Debatte Türkei und Israel: Im Tal der Wölfe

Das Verhältnis zwischen der Türkei und Israel ist auf einem Tiefpunkt. Doch für den Frieden in der Region sind beide Länder aufeinander angewiesen.

Disteln, aufgenommen bei Izmir (Westtürkei). Bild: Veyis Polat – Lizenz: CC-BY

Zwischen Israel und der Türkei ist nichts mehr gut. Streit und Konflikt zwischen den beiden Ländern haben längst keinen sachlichen Ton mehr, da helfen auch die vielen Beschwichtigungen nach der Visite des israelischen Verteidigungsministers Ehud Barak am Sonntag in Ankara nichts. Dabei wird keine Seite auf den anderen verzichten können, selbst wenn sie es wünschte.

Israel und die Türkei sind Verbündete. Gute Beziehungen zu Israel gehören zur türkischen Westbindung, die keine türkische Regierung wird auflösen können oder wollen. Auch die Sicherheitskonzepte beider Länder waren bis vor kurzem eng verbunden. In dieser Beziehung gab es auch eine kontraproduktive Logik, nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Die Fehde der Türkei mit ihren Nachbarn, allen voran mit Syrien und dem kurdischen Nordirak, hatte das Land geradezu in ein militärisches Bündnis mit Israel gedrängt. Hinzu kam die in säkularen Kreisen in der Türkei weit verbreitete Abneigung gegen alles Arabische, allzu Muslimische. Der Kemalismus wollte diese Kultur mit einer einseitigen Orientierung am Westen überwinden.

Nun regieren in der Türkei seit gut sieben Jahre bekennende Muslime, die stark mit der arabischen Welt verbunden sind, ökonomisch wie emotional. Eine muslimische Variante des Antisemitismus ist unter den Anhängern der Regierungspartei AKP und darüber hinaus in der gesamten türkischen Gesellschaft weit verbreitet. Dennoch tragen die AKP und sein hitzköpfiger Parteichef Erdogan, nicht die alleinige Verantwortung für die jüngste Verschlechterung der Beziehungen mit dem jüdischen Staat. Im Gegenteil: Die Nahostpolitik der Regierung Erdogan war zunächst einmal vom Pragmatismus geprägt. Die Türkei bot sich im Konflikt mit den Palästinensern als Vermittler an und engagierte sich aktiv im Friedensprozess zwischen den Israelis und den Syrern.

ist Schriftsteller und Essayist. 1961 in Ankara geboren, lebt er seit 1990 in Berlin. Zuletzt erschienen von ihm die Essaysammlung "Das Land hinter den Buchstaben. Deutschland und der Islam im Umbruch" sowie die Übersetzung seines Romans "Kösk" ("Der Pavillon").

Für die Türkei war und ist ein Friedensvertrag zwischen Israel und Syrien eine bedeutende Komponente einer neuen Außenpolitik, die eine Umgestaltung der Region mit friedlichen Mitteln zum Ziel hat. Ein Friedensvertrag zwischen Israel und Syrien sollte die neue, auf Entspannung zielende Politik der Türkei gegenüber ihren direkten Nachbarn nicht nur erleichtern, sondern auch absichern. Doch in Israel scheint man die Bedeutung einer möglichen Aussöhnung mit Syrien unterschätzt zu haben. Und der Gazakrieg hat einen Strich durch die türkische Rechnung gemacht.

Es dürfte den israelischen Politikern nicht entgangen sein, wie weit sich das Land in der öffentlichen Meinung - nicht nur in arabischen Ländern - isoliert hat. Die gegenwärtige Situation ist für Israel weit gefährlicher als potenzielle iranische Atomraketen. Die Türkei dagegen hat ihr traditionelles Bündnis mit den USA unter Obama gefestigt und sich sogar ein Stück weit von Europa emanzipiert.

Die Pläne der türkischen Regierung sind ambitioniert. Es geht um die innere Transformation der Türkei zu einem demokratischen Rechtsstaat. Zum ersten Mal in der türkischen Geschichte muss sich auch das Militär für ungesetzliches Verhalten vor zivilen Gerichten verantworten. Eine Aussöhnung mit den jahrzehntelang unterdrückten Kurden steht bevor. Und auch zu Armenien sucht das Land ein neues partnerschaftliches Verhältnis. Das wird nicht gehen, ohne den schmerzhaften und beschämenden Kapiteln der türkischen Geschichte gegenüberzutreten.

Vor allem aber strahlt die Türkei inzwischen ein Erfolgsmodell in die Region aus. Die Botschaft lautet: Demokratie zahlt sich aus, anständiges Regieren bringt ökonomischen Aufschwung, Meinungsfreiheit und Menschenrechte helfen, das geistige Potenzial eines Landes auszuschöpfen. Das ermutigt nicht nur die Opposition im Iran. Es findet vor allem in den autoritär regierten arabischen Staaten Resonanz. So läuten in Kairo schon die Alarmglocken. Im Schatten eines wachsenden Islamismus hat sich das Regime hier mit seinen rabiaten Mitteln eingerichtet. Die ägyptischen Massen aber begeistern sich inzwischen mehr für den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan als für die einheimischen Politiker.

Warum lässt Israel die Türkei bei ihrem Vorhaben, den Nahen Osten zu reformieren und zu demokratisieren, allein? Könnte das Nachkriegseuropa für diese Region kein Vorbild sein? Doch die israelische Politik, allen voran die Hardliner in der Regierung, verharren in der herkömmlichen Logik des Krieges. Sie lassen keinen Spielraum für Alternativen zu. Die Türkei aber riskiert viel, ihr Reformprogramm ist gewaltig. Ob Erdogans Regierung diese Last tragen kann, ist völlig offen, zumal sie von Europa aus kaum Unterstützung erfährt.

Israel ist auf die Türkei als Verbündeten angewiesen. Nicht auf das türkische Militär und die Nationalisten, die sich gegen eine Demokratisierung des Landes sträuben, sondern auf eine demokratische Türkei. Man kann nur hoffen, dass diese Sicht in Israel bald wieder Oberhand gewinnen wird.

Man kann aber auch etwas anderes erwarten: Dass sich die türkische Regierung von den Anhängern der Scharia, also von den Muslimbrüdern und der Hamas distanziert. Erdogan lehnt den islamistischen Terror zwar ab. Aber er tut so, als würde er nicht verstehen, was da passiert. Doch der Terrorismus hat sich als Denkvariante in der islamischen Welt etabliert, ebenso der krankhafte Antisemitismus. Dass in Afghanistan und im Irak tagtäglich Menschen sterben ist auch ein innerislamisches Problem, für das eben nicht allein reflexhaft der Westen verantwortlich gemacht werden kann.

Die türkische Regierung täte gut daran, eine offenere und kritische Sprache gegenüber jenen zu sprechen, die demokratische Werte nicht teilen und einen islamistischen Staat anstreben. Der Ministerpräsident sollte dies mindestens ebenso klar und deutlich tun, wie er es sich zur Angewohnheit gemacht hat, bei jeder Gelegenheit die israelische Politik zu kritisieren. So lange dies ausbleibt, spielt seine Regierungspartei all jenen in die Hände, die an einen demokratischen Sinneswandel im islamischen Lager ohnehin nicht glauben.

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