taz-Chefredakteurinnen über die junge taz: Unten ist oben

Informelle Hierarchien lassen sich nicht einfach so aufbrechen. Es braucht Ermutigung für die, die in der zweiten Reihe sitzen, erklärt Luise Strothmann. Unterstützung findet ihr Team bei Ines Pohl.

Ines Pohl (re.): Dass die taz ihre Leitung aus der Hand gibt, hat gute Tradition. Bild: taz

LUISE STROTHMANN ist die neue taz-Chefredakteurin:

Der Raum, in dem sich die taz zu ihren Redaktionskonferenzen trifft, liegt im ersten Stock des Rudi-Dutschke-Hauses. In der Mitte des Zimmers sind acht Tische zu einem Quadrat aufgestellt, 20 Leute können dort sitzen. Einen Meter dahinter gibt es einen zweiten Kreis von Stühlen, sie stehen direkt an den Wänden.

Neue PraktikantInnen setzen sich fast automatisch in die zweite Reihe. Niemand sagt ihnen vorher, dass sie dort zu sitzen hätten - in den taz-Konferenzen darf jeder reden. Aber trotzdem ist es meist der innere Kreis, der spricht. Die etablierten Redakteure, die sich seit Jahren mit ihren Themen beschäftigen, die Experten.

Wenn wir in dieser Woche die Köpfe der taz austauschen, dann wollen wir die Leute von der zweiten in die erste Reihe holen. Bis zur Samstagsausgabe lesen Sie eine Zeitung, die maßgeblich von Menschen gestaltet wird, die jünger sind als die taz. Zum 31. Geburtstag werden eine Woche lang alle redaktionellen Leitungsposten von tazlern unter 31 Jahren besetzt - Volontärinnen, Praktikanten, jungen Redakteurinnen. Die vorherigen Chefs werden zu Mitarbeitern.

Das Projekt soll keine Saturnalien sein, keiner dieser Feiertage im Alten Rom, an denen die Sklaven für einen Tag die Herren sind und nach denen alles weitergeht wie zuvor. So etwas brauchen wir nicht, wir sind keine Sklaven: Die taz ist schon heute jung - der jüngste Ressortleiter ist 30 Jahre alt. Schon jetzt schreiben Volontäre Aufmacher auf der Seite eins, prägen viele von uns die taz entscheidend mit.

Vielleicht wäre die beste Zeitung die, in der sich kaum etwas änderte, wenn innerhalb der Redaktion Hierarchien getauscht würden. Weil sowieso die interessantesten Themen in die Zeitung kommen - egal, ob sie vom Praktikanten vorgeschlagen werden oder von der Ressortleiterin. Aber an Tageszeitungen sehen wir hier, was für unsere Gesellschaft gilt: Es funktioniert nicht, sich darauf zurückzuziehen, dass sich Gutes von allein durchsetzt, dass es keinerlei Regulierung in diesem Prozess braucht. Viele Menschen, die etwas beitragen könnten, brauchen ermutigende Strukturen. Ihren begegnen Barrieren, Verhaltenscodes, die ausschließen. Stuhlreihen. Daran müssen wir in allen Bereichen der Gesellschaft arbeiten.

Vielleicht stellen wir im taz-Konferenzraum in dieser Woche noch ein paar Tische dazu. Damit es nur noch eine erste Reihe gibt. Und dort bleiben wir dann auch nach diesem Samstag sitzen.

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INES POHL war bis vergangene Woche taz-Chefredakteurin:

Vieles, was in anderen Zeitungshäusern Alltag ist, ist bei der taz unmöglich. Undenkbar, dass Chefredaktion oder Verlagsleitung sagen, in welche Richtung ein Kommentar gehen soll, oder verbieten, über dieses oder jenes zu berichten. Unabhängigkeit wird großgeschrieben - nicht nur, was die wirtschaftliche Seite, sondern auch, was die Strukturen im Haus betrifft. Die taz ist ein Gemeinschaftsprodukt. Die Redaktion diskutiert und streitet über die Auswahl und Gewichtung von Themen: manchmal lautstark, manchmal mit tränenerstickter Stimme. Bei der taz entscheiden die JournalistInnen, was ins Blatt kommt. Wirtschaftliche Beziehungen spielen so wenig eine Rolle wie die Wünsche der Anzeigenkunden.

Trotzdem haben sich über die Jahre explizite und informelle Führungsstrukturen etabliert. Solche Hierarchien sollten in erster Linie dafür sorgen, dass nicht nur die lautesten Stimmen gehört werden, sondern die klügsten Argumente am Ende siegen. So weit zumindest das theoretische Selbstverständnis.

In der Praxis sieht das mithin durchaus anders aus. Nicht, weil die KollegInnen die Gründungsideen der taz nicht mehr leben wollen. Wohl aber, weil sich in jedem System über die Jahre Strukturen herausbilden, die nicht nur positiv sind. Daher rührt die Idee, die taz für eine Woche auf den Kopf zu stellen.

Dass die taz ihre Leitung aus der Hand gibt, hat gute Tradition. So haben in der Vergangenheit Schriftsteller, Cartoonisten. Achtundsechziger-Aktivisten und andere Gäste immer wieder die Leitung für eine Ausgabe übernommen. Dieses Projekt will aber mehr, als nur eine spannende Eintagsfliege produzieren. Natürlich geht es dabei um andere Inhalte und Darstellungsformen. Die MacherInnen setzen bewusst andere Schwerpunkte, eine wesentliche Rolle wird die Verknüpfung Print und Online spielen. In einzelnen Bereichen haben die MacherInnen das Blatt ganz schön durcheinandergewirbelt: Manche stilprägende Seite oder Rubrik fällt ganz weg, einige Ressorts wurden zusammengelegt.

Das Projekt zielt in erster Linie aber nach innen. Weil es eben auch in der größten Schülerzeitung der Nation, wie die taz gern von Freund und Feind bezeichnet wird, etablierte Machtstrukturen gibt, die nicht immer dem Wohl der Zeitung und ihrer Entwicklung dienlich sind. In diesem Sinne gibt die Chefredaktion die Leitung gern ab. Ich bin gespannt auf die kommende Woche und die Debatten über das journalistische Grundverständnis, das Produkt, aber auch die Abläufe im Haus. Und darauf, ob und was wir davon in Zukunft beibehalten werden.

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