Kommentar Drohende Kernschmelze Japan: Wettlauf mit dem GAU

Das Beben und das Risiko der Kernschmelze zeigt, dass "Risikotechnologie" keine Worthülse ist. Was jetzt bleibt, ist die Fassungslosigkeit.

Es ist ein Irrsinn, aber wahr: Knapp 25 Jahre nach der Reaktorexplosion von Tschernobyl zittert die Welt um einen Meiler im fernen Japan. Er steht da ohne Strom, die Notstromaggregate laufen nicht an, die Batterien für die letzten Kühlpumpen gehen dem Ende entgegen. Die Internationale Atomenergiebehörde in Wien beruhigt schon mal, weil der Wind ja zum Glück auf den weiten Pazifischen Ozean hinausweht und nicht in Richtung Korea oder China.

Ob der Reaktorkern nun wirklich schmilzt oder rechtzeitig die Stromversorgung wieder läuft, war beim Schreiben dieser Zeilen unklar. So bleibt wieder einmal die Fassungslosigkeit angesichts der Katastrophe. Japan ist kein armes Land, es ist die drittgrößte Industrienation der Erde. Trotzdem gibt es keinen Schutz gegen solch ein Beben, gegen zehn Meter hohe Tsunamiwellen. Der Schaden lässt sich durch Vorsorge höchstens minimieren.

Das Gegenteil von Vorsorge sind Atomkraftwerke. Natürlich ist Japan in einer Zwangslage: Das Land hat weder Kohle noch sonst nennenswerte fossile Energien. 80 Prozent des Energiebedarfs werden importiert, der Rest ist praktisch Atomenergie. Soll man diesen heimischen Rest auch noch aufgeben? Die Japaner hatten sich dagegen entschieden. Nach einem kurzen Flirt mit erneuerbaren Energien tat sich die letzten Jahrzehnte kaum noch etwas auf diesem Sektor. Ihre riesigen Konjunkturprogramme betrafen den Straßenbau und das Ankurbeln des Konsums, nicht Photovoltaik oder Windkraft.

Das Beben mit seinem Tsunami führt vor Augen, dass "Risikotechnologie" keine leere Worthülse ist. Die risikoreiche Technik Atomkraft ist billig im Betrieb, denn die Prämie für das Risiko wird erst am dicken Ende fällig. Alle wissen das, aber es lässt sich ja so leicht verdrängen, dieses Wissen. Je mehr Atomkraftwerke wir betreiben, desto öfter wird die Risikoprämie fällig.

Ob nun der Nachschub an Batterien oder Stromaggregaten in Japan rechtzeitig kommt, werden wir bald wissen. Aber auch wenn der Wettlauf mit dem GAU, dem größten anzunehmenden Unfall, mal wieder gewonnen werden sollte: AKWs müssen abgeschaltet werden; in Japan, in Deutschland, überall. Denn sie sind zu teuer für die Menschheit. Auf kurze wie auf lange Sicht.

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Reiner Metzger, geboren 1964, leitet taz am Wochenende zusammen mit Felix Zimmermann. In den Bereichen Politik, Gesellschaft und Sachkunde werden die Themen der vergangenen Woche analysiert und die Themen der kommenden Woche für die Leser idealerweise so vorbereitet, dass sie schon mal wissen, was an Wichtigem auf sie zukommt. Oder einfach Liebens-, Hassens- und Bedenkenswertes gedruckt. Von 2004 bis 2014 war er in der taz-Chefredaktion.

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