Debatte Balkan: Serbiens Hallstein-Doktrin

Serbien erkennt das Kosovo nicht als Staat an und will es politisch isolieren. Um eine Perspektive zu eröffnen, müsste es zu einer echten Bewältigung der Vergangenheit kommen.

Als sich die Staaten des westlichen Balkans, zu dem alle Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens sowie Albanien zählen, zum Gipfelgespräch in Slowenien trafen, reiste der serbische Staatspräsident Boris Tadic gar nicht erst an, weil auch Vertreter des Kosovo eingeladen waren. Die serbische Haltung ist klar: Das Kosovo, das von Serbien nicht als Staat anerkannt wird, soll politisch isoliert werden. Diese Haltung erinnert an die sogenannte "Hallstein-Doktrin", an die sich die Bundesrepublik in den 60er-Jahren gehalten hat. Für die damalige DDR sollten die Türen zu internationalen Institutionen verschlossen bleiben, befand die Bundesregierung in Bonn, andernfalls drohte sie, sich selbst aus diesen Institutionen zurückzuziehen.

Letztlich ging diese Strategie nicht auf, die DDR wurde Mitglied der UNO und anderer internationaler Organisationen. Mit der pragmatischen Politik des "Wandels durch Annäherung", die von Willy Brandt und Egon Bahr getragen wurde, nahm die Bundesrepublik Stück für Stück Abschied von ihrem Konfrontationskurs. Diese Entwicklung führte schließlich über den Entspannungsprozess von Helsinki zur Öffnung der Mauer und zur politischen Wende von 1989 und 1990.

Belgrad aber will trotz der Kriege, die es in den 1990er-Jahren verloren hat, und der Klagen wegen systematischer Kriegsverbrechen, die vor dem Gerichtshof in Den Haag laufen, nach wie vor mit dem Kopf durch die Wand. Die EU ist zwar gespalten, ob sie das Kosovo anerkennen soll. Aber die fünf Länder, die die ehemalige serbische Provinz bislang nicht anerkannt haben - es sind Griechenland, die Slowakei, Rumänien, Spanien und Zypern - haben nicht genug Einfluss, um die Politik Brüssels grundlegend zu bestimmen. Und ob Russland und China die serbische Position im UN-Weltsicherheitsrat noch lange Zeit stützen werden, ist ungewiss. Auch besitzt Serbien kein solches außenpolitisches Gewicht wie die Bundesrepublik, die schon früh als wirtschaftlicher Riese auftrat. Es stellt sich also die Frage, ob Serbien nicht ein Eigentor schießt.

Vor einigen Jahren gab es mal eine kurzlebige, aber sehr gute Idee: Alle Staaten Südosteuropas sollten in Sarajevo vertreten sein, um dort über einen gemeinsamen Markt und Projekte zu verhandeln, eine gemeinsame Strategie gegen Korruption und Kriminalität zu entwickeln und sich den Herausforderungen der globalisierten Welt zu stellen. Das multinationale Stadt Sarajevo sollte so zum politischen Zentrum des Balkans werden. Die meisten Regierungen begrüßten die Idee. Nur ein Staat sperrte sich vehement dagegen: Serbien.

Wo ist Südosteuropas Mitte?

Belgrad sei die natürliche Hauptstadt Südosteuropas, hieß es schon damals in Serbien. Erstmals seit den Niederlagen in den Balkankriegen beanspruchte Serbien damit wieder eine führende Position für sich. Heute sagt Vuk Jeremic, der jung-agile Außenminister Serbiens, wenn Serbien zwischen dem Kosovo und der EU wählen müsse, würde es das Kosovo wählen. Wenn er Serbien dabei als "stabilisierenden Faktor" in der Region preist, klingt das ein bisschen nach Slobodan Milosevic, der sein Regime ebenfalls als "stabilisierenden Faktor" empfahl, während er die Kriege in Kroatien, Bosnien und im Kosovo betrieb. Letztlich legt diese Formulierung nahe, Serbien sei von gefährlich unstabilen Staaten umgeben und somit im Recht, in der Region für "Ordnung" zu sorgen.

Solche Töne machen den Nachbarn Angst - und das sollen sie wohl auch. Gegen den ehemaligen Kommandeur der kosovo-albanischen Befreiungsarmee UÇK und späteren Ministerpräsidenten des Kosovo, Agim Çeku, sowie dem ehemaligen bosnischen Spitzenpolitiker und Universitätsrektor Ejub Ganic hat Serbien überdies internationale Haftbefehle erwirkt. Ganic wurde Anfang März auf serbischen Antrag hin in London verhaftet. Auch Jovan Divjak, der einst die bosnischen Verteidigungstruppen im belagerten Sarajewo kommandierte, muss mit Reisen ins Ausland künftig vorsichtig sein, denn die serbische Justiz wirft ihm und weiteren Personen Kriegsverbrechen vor. Für die serbische Justiz stellt der Widerstand gegen die großserbischen Eroberungspläne eine Straftat dar, dort spricht man wörtlich vom "serbischen Sarajevo". Das ist allerdings so, als hätte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg von Frankreich die Auslieferung von Résistance-Kämpfern verlangt, weil sie während des Krieges deutsche Soldaten getötet haben sollen.

Keine Aufarbeitung der Kriege

Alle Vorwürfe wurden vom UN-Tribunal in Den Haag schon längst untersucht und verworfen. Um die juristische Seite geht es in Wirklichkeit auch gar nicht. So wurde Ganic just an dem Tag verhaftet, an dem der bosnische Serbenführer Radovan Karadzic vor dem UN-Tribunal auftrat. Mit der Verhaftung von Ganic sollte der Welt, vor allem aber der serbischen Bevölkerung suggeriert werden, während der Balkankriege hätten alle Seiten Verbrechen begangen, ergo seien alle Völker des Balkans gleichermaßen schuldig. Es habe sich um einen Bürgerkrieg und nicht um eine serbische Aggression gehandelt, die das ehemalige Jugoslawien zerstört habe. Dabei geht es um Rechtfertigung und Rechthaberei, nicht um Recht und Gerechtigkeit.

Um der Region eine Friedensperspektive zu eröffnen, müsste es zu einer echten Bewältigung der Vergangenheit kommen. Für Serbien hieße dies, Karadzic und seine Politik nicht länger zu verteidigen, sondern als nationale Schande zu begreifen. Dazu gehörte es, die Nachbarvölker als gleichberechtigte Partner anzuerkennen - das gilt auch für die Albaner des Kosovo - und alle Ränkespiele aufzugeben, Bosnien territorial zu spalten und den "serbischen" Teil mit Serbien zu vereinen. Mit dieser Politik behindert Belgrad nicht nur die eigene wirtschaftliche und politische Entwicklung, sondern in Südosteuropa insgesamt.

Immerhin gibt es in Serbien Kräfte, die auf einen anderen Kurs drängen. Cedomir Jovanovic und seine Liberale Partei, die mit den Bündnisgrünen kooperiert, Teile der regierenden Demokratischen Partei und der Zivilgesellschaft in Belgrad wollen weg von der Politik der Konfrontation. Man kann nur hoffen, dass diese Minderheit in Serbien bald mehr Einfluss gewinnt.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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