Kommentar G-20-Gipfel: Zockende Staatschefs

Ein kommendes Wachstum soll richten, was die Politiker sich nicht trauen: Die Realwirtschaft vor dem Finanzmarkt zu schützen.

Schon im Februar waren hohe UN-Diplomaten ernsthaft besorgt: Sie fürchteten, dass die vielen internationalen Gipfel in diesem Jahr nicht die hohen Erwartungen erfüllen würden, die sich bei der Bevölkerung schon deswegen aufbauen mussten, weil sich die Staatschefs derart oft treffen wollten. Die kundigen UN-Bedenkenträger haben Recht behalten: Außer Spesen ist fast nichts gewesen. Der Weltfinanzgipfel in Pittsburgh blieb weitgehend ergebnislos. Der Spekulation sind keine Schranken gesetzt worden: Der nächste Crash kann nun ungebremst heranrollen.

Ursprünglich lautete das Ziel, dass es eine lückenlose Regulierung geben sollte, die keine Schattenbanken und keine außerbilanziellen Geschäfte mehr zulässt. Stattdessen sind nun die Vereinbarungen von Pittsburgh so vage, dass sie maximal dehnbar sind.

Am konkretesten wird es noch beim Eigenkapital, das künftig steigen soll, damit die Banken nicht sofort pleite sind, wenn sie Fehlspekulationen abschreiben müssen. Aber was heißt schon konkret: Es ist noch nicht einmal deutlich, was künftig als Eigenkapital zählen soll. Wie viel Eigenkapital vorgehalten werden soll, ist ebenfalls unklar. Klar ist nur, dass irgendwie Vorgaben erarbeitet werden, an die sich die Banken dann irgendwie bis Ende 2012 halten sollen. Die Banken haben also noch sehr viel Zeit, gezielte Lobbyarbeit zu betreiben.

Das heimliche Kalkül auf dem Weltfinanzgipfel ist überdeutlich: Die Staatschefs hoffen auf ein starkes Wirtschaftswachstum, auf dass sich die Finanzkrise von selbst erledige. Aber ein Boom ist sehr unwahrscheinlich. Auch im nächsten Jahr wird die Arbeitslosigkeit weltweit steigen, in vielen Ländern sind die Privathaushalte schon jetzt völlig überschuldet. In den USA muss die Regierung noch immer Billionen in die Wirtschaft und in den Hypothekenmarkt pumpen. Wenn die Staatschefs auf starkes Wachstum hoffen, dann sind sie nicht besser als die Banker: Auch sie zocken.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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