Debatte Konjunkturprogramme: Vertrauen als rhetorische Blase

Rettungspakete und Konjunkturprogramme sollen jetzt die Wirtschaft stabilisieren. Diese Maßnahmen verbergen, dass wir es mit einer echten Systemkrise zu tun haben.

Alles darf irgendwann zusammenbrechen - das römische Reich, der Realsozialismus, Lehman Brothers und die neoliberale Diskurshegemonie. Nur der Kapitalismus nicht. Er wird sogar das Weltall überleben. Dafür garantiert, außer der postmarxistischen linken Theorie, in praktischer Hinsicht der Staat, der soeben aus Ruinen auferstanden ist.

Jedenfalls tut er so, obwohl er vor kurzem selbst noch klamm war, während die Dollars und Euros aus dem Füllhorn des Investment-Bankings nur so zu sprudeln schienen. Dass es sich dabei um eine historisch beispiellose Kreditblase handelte, interessierte nicht, solange es gut ging. Die seit 2007 schwelende Hypothekenkrise in den USA war aber nur der Katalysator für eine längst fällige Kernschmelze des globalen Kreditsystems, die sich seit den "schwarzen Montagen" im Herbst diesen Jahres Bahn bricht. Plötzlich ist der Staat als rettender Krisenmanager gefragt, der nun seinerseits das Füllhorn schwenkt.

Allein die USA haben Rettungspakete in der Größenordnung von acht Billionen Dollar geschnürt, davon drei Billionen als Risikoschirm für Kreditausfälle (Bürgschaften), drei Billionen in Form von Kapitalspritzen (Teilverstaatlichung von Banken durch Kauf von Aktien) und fast zwei Billionen durch Staatskredite an den Finanzsektor. Innerhalb der EU belaufen sich die ähnlich strukturierten Rettungspakete der Bundesrepublik, Frankreichs und Großbritanniens auf umgerechnet rund 2,2 Billionen Dollar.

Bis jetzt wurde nur ein Bruchteil der Summen ausgegeben. In den Staatshaushalten erscheint das zunächst nicht als Neuverschuldung für Staatskonsum, sondern in Form von verzinslichen Gläubigertiteln und Wertpapieren. Die Hoffnung besteht darin, dass sich mit diesen Maßnahmen wieder "Vertrauen" im Finanzsektor bildet, die Bürgschaften großenteils nie fällig werden, die Banken ihre beim Staat aufgenommenen Kredite bedienen können und die Kurse der aufgekauften Bankaktien irgendwann wieder steigen, sodass für die Staatsfinanzen am Ende womöglich sogar ein Gewinn herausschaut.

Diese Hoffnung allerdings ist blauäugig. Pate steht die Erfahrung mit den staatlichen Rettungsaktionen beim Zusammenbruch des US-Sparkassensystems Ende der 80er Jahre und bei der skandinavischen Bankenkrise in den 90er Jahren. Diese Stützungsaktionen waren aber nur deshalb erfolgreich, weil sie sektoral beschränkt blieben und im Rahmen eines ungebrochenen Aufwärtstrends der globalen Kreditblasen-Ökonomie stattfanden. Jetzt aber ist das Platzen dieser Blase bis in die hintersten Winkel des Weltmarkts spürbar. Glaubte man anfangs noch, die Krise ließe sich auf die USA und einige Ausläufer in Westeuropa begrenzen, so hat sie inzwischen auch Russland, Osteuropa sowie Teile Asiens und Lateinamerikas erreicht. Die EU muss bereits nicht nur das Bankensystem ihrer Kernstaaten sanieren, sondern neue Beitrittsländer - vom Baltikum bis Ungarn - vor dem Staatsbankrott retten. Und die Kettenreaktion dauert noch an.

