Debatte Rechtsextremismus: Textbausteine gegen rechts

Der Mordanschlag in Passau ist kein Zeichen für eine ansteigende Rechtsradikalität. Entgegen der Hysterie: Rassismus gedeiht weiterhin in der gesellschaftlichen Mitte.

Das Attentat auf den Alois Mannichl ist ein Lehrstück auf den längst gescheiterten regierungsamtlichen Antifaschismus. Wieder einmal wird auf die zentralen Fragen mit den immergleichen Textbausteinen geantwortet und damit die eigentliche Analyse rechtsextremer Gewalt umschifft. So heißt es auch jetzt erneut: "Was tun gegen rechts?" - "Die NPD verbieten." "Was sind die Ursachen brauner Ideologie?" - "Mangelnde Aufklärung." "Wie gefährlich ist der rechte Sumpf? - "Er wird immer gefährlicher."

Schon seit zwanzig Jahren wird Rechtsterrorismus in konjunkturellen Schüben mediengerecht hochgeschrieben - stets unter Zuhilfenahme einer Eskalationsrhetorik. Jenseits dessen hört man aber kaum etwas zum Thema, außer dass die Mehrheit der rechten Bombenbauer gleichzeitig V-Leute des Verfassungsschutzes waren.

Die sattsam bekannten Politikerparolen von "Entrüstung" bis "Schämt euch!" dokumentieren die lärmende Sprachlosigkeit, die eine ernsthafte Kontroverse über Ursachen übertüncht und lähmt. Die Diskussionen im Anschluss an den Anschlag in Passau zeigen es erneut: Der sogenannte Kampf gegen rechts basiert nicht auf einem ernst zu nehmenden Streit um die einzig relevante Frage: Wie ist die deutsche Gesellschaft und Nation verfasst? Die Identität der Deutschen ist immer noch völkisch und "kulturell", nicht aber politisch definiert, und basiert auf dem Ausschluss der Einwanderer. Niemand hat auch nur die Absicht, über die Ursachen von Rassismus und Antisemitismus ernsthaft und kontrovers zu diskutieren.

Die Lobbygruppen unterschiedlicher politischer Milieus instrumentalisieren sowohl Täter als auch Opfer rechtsextremer Gewalt. Es stört inzwischen gar nicht mehr, wenn Kritiker die Ursache rechter Gewalt in der "Mitte der Gesellschaft" verorten, also dort, wo sich fast alle politischen Parteien zu Hause fühlen. Selbst in Volkshochschulen wird gelehrt, dass Neonazis nicht die Ursache, sondern ein Symptom für ein rassistisches Klima sind, das sich jenseits des "extremistischen" politischen Randes entwickelt - in der bürgerlichen Mitte. Doch dieser Befund führt zu nichts. Niemand in der sogenannten Mitte fühlt sich aufgerufen, das Notwendige zu denken und etwa die deutschen Gesetze gegen Einwanderung und Abschiebeknäste in einen Zusammenhang mit rassistischen Vorurteilen der Bevölkerung bringen. Wer staatlichen und gesetzlich legitimierten Rassismus thematisiert, gerät stattdessen automatisch unter den Generalverdacht des Linksextremismus.

Rassistisch motivierte Angriffe gegen Immigranten, sozial Schwache oder linke Jugendliche oder gar Morde sind keine Einzelfälle. Vor acht Jahren quälten Rechtsextremisten im brandenburgischen Potzlow einen Sechzehnjährigen bestialisch zu Tode. Die Bundesregierung spricht von vierzig Toten, Opferverbände geben hundert Tote mehr an, die seit der Wiedervereinigung auf das Konto der Ultrarechten gingen. Trotz dieser Zahl existiert kein ernst zu nehmendes Konzept, wie diese Ideologie aus den Köpfen wieder herauszubekommen sei. Stattdessen wiederholen sich die Sprechrituale entlang altbekannter Fronten: Die einen rufen nach dem Obrigkeitsstaat, andere nach mehr Geld für Projekte, die das Logo "Gegen Rechts" auf ihre Fahnen gestickt haben. Beides macht offensichtlich keinen Sinn, sonst stünden wir nicht nach acht Jahren genau dort, wo damals der viel besungene "Kampf gegen rechts" seinen Ausgang nahm.

