Schlagloch von Hilal Szegin: Private Zone

Vergewaltigungen, davor haben viele Soldaten Angst. Denn sonst müssten sie ja den Schutz des Lagers verlassen. Deswegen richten sie sich "private Zonen" in der Nähe ihrer Camps ein.

Kürzlich hatte ich Gelegenheit, mit einem Kriegsberichterstatter zu arbeiten. Einem europäischen Kollegen, der seit fünfzehn Jahren fürs Fernsehen unter anderem aus Irak und Afghanistan berichtet, von Naturkatastrophen, vor allem aber eben aus Kriegsgebieten. Er schien und scheint mir ein besonnener, aufrichtiger und kundiger Kollege, und auch wenn ich seinen Namen hier nicht angeben kann, will ich weitergeben, was er mir erzählte. Vorausschicken muss ich allerdings, dass ich selbstverständlich nicht die Gelegenheit hatte, das Berichtete zu überprüfen; in ungefähr entspricht das Folgende also dem, was man als Journalist gern Informationen aus "wohl informierten Kreisen" nennt.

Ich fragte ihn etwas, das mich schon lang beschäftigt hatte, worüber man aber wenig bis nichts in den Zeitungen liest: wie es denn sei mit mehrheitlich männlichen Truppen in der Ferne. Mit Soldaten und Bordellen, mit Sex und Krieg. Aus früheren Kriegen sind (mehr oder weniger) freiwillige Prostitution, Zwangsprostitution im großen Umfang und massenhafte Vergewaltigung bekannt. Was davon ereignet sich auch in Afghanistan oder Irak? Bisher wurde meines Wissens von den US-Truppen in Irak nur ein einziger Fall von (Gruppen-)Vergewaltigung bekannt - der Fall Jesse Spielman 2006.

Der Kollege, den ich im Folgenden P. nennen will, geht nicht davon aus, dass es häufiger zur Vergewaltigung irakischer oder afghanischer Frauen durch die Besatzer käme. Zu groß sei die Angst der US-Soldaten, den Schutz des Camps zu verlassen. Aus diesem Grund richtet man zum Beispiel in der Nähe des Camps - nicht innerhalb, doch noch durch seine Wachen geschützt - eine Art "private Zone" ein. Einige Mal hatte P. in Irak gesehen, dass sich um das Lager noch ein Ring weiterer Gebäude, Baracken oder Zelte gelegt habe, in denen sich Soldaten und einheimische Frauen zum Sex gegen Bezahlung treffen können.

Ein anderes "Modell" war P. aus Afghanistan bekannt: Anscheinend wird mit der Errichtung dortiger Militärlager ein Privatunternehmen beauftragt. Soll das Lager längere Zeit genutzt werden, kommen entsprechend mehr Einrichtungen zum Beispiel für die Freizeitgestaltung hinzu. So gibt es dort Beauty-Salons, in denen aus China stammende Frauen arbeiten. In den Hinterzimmern bieten sie auch sexuelle Dienstleitungen an. Welche Art von Visum diese Chinesinnen besitzen (müssen), um von einer international operierenden Firma nach Afghanistan eingeflogen werden zu können, wusste P. nicht, auch nicht, in welchem Ausmaß diese Arbeit auf freiwilliger Basis oder durch Not oder Täuschung zustande kommt. Nehmen wir, dass es sich im besten Fall um gänzlich freiwillige, informierte Arbeitsverhältnisse handelt. Es bleibt die Erkenntnis, dass Globalisierung eben auch heißt, dass Chinesinnen amerikanische Soldaten in Afghanistan bedienen.

Viagra für die Stammesführer

Die afghanischen Frauen selbst sind womöglich nicht für amerikanische, polnische, deutsche und sonstige Soldaten käuflich, waren allerdings schon seit Jahrzehnten mehr oder weniger Freiwild nicht nur für die Taliban, sondern auch sämtliche andere Gruppierungen und Militärs. Man erinnere sich in dem Zusammenhang an den Bericht der Washington Post vergangenen Jahres, dass afghanische Stammesführer vom CIA mit Viagra zur Kooperation geködert werden - fast schon Beihilfe zu Vergewaltigung und Menschenhandel, wenn man weiß, wie oft es in Afghanistan zu Zwangsverheiratungen insbesondere auch alter Männer mit viel zu jungen Mädchen kommt. Offiziell ist solche sexuelle Gewalt ja etwas, von dem die "internationale Gemeinschaft" die afghanischen Frauen "befreien" will.

Von solch mittelbarer Gewalt abgesehen, scheint es in den erwähnten Ländern offenbar und Gott sei Dank nicht zum systematischen Einsatz von Sex als Waffe zu kommen, anders als beispielsweise in Vietnam. Ob aber nicht zu befürchten sei, fragte ich P., dass auch freiwillige sexuelle Interaktionen von Einheimischen und Truppenangehörigen das soziale Gefüge, soweit noch vorhanden, in den besetzten Gebieten zusätzlich durcheinanderbrächten. Familien zerstörten, Frauen zerstörten, körperliche und seelische Unversehrtheit gefährdeten. "Du kannst dich darauf verlassen", sagte P. "Truppen richten sowieso in jeder Hinsicht Chaos an". Wörtlich sagte er: "Believe me, they mess up everything."

Der Müll und die Kinder

Das beginne schon beim Müll. "Wieso beim Müll?", fragte ich. "Weil der Müll der Truppen viel wertvoller ist als das, was die Menschen vor Ort meist besitzen. Kinder und Erwachsene durchwühlen den Müll und begeben sich dafür auch in verminte Gelände. Sie riskieren ihre Gliedmaßen und ihr Leben für diesen Müll."

Nicht ganz zu der obigen Aussage, in Irak trauten sich die Soldaten nicht aus den Camps, schien mir eine weitere Begebenheit zu passen. Vor wenigen Monaten, erzählte P. nämlich später, sei er in einer irakischen Stadt abends mit zwei Kollegen eine Straße entlanggegangen; eine Irakerin sprach sie an. Ob sie eine Frau suchten, fragte sie, sie hätte eine Tochter von 15 Jahren. Sie suchten keine Frau, sagten die drei. Sie habe auch einen Sohn von zwölf, ob sie den zu ihnen bringen könne?, fragte die Frau. Wieder wehrten die drei ab. Schließlich bot die Frau etwas Drittes an, von dem sie offenbar gehört hatte, dass es von den Ausländern hin und wieder nachgefragt wurde: eine weitere Tochter im Alter von sechs Jahren.

P., der diese einzelnen Episoden selbst mehr oder weniger verblüfft aus seinem Gedächtnis hervorkramte, sagte, ihm sei noch nie aufgefallen, dass dies eigentlich berichtenswerte Ereignisse seien. Auch sie gehören zur Wahrheit über Politik und Krieg. Nur gewöhne man sich vor Ort ganz schnell an den Anblick solcher Einrichtungen und Arrangements.

Pro oder contra Truppenabzug wollte oder konnte P. übrigens nicht eindeutig Stellung nehmen. Aber vielleicht lässt sich die Anwesenheit von fremden Truppen in einem Land ja auch nicht präziser kommentieren als mit: "Believe me, they mess up everything."

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

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