Kommentar Kinder-Hartz-IV: Ohne Geld keine Teilhabe

Es war schon immer Unfug, dass Kinder weniger Hartz-IV bekommen, nur weil sie ein paar Zentimeter kürzer sind. Doch auch darüber hinaus brauchen arme Familien mehr Geld.

Die Hartz-IV-Gesetze sind reich an Absurditäten. Doch die Regel, die dem Bedarf von Kindern gerecht werden soll, ist selbst im versammelten Irrsinn eine Ausnahmeerscheinung. Kinder unter 14 Jahren bekommen nur 60 Prozent der Erwachsenen-Leistung. Punkt. Egal ob es um einen Säugling, ein sechsjähriges Schulmädchen oder einen Pubertierenden geht. Das ist in etwa so schlicht, als würde der Gesetzgeber mit der Körpergröße argumentieren: Hey, Kinder müssen einfach weniger Geld bekommen als Erwachsene, sie sind schließlich etliche Zentimeter kürzer.

Das Bundessozialgericht hat diesem Unfug jetzt ein Ende gemacht. Mit seinem Urteil trägt es der Politik auf, den Bedarf von Kindern endlich detailliert zu berechnen. Sie werden also in Zukunft als vollwertige Hilfeempfänger und nicht länger als Anhängsel mit minderem Bedarf behandelt. Nur ein Grund, warum eine grundsätzliche Neujustierung überfällig ist: Der Satz für Erwachsene orientiert sich an den niedrigsten Einkommen in Deutschland - an Einkommen von Familien, aber auch von Alleinstehenden oder Rentnern. Kinder verschleißen Dinge viel schneller als ältere Menschen. Die einen tragen eine Jacke jahrelang; Kinder wachsen aus ihrer fast jedes Jahr heraus. Schon die Bezugsgröße ist bei der Prozentmarke also falsch gewählt, ihre Höhe zudem willkürlich gesetzt.

Wenn nun anders gerechnet wird, muss sich auch die Höhe der Bezüge ändern. Es ist nach wie vor ein Skandal, dass der Staat armen Familien nur 211 Euro pro Kind und Monat zugesteht. Auch wenn die Koalition hier nun mit dem Konjunkturpaket dürftig nachbessert: Solche Summen reichen nicht mal für eine gute Schulausstattung und altersgemäßes Spielzeug, von zentralen Mitteln zur gesellschaftlichen Teilhabe wie einem Computer, einem Internetzugang oder Auslandsaufenthalten ganz zu schweigen.

Die parteienübergreifende Forderung nach Chancengleichheit ist hohles Gerede, solange sie nicht anders finanziell unterlegt wird. Auch das Klischee von der Hartz-IV-Familie, die lieber in ihr Plasma-TV investiert als in ihr Kind, taugt nicht als Gegenargument. Nur weil einige falsche Prioritäten setzen, darf man der großen Mehrheit keine Chancen beschneiden.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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