Kommentar Integrationsindex: Zur Integration braucht es zwei Seiten

Der neue Integrationsindex greift zu kurz, weil er nur die Migranten berücksichtigt. Aber auch die Mehrheitsgesellschaft muss ihre Integrationsbemühungen prüfen lassen.

Über Integration wird viel geredet. Doch endlich liegen dazu konkrete Zahlen vor. Mit Hilfe des Mikrozensus 2005 hat ein Berliner Demografieinstitut nun einen Index entwickelt, mit dem sich Integration messen und beziffern lässt. Ein solcher Index ist überfällig, denn bislang kam die Integrationsdebatte häufig ohne empirische Grundlage aus. Die Zahlen machen nun ein besseres Bild der Migrationsrealität möglich.

Die Zahlen zeigen nun, dass vor allem türkischstämmige Migranten in Sachen Integration besonders schlecht abschneiden. Aber worauf stützt sich dieser Befund? Dazu reicht es sicher nicht aus, Integration allein am ökonomischen Erfolg und sozialen Aufstieg zu messen. Auch sagt das Ranking nach Städten und Ländern mehr über die Wirtschaftskraft und die Zusammensetzung der örtlichen Migrantencommunitys aus als über den Erfolg einer bestimmten Integrationspolitik. Aspekte wie soziale Partizipation, gesellschaftliches Engagement oder Diskriminierungserfahrungen sind als Kriterien der Integration längst anerkannt. Sie werden in der Studie aber nicht berücksichtigt, weil sie nicht im Mikrozensus erfasst werden. Hier müssen neue Daten erhoben werden.

Noch wichtiger aber ist: Integration hat zwei Seiten. Entsprechend muss das Verhalten der Mehrheitsgesellschaft betrachtet werden. Wer alle Defizite nur bei den Migranten festmacht, der greift zu kurz. So werden die Schäubles und Böhmers wieder einmal die Deutschtürken auffordern, Deutsch zu lernen, mehr für die Bildung ihrer Kinder zu tun und sie nicht zur Heirat zu zwingen. Doch so richtig diese Appelle sein mögen: der Staat muss auch etwas tun – und dazu muss Geld fließen. Wo bleiben denn die Sozialarbeiter, die sich um gefährdete Hauptschüler kümmern? Wo die Erzieherinnen, die allen Kleinkindern gleichermaßen gutes Deutsch beibringen? Und wo die Beratungsstellen und Frauenhäuser, die bedrängten türkischen Frauen Hilfe leisten?

Die Konzepte dafür gibt es. Doch in Zeiten der Finanzkrise mangelt es an Geld – und am politischen Willen. Doch mit dem neuen Index lassen sich künftig auch Fortschritte – oder Rückschritte – in der Integrationspolitik messen.

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Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.

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