Debatte Wirtschaftskrise: Kürzen ist ein Kardinalfehler

In Zeiten der Krise wäre es naheliegend, die Löhne und Renten zu senken. Dabei ist das verheerend: Wer jetzt die Kaufkraft schwächt, bringt den Wirtschaftskreislauf zum Erliegen.

Löhne haben für das Überleben der Wirtschaft eine gar nicht zu überschätzende Bedeutung. Geht die Lohnsumme plötzlich und unkontrolliert zurück, droht nichts weniger, als dass der Wirtschaftskreislauf zum Erliegen kommt.

Natürlich geben die aktuell sinkenden Umsätze und die Angst um den Arbeitsplatz Wasser auf die Mühlen derjenigen, die seit jeher dem Lohnverzicht das Wort reden, allen voran die Arbeitgeberverbände. Nur geringere Löhne, so ihre Argumentation, könnten Arbeitsplätze retten, weil sie die Kosten der Unternehmen besonders in Zeiten rückläufiger Umsätze entlasteten. Die Logik dahinter: Sinkenden Einnahmen soll mit sinkenden Ausgaben begegnet werden. Dass allerdings die Ausgaben des einen die Einnahmen des anderen sind, taucht in dieser Rechnung nicht auf.

Die Deutsche Bundesbank veröffentlicht Monat für Monat die Entwicklung der "Masseneinkommen". Darunter fasst sie die Nettolöhne zuzüglich der empfangenen geldlichen Sozialleistungen zusammen. Mit über 1.000 Milliarden Euro entsprachen die Masseneinkommen 2008 nahezu der Hälfte des Sozialproduktes. Sie sind damit der wichtigste Faktor für die Nachfrage in unserer Volkswirtschaft. Ihre negative Entwicklung muss daher Sorge bereiten.

ArbeitnehmerInnen und EmpfängerInnen sozialer Leistungen mussten im vergangenen Jahr wie schon in den Jahren zuvor reale Einkommensverluste hinnehmen. Zwar sind die Nettolöhne zuzüglich der empfangenen Sozialleistungen 2008 um 2,1 Prozent gegenüber 2007 gestiegen. Doch gleichzeitig stiegen auch die Verbraucherpreise um 2,6 Prozent. Die Sozialleistungen wuchsen sogar nur um 0,6 Prozent; sie sind also preisbereinigt um 2 Prozent gesunken.

Angesichts der Prognosen einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung von 6 Prozent und der soeben von Wirtschaftsminister Guttenberg ausgegebenen Zahl von 4,7 Millionen Erwerbslosen im nächsten Jahr stehen die Gewerkschaften unter erheblichen Druck. Viele Metallbetriebe bemühen sich nach Angaben der IG Metall um einen Aufschub der für den 1. Mai vereinbarten Lohnerhöhung. Die sollte immerhin 2,1 Prozent betragen. Bereits heute müssen Hunderttausende durch Kurzarbeit erhebliche Einkommensverluste hinnehmen. Natürlich können die Gewerkschaften sich gegenüber den einzelbetrieblichen Problemen nicht einfach taub stellen. Dennoch bedeutet gesamtwirtschaftlich betrachtet nun einmal jeder in einem Betrieb vereinbarte Euro Lohnverzicht zwangsweise einen Euro weniger Umsatz für die anderen Unternehmen.

Diese unverbrüchliche Logik, in der Volkswirtschaftslehre auch als "Saldenmechanik" bekannt, verdeutlicht das ganze Problem: Wird der Versuch unternommen, gegen die Folgen der Wirtschaftskrise einzelbetrieblich mit Lohnsenkungen anzukämpfen, verschärft sich die Krise gesamtwirtschaftlich, weil der vorgenommene Lohnverzicht sich insgesamt in weiter sinkenden Umsätzen für die Unternehmen niederschlagen muss. Diesen Zusammenhang blenden die Vertreter des Lohnverzichts aus.

Mit Niedersachsen schwenkt nun auch noch das erste Bundesland auf diesen unternehmerischen Sparkurs ein. Die Landesregierung hat eine Haushaltssperre verhängt, die Einsparungen von 136 Millionen Euro bringen sollen.

Unter diesen Voraussetzungen kann nur die Bundesregierung den gordischen Knoten zwischen einzel- und gesamtwirtschaftlicher Logik durchschlagen. Deren gemeinsamer Nenner ist die fehlende private Nachfrage. Da auf den Löhnen und Sozialleistungen der größte Druck lastet und diese zusammen den wichtigsten Nachfrageblock darstellen, sollte die Regierung das Augenmerk dabei auf die Entwicklung der Masseneinkommen richten.

So wäre es sinnvoll, die staatlichen Ausgabenprogramme auszuweiten und die öffentliche Auftragsvergabe etwa an die Einhaltung von Tariflöhnen zu binden. Gerade jetzt wäre es darüber hinaus geboten, einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn durchzusetzen, die Hartz-IV-Sätze anzuheben und auch die Renten außerplanmäßig zu erhöhen. Dieses Geld würde am ehesten und schnellsten ausgabewirksam, weil die Betroffenen aufgrund der Entwicklung ihrer Einkommen seit Jahren auf die Anschaffung auch langlebiger Wirtschaftsgüter verzichtet und entsprechenden Nachholbedarf haben.

Die Bundesregierung hat es bisher in fahrlässiger Weise unterlassen, sich dieser Aufgabe zu stellen. Wenn selbst sie unter Zugrundelegung der bisherigen Konjunkturpakete das größte Minus in der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte vorhersagt, sind die bisher von CDU/CSU und SPD für dieses und nächstes Jahr vorgesehenen Mehrausgaben von 50 Milliarden Euro offensichtlich ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie entsprechen aufs Jahr gerechnet 1 Prozent des Sozialproduktes. 6 Prozent unseres Sozialproduktes entsprechen dagegen 150 Milliarden Euro. Mit ihrer Ankündigung, es werde keine weiteren Konjunkturprogramme geben, ähnelt die Bundeskanzlerin einem Arzt, der einem Patienten zwar erste Hilfe leistet, ihn dann aber erst einmal liegen lässt und abwartet, ob er sich aus eigener Kraft erholt.

Kanzleramt, Wirtschafts- und Finanzministerium müssten gezielt Investitionsschwerpunkte fördern. Neben der Instandsetzung der über Jahre vernachlässigten allgemeinen Infrastruktur - das allein würde Milliarden erfordern - muss die Regierung Vorschläge unterbreiten, auf welche Technologien, Verkehrs-, Energie-, Ausbildungs- und Sozialsysteme sie zukünftig konkret setzen möchte. Über die noch vorhandenen öffentlichen Unternehmen und die Daseinsvorsorge kann die Bundesregierung noch unmittelbar Ausgabenschwerpunkte festlegen. Das hieße mit einem Wort: regieren. Die kürzlich von der Bahn angekündigten Milliardeninvestitionen weisen in die richtige Richtung. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung nicht schon längst Milliarden bereitgestellt hat, um über das Staatsunternehmen Bahn der Konjunktur und der "Zukunft Schiene" auf die Beine zu helfen.

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