Kommentar Postkapitalismus (II): Wie schrumpft man eine Bank?

Postkapitalismus (II): Die Finanzindustrie muss kleiner werden. Aber wie? Die Einlagen der Sparer sollen ja nicht gefährdet werden. Das Problem: Die Krise ist total und global

Es gab mal einen Film, dessen Titel sich sofort einprägte: "Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft". Nicht gerade subtil, aber wirkungsvoll wurde damit gespielt, dass der Nachwuchs normalerweise nur eine Richtung kennt - er wächst.

So ähnlich ist es mit den Banken. Sie sind auf Expansion geschaltet. In dem Film wurden die Kinder durch ein Hightech-Gerät zu Zwergen - und ein ähnlicher Wundermechanismus wird nun auch für die Finanzindustrie gesucht.

GERHARD SCHERHORN (VI):

Finanzkapital rettet die Banken

BARBARA DRIBBUSCH (V):

Schwarzer Schwan

ANKE DOMSCHEIT (IV):

Die neuen Trümmerfrauen

RUDOLF WALTHER (III):

Innenausstatter mit Ethik gefragt

SASKIA SASSEN (I):

Primitive Akkumulation

Denn es besteht kein Zweifel, dass der Bankensektor kleiner werden muss. Nur wie? An diesem Punkt schweigen sich viele Kommentatoren auffällig aus. Auch die New Yorker Soziologin Saskia Sassen belässt es bei der Forderung, "den Finanzmarkt zu schrumpfen" (taz, 6. 3. 09). Dies sei "die größte Herausforderung".

Bei den Fakten sind sich noch alle einig: Gefährlich viele Banken sitzen auf Schrottpapieren, die momentan wertlos sind. Irgendwie muss dieser Billionen-Müll entsorgt werden, ohne dass Millionen von Kleinsparern ihr Vermögen verlieren. Die Bürger haben ihr Geld zu den Banken getragen, die sich damit dann auf den internationalen Finanzmärkten verspekuliert haben.

In der Sprache der Bilanzbuchhalter kann man das politische Problem auch so ausdrücken: Die "Verbindlichkeiten" der Bank - also die Einlagen der Kunden - sollen ihren nominellen Wert behalten. Doch gleichzeitig nimmt der reale Wert der "Forderungen" rasant ab, die mit diesen Kundeneinlagen finanziert wurden: Subprime-Hypotheken in den USA fallen aus, Gewerbe-Immobilien sinken auch im Preis, und immer mehr Konsumkredite werden nicht mehr zurückgezahlt.

Um es in der Alltagssprache zu formulieren: Sämtliche Regierungen stehen vor dem Paradox, dass die Girokonten, Festgelder und Sparanlagen der Bürger ihren ganzen Wert behalten sollen, obwohl sie eigentlich einen Teil ihres Wertes verloren haben. Die Quizfrage lautet also: Wie schrumpft man eine Bank, ohne die Einlagen der Sparer zu schrumpfen?

Der erste Schritt verlief weltweit synchron: Man hat einfach staatliches Geld in die Banken gepumpt - und sie faktisch teilverstaatlicht. Prominente Beispiele sind die Citigroup in den USA, die Royal Bank of Scotland in Großbritannien, Fortis in den Benelux-Staaten. Deutschland hat die Commerzbank zu bieten, wo der Staat nun 25 Prozent hält. Allerdings ist die Bundesrepublik insofern eine Ausnahme, als viele der Problembanken sowieso schon staatlich waren - von der IKB bis zu den Landesbanken.

Nun steht Schritt zwei an, und da beginnen die ungelösten Fragen: Was fängt der Staat mit den Schrottbanken und -papieren an? An dieser Stelle fällt nun meist das Stichwort "Bad Bank": Die faulen Wertpapiere sollen an diese Extrabank verkauft werden, die den Finanzschrott dann jahrelang geduldig abwickelt. Gleichzeitig starten die geretteten Banken von vorn, indem der Staat Kapital zuschießt und sie jene Vermögenswerte behalten, die sich als gesund erwiesen haben. Zudem soll eine bessere Regulierung dafür sorgen, dass die neuen Banken nicht ähnliche Müllpapiere anhäufen wie ihre Vorgänger. In dieser schönen Modellwelt wäre der Finanzsektor tatsächlich geschrumpft.