Wer ist potenzielles Opfer rechter Gewalt? Jeder. Alois Mannichl ist kein "Linker" - auch wenn der Polizeichef öffentlich bekundet hat, es gebe Neonazis sogar im bundesrepublikanischen Muster-Freistaat Bayern. Mannichl hat nur eine politische Meinung, schweigt nicht, sondern äußert sie freimütig. Das macht ihn zu einem ungewöhnlichen Beamten.

Trotzdem ist Mannichl ein parteipolitisch unabhängiger Rechter. Seine ordnungspolitischen Ideen entsprechen dem Motto "Law and Order": Hart durchgreifen, der Staat muss Flagge zeigen, wehrhafte Demokratie. Wer meint, ekelhafte politische Ideen wie die der kackbraunen Kameraden dadurch effektiv bekämpfen zu können, indem man deren Symbole beschlagnahmt oder sogar Hakenkreuzfahnen aus Gräbern ausbuddeln lässt, hat nichts begriffen, ist sich aber des kostenlosen Beifalls der schlicht strukturierten öffentlichen Meinung gewiss. Der Passauer Polizist wird nicht schon dadurch zum politischen Vorbild, weil er Opfer neonazistischer Gewalt geworden ist. Seine Art und Weise, gegen Nazis zu sein, entspricht nur der deutschen Leitkultur: "Melden", "Durchführen", "Verbieten".

Aktionen "gegen rechts" sind nämlich nicht schon deshalb schön, gut und wahr oder gar sinnvoll, weil Neonazis sich über diese ärgern. Ganz im Gegenteil. Doch anstatt den Kampf gegen den deutschen Rassismus breit anzulegen, setzt jede politisch motivierte Gewalttat verlässlich einen öffentlichen Diskurs in Gang, der keine Parteien und also politische Analysen mehr kennt, sondern nur noch beduselte Deutsche. Sobald von Neonazis die Rede ist, heißt es reflexhaft: Kopf ab zum Gebet und zum Kampf gegen Rechts und hoch die Lichterkette.

In der wohlfeilen kollektiven Empörung sind sich alle gleich: Die Räuber-und-Gendarm-Antifa, die schon immer gewusst hat, dass "der Staat" wegschaut, über die Freunde der immer noch quasioffiziellen Staatslehre, der Totalitarismusdoktrin "Rot gleich "Braun" ("gegen Extremismus") bis hin zu SchilySchäuble-kompatiblen Hardlinern (hart, härter, am härtesten) oder gar fragwürdigen "Demokraten" wie Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, der Einsperren und "Isolieren" für rechte Gewalttäter fordert.

Was wird folgen, welche Konsequenzen kann man aus dem Attentat von Passau ziehen? Keine. Nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen lag das Tatwerkzeug auf dem Fensterbrett, angeblich noch vom Lebkuchenschneiden. Ein Vorsatz wird dem Täter, falls das stimmt, nur sehr schwer nachzuweisen sein. Niemand hätte etwas verhindern können. Das rechtsextreme Milieu zieht nicht zufällig auch Leute in seinen Bann, die ihre ganz private Apokalypse ausleben, diese a posteriori politisch legitimieren und Menschen angreifen und sogar ermorden, auch wenn sie vorher wissen, dass sie dafür für Jahre hinter Gittern verschwinden.

Die aktuelle und immer leicht hysterische Attitüde, es gebe immer mehr Neonazis in Deutschland und diese agierten immer dreister, ist im Sinne des Wortes maßlos. Vergleiche sind immer falsch und beleidigen die Opfer. Ist der Messerangriff auf einen bayerischen Polizisten schlimmer als die Mordanschläge von Mölln oder das Pogrom von Hoyerswerda waren? Ist die jüngste Gewalttat eine "neue Qualität" gegenüber dem Polizistenmord des Neonazis Kai Diesner vor elf Jahren? Wer ausgerechnet jetzt so tut, als kulminiere rechte Gewalt, agiert zynisch und hat offenbar sein Gedächtnis verloren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.