Kommentar Zeitarbeit: Murks wird Prinzip

Der Kompromiss der Koalition bei den Zeitarbeiterlöhnen ist alles andere als eine sozialpolitische Großtat. Sondern stellvertretend für das politische Versagen bei Mindestlöhnen.

Sie bekommen die Wirtschaftskrise am schnellsten und härtesten zu spüren: Rund 700.000 Menschen arbeiten in Deutschland für Zeitarbeitsfirmen. Sowieso schlechter bezahlt als fest angestellte KollegInnen müssen sie in Unternehmen als Erste gehen, wenn Aufträge wegbrechen. Und die ständige Unsicherheit, die für befristet Eingestellte zum Leben gehört, potenziert sich in der Krise noch. Schließlich könnte schon der nächste Job der letzte sein. Eine Lohnuntergrenze für die Branche, auf die sich Union und SPD jetzt verständigt haben, verhindert zumindest gröbstes Lohndumping. Mehr aber auch nicht.

Denn eine sozialpolitische Großtat, die die SPD nun vollbracht haben will, stellt der Kompromiss keineswegs dar. Im Gegenteil. Die Koalition hat das monatelange Gezerre um den Mindestlohn bei der Zeitarbeit beendet, indem sie ihren kleinsten gemeinsamen Nenner noch einmal nach unten korrigiert hat. Weil die Union die wichtige Branche partout nicht in das eigentlich zuständige Entsendegesetz aufnehmen wollte, greift die Koalition mit einem anderen Regelwerk zur Krücke. Und eines ist jetzt schon klar: Diese Einigung legt keine fairen Gehälter fest, sie verhindert nicht einmal Armutslöhne.

Sie kann stellvertretend für das politische Versagen bei Mindestlöhnen stehen. Statt mit einem gesetzlichen Mindestlohn ein klares, transparentes und allgemeingültiges Werkzeug einzuführen, verzettelt sich die Koalition in einem Kleinkrieg. Und erhebt mit dem Versuch, jedem Einzelfall gerecht zu werden, den Murks zum Prinzip. Dafür ist die Union verantwortlich. Selbst angesichts der größten Krise seit Jahrzehnten und anstehender Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt fährt sie weiter eine Blockadestrategie.

Doch Lösungen, die keine sind, nutzen letztlich keiner der beteiligten Parteien. Der Wirtschaftsflügel der Union wird auch die zarten Zugeständnisse als ordnungspolitischen Wahnsinn geißeln. Und die SPD schmückt sich mit Kompromissen, die so weit unter ihren Forderungen liegen, dass es letztlich Niederlagen sind.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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