Es muss allerdings verstören, dass über "Bad Banks" schon fast so lange diskutiert wird, wie die Finanzkrise währt - und bisher keine einzige gegründet wurde. Das Modell hat offenbar Tücken.

Unübersehbar ist die ideologische Barriere, die sich bei fast allen Politikern zeigt: Bad Banks können nur optimal funktionieren, wenn vorher die Pleite-Banken komplett verstaatlicht wurden. Sonst ist die Gefahr zu groß, dass sich Bankaktionäre und Management auf Kosten der Steuerzahler sanieren. Doch das Wort "Verstaatlichung" ist weltweit noch immer tabu, obwohl inzwischen Milliarden an Staatsgeldern in das marode Bankensystem gekippt wurden.

Noch wichtiger ist ein fundamentales Problem: Die jetzige Krise könnte zu total und zu global sein, als dass sich der Finanzsektor geordnet schrumpfen ließe. Im Rückblick wird man geradezu nostalgisch, wie putzig frühere Bankenkrisen anmuten.

Beispiel Schweden, Anfang der 90er-Jahre: Diverse Großbanken gerieten in Schwierigkeiten, weil eine heimische Immobilienblase platzte. Der Staat gründete eine "Bad Bank", kaufte die faulen Wertpapiere auf, und bald war die Krise vergessen. Die Regierung machte langfristig noch nicht mal Verluste. Denn die Exporte nahmen zu, die Wirtschaft erholte sich und die Preise für Immobilien stiegen wieder. Am Ende ließ sich ein großer Teil der Ramschkredite noch recht profitabel verwerten.

Doch diese Erfolgsgeschichte lässt sich nicht wiederholen, was schon bei den Kosten beginnt: In Schweden waren nur 4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nötig, um die Banken zu retten. Diesmal hält allein die Royal Bank of Scotland Schrottpapiere, die rund 20 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung ausmachen. Zudem war die Bankenkrise in Schweden ein lokales Ereignis, während die Weltwirtschaft zeitgleich boomte. Die Skandinavier konnten also aus ihrer Pleite "herauswachsen", indem sie eine Exportoffensive starteten. Dieser Trick ist jetzt jedoch ausgeschlossen, weil alle Staaten gleichzeitig in der Krise verharren. Es ist gar nicht zu überschätzen, was es bedeutet, dass sich die Welt erstmals seit 1929 in einer globalen Rezession befindet. Damals, so zynisch es klingt, wurde die Krise erst wirklich überwunden, als der Zweite Weltkrieg wie ein gigantisches Konjunkturpaket für die USA wirkte.

Und diesmal? Aus der Geschichte der Weltwirtschaftskrise lässt sich zumindest lernen, dass eine schwere Bankenkrise nicht ohne Wachstum zu überwinden ist. Wenn die Wirtschaft boomt, sind die Billionen-Verluste irgendwie wegzudrücken. Doch bisher kommt die Konjunktur nicht in Gang, stattdessen ist zu beobachten, dass sich Finanz- und Wirtschaftskrise gegenseitig verstärken. Es wäre ein Wunder, wenn es 2010 auch nur minimal aufwärts ginge.

Vor allem aber: Selbst wenn es gelingen sollte, einen Aufschwung zu erzeugen, dürfte der Boom nicht lange dauern. Denn der Ölpreis würde sofort wieder auf 150 bis 200 Dollar pro Barrel springen - und die Konjunktur erneut abwürgen. Peak Oil ist eine Tatsache, die inzwischen noch nicht einmal mehr von der internationalen Energieagentur geleugnet wird. Die Höchstmengen bei der Ölförderung sind überschritten, und damit muss sich die Welt auf einen neuen Jo-Jo-Effekt einstellen: Jeder Aufschwung trägt umgehend zum nächsten Abschwung bei.

Die Finanzkrise allein ist nicht das Ende des Kapitalismus - aber zusammen mit der Rohstoffknappheit könnte es schwierig werden für das jetzige Wirtschaftssystem, das so sehr auf quantitativem Wachstum beruht. Wie man eine Bank schrumpft, ist also nicht die einzige Frage. Genauso dringend stellt sich bald ein weiteres Problem: Und wie baut man die Autoindustrie zurück?

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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