Die Metapher der "Vertrauensbildung" ist selbst eine rhetorische Blase. In Wirklichkeit geht es nicht mehr um die Stimmungslage im Finanzsektor, sondern um einen harten objektiven Tatbestand. Das globale Kreditsystem hat sich nicht von einer an sich gesunden Realökonomie entkoppelt, sondern im Gegenteil eine unhaltbare Defizitkonjunktur geschürt. Die realen Verwertungsbedingungen des Weltkapitals, wenn man von so etwas noch sprechen darf, waren schon in den 80er Jahren an Grenzen gestoßen. Das in den 90er Jahren gefeierte jobless growth beruhte nur auf einer substanzlosen Kreditfinanzierung, die keine Grundlage in realen Löhnen und Profiten mehr hatte. Die fiktiven Einkommen aus der Immobilienblase in den USA, Großbritannien oder Spanien und das damit verbundene "Konsumwunder" bei stetig fallenden Realeinkommen waren nur die Spitze des Eisbergs. Deshalb legt die gar nicht mehr "reale" Weltwirtschaft zusammen mit dem Kreditcrash jetzt eine Vollbremsung hin.

Während die klaffenden Löcher im Finanzsystem noch gar nicht gestopft sind, werden gleichzeitig staatliche Konjunkturprogramme fällig. Die USA möchten auch hier in die Vollen gehen; Obama hat eine Konjunkturspritze von fast 900 Milliarden Dollar angekündigt. In der EU dagegen stirbt die Hoffnung zuletzt; die Merkel-Regierung glaubt sich mit mickrigen 11 Milliarden Euro aus der Affäre ziehen zu können und Finanzminister Steinbrück fabuliert über eine moderate Neuverschuldung von lediglich 8 Milliarden Euro für 2009. Dass die Verhältnisse nicht so sind, zeigt sich an der Diskussion über drastische Steuersenkungen und sogar Konsumgutscheine von 500 Euro für jeden erwachsenen Bundesbürger. Wenn aber das Ende der defizitären Weltkonjunktur die Steuereinnahmen abschmilzt, der Staatskredit den einbrechenden Warenabsatz auffangen soll und gleichzeitig die astronomischen Sanierungskosten des Finanzsystems real anfallen, ist der Kollaps der Staatsfinanzen programmiert. Die Staatsillusion ist nur die Fortsetzung der Kreditblasenillusion.

Das staatliche Krisenmonopoly wird auch in einem "geopolitischen" Diskurs für bare Münze genommen, der eine globale Machtverlagerung in Richtung China und Indien prognostiziert. Aber diese vermeintlichen Wachstumswunder sind nicht autonom, sondern völlig in den Defizitkreislauf der Weltwirtschaft eingebunden. Wenn der Kollaps der US-Staatsfinanzen den Dollar entwertet, können sich die Staatsfonds der Schwellenländer für ihre scheinbar unerschöpflichen Dollarguthaben vielleicht noch eine Runde Bier leisten. Die industriellen Arbeitsplätze der einseitigen Exportindustrialisierung, die ohnehin hauptsächlich auf den Investitionen transnationaler Konzerne und ihrer fiktiven Wertschöpfungsketten beruhen, stehen auf tönernen Füßen. Der Dominoeffekt der Weltwirtschaftskrise wird binnen Kurzem auch China, Indien und nicht zuletzt Japan überwältigen. Die sich dort schon abzeichnenden Crashs des Kreditsystems, das Ende des Exportbooms und die sozialen Verwerfungen einschließlich eines Absturzes der neuen Mittelklasse können bald alle Weltmacht-, Raumfahrt- und Rüstungsprogramme zunichte machen.

Weltweit steht die marktwirtschaftlich befriedete politische Linke mit offenem Mund da. Alle pragmatische Realpolitik in der besten aller Welten erweist sich als Lebenslüge. Der Epochenbruch von 2008 dementiert nicht den von 1989, sondern bildet dessen Fortsetzung. Denn das Ende des östlichen Staatskapitalismus gehörte ebenso wie die asiatischen und lateinamerikanischen Krisenschübe der 90er Jahre und der Dotcom-Crash 2001 zu den Vorboten einer allgemeinen Weltmarkt- und Systemkrise.

Der Kapitalismus scheitert an seinen eigenen Kriterien. Politisches business as usual war gestern. Das wird sich spätestens dann herumsprechen, wenn die Krise in den Alltag der postmodernen Ich-AG-Menschen durchbricht. ROBERT KURZ

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