Kommentar: Rüttgers scheitert an sich selbst

Seine Niederlage bei der Landtagswahl wollte der letzte Kohlianer nicht wahrhaben. Damit hat er die Sozialdemokraten unterschätzt. Für seine Partei kommt sein Rücktritt nun zu spät.

Es ist ein trostloser Abgang. Doch er ist überfällig. Endlich scheint Jürgen Rüttgers erkannt zu haben, dass das Spiel für ihn aus ist. Mit ihm tritt der letzte waschechte Kohlianer von der politischen Bühne ab. Auch wenn es ein Rückzug auf Raten ist, er dürfte unumkehrbar sein. Die Zeit von Helmut Kohls einstigem "Zukunftsminister" ist abgelaufen.

Erst fünf Jahre ist es her, dass Rüttgers gelang, was Kurt Biedenkopf, Norbert Blüm und viele andere seiner Vorgänger vergeblich versucht hatten: Nach 39 Jahren verdrängte er die SPD von der Macht an Rhein und Ruhr. Noch gut in Erinnerung ist, wie sich der konservativ-biedere Pulheimer anschließend großspurig zum "Vorsitzenden der Arbeiterpartei in NRW" erklärte. Er hat die einzigartige Chance, die ihm die Wähler seinerzeit gaben, nicht genutzt. Statt eine neue Ära zu begründen, wird seine Amtszeit nur eine kleine Episode bleiben. Auf den historischen Sieg 2005 folgte die Wahlniederlage 2010. Nie schnitt die CDU in Nordrhein-Westfalen schlechter ab.

Gescheitert ist Rüttgers weder an der politischen Großwetterlage noch am politischen Gegner. Gescheitert ist er nur an sich selbst: an den von ihm zumindest geduldeten unsauberen Praktiken jener Schmutztruppe skrupelloser Jungkarrieristen, die er um sich versammelt hat, ebenso wie an seiner Selbstherrlichkeit. Dass er auch noch nach der scheppernden Niederlage vom 9. Mai seine sozialdemokratische Herausforderin weiterhin völlig unterschätzte, zeigt, wie sehr ihn sein politischer Instinkt verlassen hat. Auch darin ähnelt er seinem großen Vorbild Kohl in dessen Endphase.

Rüttgers hat nach dem Desaster bei der Landtagswahl zunächst nicht wahrhaben wollen, dass seine politische Karriere beendet ist. Er glaubte ernsthaft, eine große Koalition unter seiner Führung sei für Hannelore Kraft alternativlos und er bräuchte nur stoisch abzuwarten, bis sie zu Kreuze kriecht. Die einzige kleine Chance für die CDU hätte in seiner Bereitschaft zum sofortigen Rückzug bestanden. Zumindest hätte es der SPD die Entscheidung gegen eine schwarz-rote Koalition schwerer gemacht. Zu diesem Dienst an seiner Partei war er nicht bereit.

Wie einst Helmut Kohl verabschiedet sich Rüttgers mit wüsten Beschimpfungen. Die Maßlosigkeit, mit der gegen SPD, Grüne und Linkspartei wettert, erinnert stark an die Vaterlandsverrätervorwürfe des Altkanzlers. Die Zeit der Kohlianer ist jetzt aber endlich vorbei.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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