Debatte Islamophobie: Pseudofeminismus

Viele Frauen begrüßen das Minarettverbot in der Schweiz. Mit dem Kampf für die Rechte muslimischer Frauen hat das aber nichts zu tun

Bis in die frühen Neunzigerjahre hinein war es in Deutschland üblich, dass bei Morden an muslimischen Frauen der "kulturelle Hintergrund" der Täter in Rechnung gestellt wurde. Strafverteidiger machten dann mildernde Umstände geltend, indem sie auf die andere Kultur der Täter und deren Verständnis von Ehre, die durch das Verhalten des Opfers verletzt worden sei, verwiesen. Damals stemmten sich Feministinnen gegen diese Auffassung: Sie erkannten, dass sich hier deutsche mit muslimischen Patriarchen zum Nachteil der Frauen verbrüderten.

Seit einiger Zeit macht der deutsche Staat folgenschwere Vorgaben: In Teilen des öffentlichen Dienstes wird Angestellten das Tragen eines Kopftuchs verboten. Dem Kopftuch wird damit eine Sonderstellung eingeräumt, stehe es doch nach gängiger Meinung seiner KritikerInnen stellvertretend für die Unterdrückung der Frau im Islam, sei also grundgesetzwidrig. Viele Frauen klatschen dazu Beifall. Zu Recht?

Ein weiteres Ereignis hat nun wieder Frauen, die sich selbst als Feministinnen bezeichnen, auf den Plan gerufen: das Schweizer Votum gegen den Neubau von Minaretten. Die deutsche Filmemacherin Helke Sander etwa verwies auf den hohen Anteil von Frauen, die sich bei der Abstimmung gegen Minarette ausgesprochen hätten, und lobte dies als "solidarischen Akt mit unterdrückten und um ihre Freiheitsrechte kämpfenden Frauen aus islamisch geprägten Ländern". Andere stimmen ihr zu und schmähten die übliche Genehmigung von Minaretten gar als "ein sichtbares Zeichen für die staatliche Akzeptanz der Unterdrückung der Frau".

Solche Äußerungen sind erschreckend: Sie ignorieren, dass auch islamisch geprägte Länder eine durchaus wechselvolle Geschichte haben. In manchen dieser Länder haben Frauen früher freier gelebt und hatten mehr Rechte: Das Blatt wendete sich dort erst, als Gruppierungen an die Macht kamen, die ihre frauenfeindliche Politik mit dem Koran begründeten. Doch davor waren diese Länder nicht weniger islamisch als heute. Solche Feministinnen ignorieren außerdem, dass es auch Kopftuchträgerinnen gibt, die für mehr Frauenrechte kämpfen und ihre Forderungen nach Gleichberechtigung teils aus dem Koran ableiten. Doch viele Frauen im Westen haben kaum je mit Frauenrechtlerinnen aus islamisch geprägten Ländern gesprochen und nachgefragt, welche Art von Unterstützung denn erwünscht sei. Das aber sollte die Grundlage jeder - nicht nur feministischer - Zusammenarbeit auf Augenhöhe sein. Es zu unterlassen, ist ein Ausdruck von Eurozentrismus und fern jeder Solidarität.

Aber hat sich die Politik nicht die Gleichberechtigung muslimischer Frauen auf die Fahnen geschrieben? Werden muslimische Frauen jetzt stärker vor Gewalt und Diskriminierung durch ihre Glaubensbrüder geschützt? Ist dies nicht ein Erfolg konsequenter Proteste von Frauenrechtlerinnen?

Machen wir die Probe aufs Exempel: Als der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder vor einigen Jahren ins Emirat Kuwait reiste, um gute Geschäfte anzubahnen, äußerte er keinerlei Kritik daran, dass die Kuwaiterinnen bis dahin noch kein Wahlrecht besaßen. Anders als bei Reisen hoher Politiker nach China der Fall, forderte niemand von ihm, gegen diese Diskriminierung müsse er protestieren.

Auch wenn Obama heute anklingen lässt, man müsse in Afghanistan auch mit gemäßigten Taliban verhandeln, erheben sich keine Stimmen, die verlangen, dabei müsse auch über Frauenrechte geredet werden. Dabei hatte sein Amtsvorgänger Bush die Unterdrückung afghanischer Frauen durch die Taliban noch als einen Kriegsgrund angeführt. Und als kürzlich vier Jugendliche in Göttingen eine Kopftuchträgerin tätlich angriffen, war von jenen, denen die Rechte muslimischer Frauen angeblich so wichtig sind, kein Wort zu hören. Können Frauen etwa nur dann auf Unterstützung zählen, wenn sie sich vom Islam abwenden und "unseren" Lebensstil annehmen?

Aus all diesen Gründen kann ich viele dieser Leute, die sich als VerfechterInnen der Rechte muslimischer Frauen gebärden, nur als PseudofeministInnen bezeichnen. Sie wenden sich nur sehr selektiv gegen das, was sie als Unterdrückung muslimischer Frauen ausmachen. Und sie machen mir Angst. Denn wenn man ihren Argumenten folgt, stellt sich die Frage: Warum nur Kopftücher und neue Minarette verbieten? Warum nicht bestehende Minarette abreißen, Moscheen und Koranschulen schließen? Wo sind die Grenzen?

Ein türkischer Sozialarbeiter sagte in den Achtzigerjahren zu mir, vor dem Anwerbestopp 1973 wären die Türken unter den Gastarbeitern besonders angesehen gewesen: Sie galten als fleißig und motiviert, man hatte gern mit ihnen zu tun. "Mit dem Anwerbestopp hat sich das Klima gegen uns gewandt", befand er. Offenbar hatte sich staatliches Handeln schnell und tiefgreifend im Bewusstsein der Bevölkerung niedergeschlagen. Der offiziellen Politik ("Die brauchen wir nicht mehr") folgte die öffentliche Meinung auf dem Fuß: "Die wollen wir nicht mehr, die sollen gehen."

Ähnliches wiederholt sich heute und erfordert Widerspruch. Wichtig ist es, dort einzugreifen, wo Unrecht geschieht: LehrerInnen, die im Unterricht Inhalte verbreiten, die nicht verfassungskonform sind, sind zu suspendieren oder zu verklagen, ob sie nun ein Kopftuch tragen oder nicht. Hassprediger sind zu verurteilen, egal auf welche Religion sie sich berufen. Und Mörder sind hart zu bestrafen, ganz unabhängig von ihrem kulturellen Hintergrund.

Ebenso muss Frauen, die von Gewalt und Verfolgung bedroht sind, Hilfe angeboten werden. Da sollte es stutzig machen, wenn Parteien, die sich für das Verbot muslimischer Symbole stark machen, auch Gelder für Beratungsstellen für Migrantinnen streichen wollen. Indem sie solche Parteien unterstützen, entlarven sich die PseudofeministInnen selbst. Es braucht aber engagierte FeministInnen, die solche Widersprüche aufzeigen und sich von scheinbar frauenfreundlichen Forderungen keinen Sand in die Augen streuen lassen. URSULA MÜLLER

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