Zweite Runde von "Du bist Deutschland": Aktion Elternstolz

Die Kampagne "Du bist Deutschland" geht in die zweite Runde: Jetzt sollen wir nicht nur Vaterlandsliebe pflegen, sondern auch kinderfreundlich werden.

Durch Persiflagen ins kollektive Bewusstsein: "Du bist Deutschland"-Kampagne Bild: dpa

Beim samstagabendlichen Zappen zwischen Breaking News über Marco W. und der Ziehung der Lottozahlen taucht aus dem Nichts ein Spot auf: Dessen Slogan, obwohl erst gegen Ende verkündet, lässt sich schon am Anfang erahnen und ist ein alter Bekannter. "Du bist Deutschland!" wird dem Zuschauer eingeimpft, der sich ja schon längst an diesen Zustand gewöhnt hat. Kein genervtes Raunen mehr auf der Couch. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

"Du bist Deutschland" ist, auch dank zigtausenden einfallsreicher Persiflagen, so tief ins kollektive Bewusstsein eingesickert, dass es nicht mehr übel aufstößt. Elektronikdiscounter haben längst von ihren gröbsten werbebotschaftlichen Dumpfheiten gelassen, sie durch andere ersetzt, doch dieser Spruch, der bleibt nicht nur, er ist schon geblieben. Jetzt wird mit einer mit demselben Slogan für mehr Kinderfreundlichkeit geworben.

Ist es wirklich schon zwei Jahre her, dass sich dieser Spruch "Du bist Deutschland" zum ersten Mal in das damals schwere Gemüt der, nun ja, Deutschen eingebrannt hatte? Dass von unzähligen Plakatwänden ins graue Land hineinschrie? Damals sollten wir, nun ja, Deutsche aus dem tiefen Tal der Tränen geholt werden. Die Stimmung war schlecht, alle wollten oder sollten raus. Ärzte nach England, Ossis in die Wintersportindustrie nach Österreich, alle anderen wollten in Australien, Schweden oder Norwegen ihr Glück suchen. In diesem Land war kein Blumentopf mehr zu gewinnen.

Aber dann kam die Fußball-Weltmeisterschaft, die Fanmeile, der Sonnenschein - und die Italiener kamen uns zuvor. Es wurden die WM-Kinder gezeugt - Halbzeiterzeugnisse - das Elterngeld, und nun haben wir, nun ja, Deutschen den Salat. Überall Kinder, knallvolle Spielplätze und klodeckelgroße Augenringe. Durch Schlafmangel hervorgerufene Fettleibigkeit, Ebbe im Portemonnaie, breiverschmierte Küchentische, Bobbycarspuren im Flur und lauter indiskutable Literatur im Regal. Elternbücher.

Wer muckt da schon auf, wenn uns, nun ja, Deutschen gesagt wird, wir seien Deutschland. Zur Widerrede viel zu müde, schauen wir uns die süßen Gesichter an. Die Abwehrhaltung gegen den Slogan wich schön längst einer Gewöhnung. So ist das eben mit Marken, und nichts anderes will diese Kampagne uns einimpfen.

Die besten Argumente nimmt der TV-Spot sowieso vorweg: laut, teuer, mit fortschreitendem Alter immer komplizierter. Gegen diese Horrorvisionen wird das altruistische Glück der Elternschaft gestellt. Ein Kind allein schafft es nicht, es braucht das ganze Land, um Mensch zu werden. Das stimmt so, denn schließlich gehört zum Menschen immer die Gesellschaft, in der er lebt.

Und mit den Kindern ist es so, als habe sich die perfide Telekom, mit der man ja als Verbraucher gern mal Ärger hat, sich plötzlich entschieden, uns allen den Telefonanschluss gratis zur Verfügung zu stellen. Das Unternehmen finden alle fürchterlich, doch gegen gratis hat man natürlich nichts, und gegen Kinder auch nicht.

Das Tal der Tränen haben wir, nun ja, Deutschen überwunden. Die Elternschaft aber noch nicht. Deswegen sitzen wir am Samstagabend vor dem Fernseher, anstatt ins Restaurants zu gehen oder in der Disco zu tanzen. Der Spot mit den vielen tollpatschigen Kindern und verzweifelten, aber auch seligen Eltern beruhigt. Hat das eigene Kind nicht auch den Hang, den Schnuller anzubieten? Kleine Gesten erhöhen den Wiedererkennungswert. Zum ersten Mal seit langem, so leicht ist das einfach Gemüt zu überlisten, fühlt man sich gar nicht mehr allein mit dieser Bürde, sondern weiß, da draußen gibt es ganz viele, die von den gleichen Ängsten geplagt werden.

Doch sind wir Deutschland? Eher Eltern. So schleicht man nach dieser frohen Botschaft zum Kinderbettchen und betrachtet verliebt den eigenen Nachwuchs. Schläft ruhig, die Welt zu Hause ist in Ordnung. Wunderbar. Dann weiter im schlechten Abendprogramm.

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