Kommentar Tarifeinheit: Schulterschluss der Schwarzmaler

Arbeitgeberverband und Gewerkschaftbund sind gegen die Abschaffung der Tarifeinheit. Doch ihre Schwarzmalerei über die Folgen für die deutsche Tariflandschaft sind voreilig.

Es ist eine seltsame Koalition, die seit Monaten für den Erhalt der Tarifeinheit kämpft: Der Deutsche Gewerkschaftsbund ficht Seit an Seit mit dem BDA, dem Spitzenverband der Arbeitgeber, für das Prinzip "ein Betrieb - ein Tarifvertrag". Mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, dieses Prinzip zu kippen, haben beide eine Niederlage erlitten, auch wenn sie sich weiter für eine gesetzliche Regelung starkmachen.

Sowohl DGB als auch BDA sagen jetzt verheerende Folgen für die deutsche Tariflandschaft voraus. Doch die Warnung vor einer stärkeren Entsolidarisierung der Beschäftigten ist übereilt - ebenso wie vor "britischen Verhältnissen", also vor ständigen Arbeitskämpfen durch Splittergewerkschaften. Denn im Moment ist nicht absehbar, wie sich das Urteil im Alltag auswirken wird.

Einiges lässt sich allerdings jetzt schon mit gutem Grund vermuten: So werden sich keineswegs plötzlich massenhaft Minigewerkschaften gründen, die sich gegenseitig Konkurrenz machen.

Diese sind als Modell nur dann erfolgreich, wenn ihre Mitglieder Schlüsselpositionen in Betrieben besetzen, sie bei Streiks also Wirkung entfalten können. Für solch hoch spezialisierte Berufsgruppen existieren schon längst Spartengewerkschaften, so wie es etwa bei Ärzten, Piloten oder Lokführern der Fall ist.

In den allermeisten Branchen jedoch ist eine aufwändige Neugründung gegen die alteingesessene Großgewerkschaft aussichtslos - es wird neben Ver.di kaum neue VerkäuferInnengewerkschaften geben.

Aus diesem Grund ist auch die Gefahr, dass sich Beschäftigte entsolidarisieren, gering. Mit der innerbetrieblichen Solidarität ist es seit Jahren ohnehin nicht mehr weit her, den Ärzten etwa sind die Löhne der Krankenschwestern herzlich egal.

Die Tarifeinheit als solche ist längst von der Realität überholt worden. Ihre Abschaffung kann viele Effekte haben: zum Beispiel für jene Gewerkschaften, die mit teils hanebüchenen Abschlüssen Lohndrückerei fördern.

Einerseits öffnet ihnen die nun erzwungene Öffnung mehr Einfallstore in Betriebe. Andererseits geraten sie stärker unter Druck, sich an Lohnniveaus des Flächentarifs anzupassen.

Bei der Zukunft der Tarifeinheit ist also bisher vor allem eines sicher: Die von DGB und BDA betriebene Schwarzmalerei sorgt eher für Verwirrung unter den durch die Krise verunsicherten Beschäftigten, als dass sie der Sache dient.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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