Kommentar Grün-Rot in Baden-Württemberg: Viel mehr als ein Bahnhof

Grün-Rot wird vielleicht nicht Stuttgart 21 verhindern können. Aber der Wählerauftrag ist erfüllt. wenn künftige Mammutprojekte nicht mehr an der Bevölkerung vorbei geplant werden.

Der Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg ist in trockenen Tüchern, die Unterschrift eine Formalität, und im Mai wird zum ersten Mal in Deutschland ein grüner Ministerpräsident gewählt. In diesem Zusammenhang wird gern von Meilensteinen und historischen Augenblicken geredet, weil interessante neue Entwicklungen ohne begleitenden Theaterdonner derzeit offenbar nicht auskommen.

Dabei müssten gerade die Anhänger dessen, was einst in Bonn als "rot-grünes Projekt" begonnen hatte, wissen, dass Pathos fast immer Enttäuschung nach sich zieht. Das Bündnis in Baden-Württemberg ist ohnehin schon mit sehr hohen, vermutlich überhöhten Erwartungen befrachtet. Was allerdings vor allem daran liegt, dass das Augenmerk der Öffentlichkeit stärker auf symbolträchtige Themen als auf langfristige Entwicklungen gerichtet ist.

Beispiel Stuttgart 21. Sollte bei einer Volksabstimmung darüber das Quorum verfehlt werden, dann wäre das bitter für die Gegner des Bahnprojekts und heikel für die grün-rote Regierung. Aber zu einer Zerreißprobe oder gar zu einem Bruch der Koalition müsste das nicht führen. Denn die Frage, wie der Bahnhof von Stuttgart künftig aussehen wird, ist keine Schicksalsfrage - auch wenn manche Demonstranten eine solche Einschätzung für Häresie halten mögen.

Stuttgart 21 ist teuer, unsinnig, anachronistisch, und das Projekt wurde auf undemokratische Weise geplant. Aber wenn der Tiefbahnhof kommt, dann bedroht das nicht die Lebensgrundlage künftiger Generationen. Im Gegensatz, beispielsweise, zur kommerziellen Nutzung der Atomenergie.

Sollten die Proteste gegen Stuttgart 21 erreicht haben, dass künftig derartige Mammutprojekte nicht mehr an der Bevölkerung vorbei geplant werden, dann waren sie selbst dann erfolgreich, wenn der Tiefbahnhof am Ende doch gebaut wird. Und sollte es der neuen Koalition in Baden-Württemberg im Rahmen der Möglichkeiten einer Landesregierung gelingen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dann hat sie einen Wählerauftrag erfüllt.

Um Weichenstellung für die Zukunft geht es jetzt, nicht nur um die Korrektur von Fehlentscheidungen der Vergangenheit. Unter diesem Blickwinkel sind die Äußerungen von Winfried Kretschmann im Hinblick auf neue "Mobilitätskonzepte" interessant. Er sollte daran gemessen werden, ob er das durchhält.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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