Kommentar Einzelhandel-Tarif: Weiblich, Teilzeit, schlecht bezahlt

Dank Mindestlohn-Debatte: Wenn über niedrige Löhne verhandelt wird, sitzt der Wähler heimlich mit am Tisch. Das verleiht Schlechtverdienerinnen ein bisschen Druckpotenzial.

Es war schon eine Rarität, was sich da im Einzelhandel abspielte: 15 Monate dauerte dort der Streik, den dennoch kaum jemand spürte, fast niemand wahrnahm. Wenn mehr als die Hälfte der Beschäftigten in einer Branche in Teilzeit ackern, wenn die Arbeitskräfte austauschbar und Frauen sind, dann stellen sich die Machtverhältnisse anders dar, als wenn die IG Metall zum Arbeitskampf bläst und die Reihen bei Daimler oder Porsche festgeschlossen in die Fernsehkameras blicken. Und dabei wollten die Verkäuferinnen nur verhindern, dass ihnen die Zuschläge für die Spätarbeit gestrichen werden; es ging gar nicht um hohe Lohnforderungen. Der Streik wirft also ein Schlaglicht darauf, wie Arbeitskämpfe beim Dienstleistungsproletariat künftig verlaufen könnten - und was am Ende die Arbeitgeber doch bewegt, einem Abschluss zuzustimmen.

So stellte sich zunächst einmal heraus, dass ein Streikaufruf für viele Verkäuferinnen schlichtweg eine Überforderung bedeutet. Im Handel gibt es immer nichtige Gründe, weswegen einer Teilzeitkraft gekündigt werden kann. Wer streikt, kann später abgestraft werden. Und wo die Arbeitskraft wenig wert ist, wirkt auch das Mittel des Streiks nur schwach - eine kalte Logik, die jede Gestaltungsmacht einer Gewerkschaft gerade für die Schwächsten begrenzt.

Die Arbeitgeber haben dem Abschluss also nicht deshalb zugestimmt, weil sie sich vor der Kampfeskraft ungesicherter Minijobberinnen gefürchtet hätten. Vielmehr wollten die Einzelhandelsunternehmen schlichtweg einen tariflosen Zustand vermeiden, denn dieser hätte die politische Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn plötzlich sehr plausibel erscheinen lassen. Bloß keine staatlichen Eingriffe heraufbeschwören! Dann lieber Ordnung durch einen Tarifabschluss, in dem auch die Arbeitgeber Kompromisse machen. Das ist eine interessante Verschiebung. Der Staat, also die Wähler sitzen neuerdings heimlich auch am Tisch, wenn über niedrige Löhne tariflich verhandelt wird. Die politische Drohung mit einem gesetzlichen Mindestlohn schwingt im Hintergrund mit. Mehr Druckmittel für die Schlechtverdiener gibt es derzeit nicht. BARBARA DRIBBUSCH

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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