Debatte Afghanistan: Letzte Hoffnung Diktatur

Die Intervention des Westens ist nicht nur militärisch gescheitert - was vor allem fehlt, das sind politische Perspektiven.

Mit dem Wiedererstarken der Taliban seit spätestens 2005 wird in westlichen Ländern vor allem über Fehler und Versäumnisse im militärischen Bereich diskutiert. Machte sich diese Diskussion bisher immer wieder am rabiaten Auftreten der US-Truppen fest, so hat sie jetzt mit der Bombardierung der zwei Tanklaster und der mutmaßlichen Tötung etlicher Zivilisten die Bundeswehr erreicht. So wichtig die Diskussion über Militäreinsätze ist, sie verdeckt, dass die Nato-Staaten wie die UNO-Mission in Afghanistan auch politisch gescheitert sind.

Sichtbarster Ausdruck dieses Scheiterns sind die Präsidentschaftswahlen vom 20. August. Sie wurden vom Lager des Amtsinhabers Hamid Karsai massiv gefälscht. Das Problem nun: Lassen die Nato-Staaten den einstigen Hoffnungsträger davonkommen, sind ihre Versprechungen von Demokratie nichts wert. Zwingen sie Karsai jedoch zu einer zweiten Runde oder setzten sie die eigentlich erforderliche Annullierung durch, riskieren sie weitere Instabilität mit neuen Toten oder gar ein Machtvakuum, an dem Afghanistan zerbrechen könnte.

Spätestens jetzt rächt sich, dass die politischen Institutionen sowie die Zivilgesellschaft mit Billigung von Nato und UNO schwach gehalten wurden. Im Parlament dominieren keine Parteien, sondern Warlords und ehemalige Kommandeure, die eigentlich vor Gericht gestellt gehören. Dass die Wahlbeteiligung bei diesen zweiten Präsidentschaftswahlen viel niedriger war als bei den ersten 2004 liegt nicht nur an der verschlechterten Sicherheitslage, sondern auch an der Desillusionierung der afghanischen Bevölkerung.

Versagt haben Nato und UNO auch in anderen wichtigen Bereichen. Das Scheitern in der Drogenbekämpfung unter der Ägide von Großbritannien ist offensichtlich. Zwar gab es zuletzt einen gewissen Rückgang des Mohnanbaus, doch stabilisiert der nur den Opiumpreis. Denn die Lager sind voll. Noch immer deckt Afghanistan mehr als 90 Prozent des Weltheroinbedarfs.

Beim Aufbau der afghanischen Polizei sind bekanntlich die Deutschen grandios gescheitert. Die entsandte Zahl der Ausbilder blieb immer weit hinter Zusagen und Erfordernissen zurück. Die Polizei bleibt zu schwach, zu schlecht ausgebildet und korrupt.

Auch der Justizaufbau, für den Italien die Verantwortung übernahm, ist ein Desaster. Davon zeugen krasse Fehlurteile wie das Todesurteil gegen den Journalistikstudenten Parvez Kambakhsh. Er war wegen Verbreitung eines islamkritischen Artikels im Internet ohne Anwalt zunächst zum Tode wegen Blasphemie verurteilt worden. Später wurde daraus eine 20-jährige Haftstrafe. Durch Druck aus westlichen Ländern kam Kambakhsh dieser Tage durch ein Pardon des Präsidenten frei und musste ins Exil fliehen.

Statt die Rechte der Bevölkerung zu schützen, ist die von Islamisten durchsetzte Justiz ein Mittel der Unterdrückung. Gelingt es gelegentlich, die schlimmsten Fehlurteile wie im Fall Kambakhsh aufzuheben, geschieht dies nicht auf dem Rechtsweg, sondern durch internationalen Druck auf Karsai. Der übt seinerseits Druck auf die Richter aus, was aber deren mangelnde Unabhängigkeit zeigt.

Auch die versprochene Pressefreiheit gibt es in Afghanistan nicht. Davon zeugt nicht nur der skizzierte Fall Kambaksh, sondern auch die Anordnung Karsais an die Medien, am Wahltag nicht über Aktionen der Taliban zu berichten. Gewiss ist die Situation der Medien heute besser als zur Zeit der Taliban, aber Pressefreiheit sieht anders aus.

Ähnlich schlecht steht es um die Rechte der Frauen. Mädchen können zwar wieder zur Schule und Frauen wählen gehen - wenn sie sich trauen. Doch im Vergleich mit der Situation vor fünf Jahren ist ihre Teilnahme zurückgegangen. Musste die eklatante Verletzung der Rechte der Frauen unter den Taliban herhalten, um die militärische Intervention in Afghanistan zu rechtfertigen, so fielen die Frauenrechte seitdem im politischen Prozess zunehmend unter den Tisch. Inzwischen ist es bei Wahlen nicht mehr ungewöhnlich, dass Clanchefs und Ehemänner für ihre Frauen die Stimmen abgeben, auch wenn dies das Wahlgesetz nicht vorsieht. Und sollte es zu den immer wieder vorgeschlagenen Gesprächen mit "gemäßigten" Taliban kommen, dürften Frauenrechte zum Unterpfand werden.

Gewiss lässt sich innerhalb weniger Jahre aus Afghanistan, wo vor der westlichen Intervention mehr als zwanzig Jahre Krieg herrschte und auch schon davor alle heutigen Probleme vorhanden waren, nicht innerhalb weniger Jahre eine Musterdemokratie machen. Doch während die Bush-Regierung zunächst von Nationbuilding nichts wissen wollte, haben auch die anderen westlichen Regierungen diese Herkulesaufgabe völlig unterschätzt.

Die jetzt von Merkel, Brown und Sarkozy für die nahe Zukunft angemahnte Afghanistankonferenz ist der Versuch, das sinkende Schiff durch die Abschiebung von möglichst viel Verantwortung an Karsai möglichst schnell verlassen zu können.

Der Westen ist gescheitert, weil er keine realistische Alternative zu den Taliban aufbauen konnte. Diese haben den Vorteil, dass sie nicht "besser" sein müssen. Für sie reicht es, das "westliche System" zu diskreditieren und sich selbst als wahre Vertreter afghanischer und islamischer Interessen darzustellen. Die Taliban müssen auch nicht militärisch gewinnen, um die Nato aus dem Land zu treiben. Sie müssen nur zeigen, dass die Nato die Afghanen nicht schützt, und zugleich die Kosten des internationalen Einsatzes weiter hochtreiben, bis diesen niemand mehr bezahlen will.

Das Maximum, das der Westen in Afghanistan noch erhoffen kann, ist, einen autoritären Potentaten zu hinterlassen, der getreu dem US-amerikanischen Bonmot "Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn", der die Regierung auf prowestlichem Kurs hält. Sicherheitspolitisch könnte das sogar funktionieren, weil dessen Terror sich dann "nur" gegen die eigene Bevölkerung und vielleicht noch gegen Nachbarstaaten, nicht aber gegen den Westen richtet. Das Scheitern des politischen Aufbaus wird so nicht wettgemacht.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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