Debatte Verschleierte Frauen: Wut über Doppelbotschaft

Das Tragen von Schleiern verschiedenster Machart ist kein religiöses, kein marginales Problem, sondern ein feministisches Problem.

Wieder einmal wird ein absolut zweitrangiges Problem zur Staatsaffäre frisiert", schrieb Rudolf Walther in der taz (vom 17. 8.) über die französische Debatte zum Thema Burka. Gerade mal 357 Burka-Trägerinnen gebe es nach offiziellen Zahlen in Frankreich, und wer dieses "marginale" Problem politisch und damit auch medial hochspiele, befeuere nur die ohnehin großen Spannungen.

Sorry, aber mir geht es genau andersherum: Ich habe ein Problem damit, wie die schon lange unter der Oberfläche köchelnde gesellschaftliche Debatte über die Kleidung von Frauen politisch und medial heruntergespielt wird. Möglicherweise kann Herr Walther da einfach kein Problem erkennen, weil er noch nie darauf angesprochen worden ist, ob er sich auch richtig kleidet. Ich schon.

In einem ist ihm natürlich recht zu geben: Es ist ganz und gar widerwärtig, wenn Ausländerhasser und Rechte im Allgemeinen Kopftuch und Burka als angeblich ostentativ religiöse Symbole für ihre Zwecke funktionalisieren - inklusive des von Rudolf Walther kritisierten französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der sich in höchst opportunistischer Weise über den Ganzköperschleier als "Problem der Freiheit und der Würde der Frau" ausließ. Aber die unbedingt notwendige Abgrenzung von solchen Leuten führt eben auch dazu, dass ein ebenfalls existierendes Problem ignoriert wird: das Problem, dass im öffentlichen Raum für alle sichtbar verhandelt wird, wie sich Frauen zu kleiden haben. Frauen, niemals Männer. Weshalb die jüdische Kippa auf Männerköpfen kein politisch-medialer Aufreger ist und auch nicht funktionalisiert wird.

Es geht nämlich keineswegs um Religion. Die ewigen Diskussionen darüber, ob das Tragen von Kopftüchern, Kreuzen oder Kippas mit einem laizistischen Gemeinwesen zu vereinbaren ist, sind bloße Spiegelfechterei. Auch dass ich für mich persönlich Religion ablehne, gleich ob christlich, muslimisch oder die Church of the Flying Spaghetti Monster, tut hier nichts zu Sache. Soll ein jeder nach seiner Fasson selig werden. Diese allerorten eingeforderte Toleranz möchte ich aber auch für mich in Anspruch nehmen. Meine Fasson, selig zu werden, beinhaltet etwa, dass ich in einer Gesellschaft leben möchte, die das humanistische Grundprinzip der Gleichberechtigung anerkennt.

Wir haben uns diese Rechte mühsam genug erkämpft. Frauen können - und das ist noch gar nicht lange so - ohne Zustimmung ihres Mannes berufstätig sein, ein eigenes Konto führen, sich ohne Klärung der Schuldfrage scheiden lassen und auch abtreiben lassen. Und sie können sich anziehen, wie sie wollen. Wie sich Frauen kleiden, ist im Deutschland des 21. Jahrhunderts lediglich eine Frage des guten oder schlechten Geschmacks - und nicht der Moral oder Immoralität. Dachte ich jedenfalls bis vor kurzem.

Unlängst musste ich mich eines Besseren belehren lassen. Unversehens sprach mich in Berlin-Kreuzberg ein Mann von hinten an: "Zieh dir einen BH an, es stört mich, wie du rumläufst." Der Mann war um die 30 Jahre alt und nach Aussehen und Aussprache zu urteilen mit türkischen Migrationshintergrund ausgestattet. Ich wiederum, anderthalb Jahrzehnte älter als er und in einem Alter, in dem man auch im alternativen Kreuzberg gesiezt wird, fühlte mich mit langer Hose und kurzärmeligem T-Shirt - mehr konnte er von hinten ohnehin nicht sehen - mitnichten wie eine wandelnde Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Leider fallen einem in solchen Situationen die schlagfertigen Antworten immer erst hinterher ein. In dem Moment war ich nur wortlos, geplättet und fühlte mich erniedrigt. Welches Recht nehmen sich solche Typen eigentlich heraus, nicht nur über die Kleidung fremder Frauen zu urteilen, sondern ihnen dieses Urteil auch noch in einem Befehlston mitzuteilen? Und damit komme ich wieder auf das Problem, dass ich mit dem Tragen von Kopftüchern habe, von den in Berlin glücklicherweise relativ seltenen Ganzkörperschleiern ganz zu schweigen. Es ist nicht das oft unterstellte paternalistische Mitleid, das ich verspüre - schließlich erklärt man mir, dass viele, gerade auch junge Frauen das Kopftuch nicht aus familiärem oder religiösem Zwang, sondern als stolzen Ausdruck ihrer Identität tragen. Es ist Zorn. Warum? Es hat eine Weile und die eben beschriebene Begegnung gebraucht, bis ich meinen eigenen so gar nicht politically correcten Emotionen auf die Spur kam.

Die Gründe für meine Wut

Ich bin zornig, weil das Verhüllen von Körper und Kopf eine Aussage darstellt, die ich persönlich nehme. Die Aussage lautet nicht nur: "Seht her, das ist meine Religion, und darauf bin ich stolz!" Sie lautet auch: "Seht her, ich bin züchtig und keusch, ich bin keine Schlampe, keine Nutte!" Und solch eine Aussage beinhaltet stets auch ihr Gegenteil: Wer sich nicht so kleidet, ist im Umkehrschluss wohl nicht züchtig und nicht keusch. Also alles voller Schlampen und Nutten in diesem Sündenbabel Berlin, mich eingeschlossen. Dadurch fühlte sich der Mann in Kreuzberg so gestört.

Es ist ein gesellschaftliches Klima, das mich so wütend macht, in dem Leute wie er es zu ihrer Angelegenheit machen, ob Frauen züchtig genug sind. In dem Frauen, ganz wie in den 50er-Jahren, für die Wahrung von Sitte und Anstand in der Gesellschaft verantwortlich gemacht werden. Dass auch die Frauen selbst teilweise noch zu diesem Klima beitragen, indem sie ihre sexuelle Moral zur Schau stellen und so für den öffentlichen Diskurs freigeben, macht die Sache nicht besser. Die Frage des gesellschaftlich-moralischen Klimas ist allerdings keine, die der Staat entscheiden könnte - kein Verwaltungsgericht, das über kopftuchtragende Lehrerinnen urteilt, und kein selbsternannter Oberfeminist an der Spitze des französischen Staates. Es ist eine Frage, die wir selbst klarkriegen müssen.

Ich hatte gehofft, das hätten wir schon geschafft. Offenbar muss jedoch der Kampf um die Freiheit und Selbstbestimmung der Frauen, auch in Sachen sexueller Moral, wieder von neuem geführt werden. Aber damit das klar ist: Es ist ein feministischer, kein religiöser oder gar antimuslimischer Kampf. Und dieser Kampf war und ist keine Marginalie. NICOLA LIEBERT

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