiße Mann. Phil Spector, ein Junkie und Waffennarr, hatte einer Schauspielerin in den Mund geschossen - dies mit einer fehlgelenkten Triebabfuhr in Verbindung zu bringen, ist kaum einer Kommentatorin, kaum einem Kommentator eingefallen. Die Hinrichtung von Frauen gilt eben, sofern sie in einer Villa und nicht in einem fernen Land stattfindet, eher als ein Kavaliersdelikt. Spector ist selbstredend - hier geht es allein um sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen der Massenmedien.

Denn bei Michael Jackson, dessen Beerdigung am Dienstag aufwendig zelebriert werden wird, scheint die Idee, dass er sich der fehlgelenkten Triebabfuhr hingab, nahezuliegen. Dass diese Idee naheliegt, ist darin begründet, dass Michael Jackson anders, als dies oft behauptet wurde, eben nicht gut mit den Medien umgehen konnte. Zwar spielte er durchaus mit den Medien, log ganz offensichtlich, doch nie souverän genug. Vielmehr waren ihm die Medien lange Zeit egal, nur Mittel zum Zweck, Steigbügelhalter auf dem Weg zum größten Unterhalter aller Zeiten.

Tatsächlich zweifelte spätestens ab 1983 niemand mehr daran, dass Michael Jackson ein Ausnahmeunterhalter war. Auch wurde selten bezweifelt, dass er Herr seiner Musik war, dass er selbst bestimmte, was wie auf eine Platte kam und nicht nur aus Höflichkeit als Koproduzent auftrat. Sogenannte Homerecordings, die allerdings in seinem Fall nicht in der Küche aufgenommen sein dürften, belegen, dass Jackson selbst es war, der Gesangslinien festlegte. Die wichtigen Elemente seines Hits "Billie Jean" standen schon fest, bevor Quincy Jones das Stück veredeln konnte. Noch bei "Invincible", dem etwas lustlosen letzten Album zu Lebzeiten, hielt er alle Fäden in der Hand. Die vielen Kiekser, mit deren Hilfe der schon früh geschwächte Sänger seinen Lungen trickreich Sauerstoff verschaffte, oder der berühmte Moonwalk waren die alleinige Erfindung des Perfektionisten Jackson.

Jackson glaubte allerdings, allein mit seiner Kunst zu genügen. Er, als Künstler ein Produkt der 1970er-Jahre, wusste bis zuletzt nicht, wie sehr Medien nach Storys gieren und wie sehr sie denjenigen bestrafen, der sie nicht füttert. Jackson aber dementierte nur in Notfällen, räumte nur in Notfällen etwas ein und inszenierte nur in Notfällen sein Privatleben für die Kameras. Dass er der heißblütige Liebhaber von Lisa-Marie Presley gewesen sein soll, glauben wir daher nicht, nicht einmal dann, wenn sie selbst es sagt. Dass seine Kinder wahrscheinlich biologisch gar nicht seine Kinder waren, stellen wir mit Häme fest. Die OPs räumte er erst auf Nachfrage ein. Die Drogen - Schmerzmittel aufgrund einer Verletzung. Kinder im Bett - Jackson antwortete defensiv, daher musste "was" vorgefallen sein. Seine eigene beschissene Kindheit - er heulte nicht vor der Kamera. Egal wie oft er sagte, dass er stolz sei, ein männlicher Schwarzer zu sein - wir, zumindest wir Weißen, wussten seit Mitte der 80er, dass er sich schämte und Liz Taylor werden wollte. Jackson gestand nicht, was wir hören wollten, daher konnten wir ihn nicht ehren. Er sagte: "I love you all", wir fühlten uns verhöhnt. Er erzählte, so ein Plattentitel, "HIStory", doch wir hörten gar nicht hin.

Man hätte ihn für anderes attackieren können - es gibt bei aller "Heal the world"-Litanei auch weniger schöne Textzeilen in seinem Werk, man konnte bei ihm Sexismus, Rassismus und Antisemitismus zumindest in rudimentärer Form finden. Jackson flirtete mit der schwarz-nationalistischen Nation of Islam, er stand Reagan näher als Obama, wenn er nicht sogar einfach nur politisch naiv oder, schlimmer noch, im Grunde desinteressiert war.

Um solche Fragen aber ging es nie. Jackson ahnte wohl nicht, dass auch seine letzten Shows seinem Image nicht geholfen hätten. Obschon sie nicht mal schlecht geworden wären, wenigstens versprechen dies die posthum veröffentlichten Videoaufnahmen von den Proben. Selbst jetzt kommen die Nachrufenden, trotz all ihrer Krokodilstränen, nicht ohne den Verweis auf seine Monstrosität aus, auf sein Gesicht, dass uns nicht gefiel, und ihm deshalb nicht gefallen haben durfte, und auf seine Sexualität, die selbstverständlich unerfüllt gewesen sein musste, denn wir konnten sie uns nicht vorstellen.

Nun ist er tot, nun können wir uns seine Geschichte erzählen, wie sie uns passt. Er kann sich nicht mehr wehren. Wir machen uns den Perfektionisten menschlich, in dem wir ihn kleiner machen und auf unser Format bringen. Das ist uns auch bei Elvis gelungen, der in unseren Augen als fettes, tragisches Wrack starb, also so wie wir dereinst. Und Elvis lieben wir doch alle.

Ruhm lohnt sich nicht, das ist, was wir immer auch hören wollen. Erfolg ist tragisch, wir Schuster können bei unseren Leisten bleiben. Und ein Aufstand gegen unser gewöhnliches Leben bringt sowieso nichts.

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1970 in Gütersloh geboren, lebt in Berlin. Er betreibt mit Kristine Listau den Verbrecher Verlag (den er 1995 mit Werner Labisch gegründet hat) und ist Autor für diverse Zeitungen und Magazine. Er schrieb mehrere Bücher. Zuletzt „Die Sonnenallee" und „11 Berliner Friedhöfe, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt".

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