50 Jahre Lego-Klötzchen: Auf der Spur der Steine

Legosteine sind nicht nur Kinderkram, sondern ein pädagogisch wertvoller Teil der Popkultur. Heute wird das vielleicht berühmteste Spielzeug der Welt 50 Jahre alt.

Lego lässt den Baufantasien freien Lauf. Bild: dpa

Manchmal hinterlassen kleine Dinge einen großen Eindruck. Wie der rote Plastikklotz mit acht Noppen, der in fast jedem Kinderzimmer liegt. Dieser unscheinbare Block hat Millionen von Kindheiten geprägt. Jeder kennt ihn, jeder mag ihn, jeder verbindet angenehme Erinnerung mit ihm, dem Legostein. Nun wird das kleine Stück Kindheitserinnerung 50 Jahre alt.

Durchschnittlich besitzt jeder Mensch auf der Welt 62 Legosteine. In jeder Sekunde werden 7 Legosets weltweit verkauft. Jede Minute werden 36.000 Legoelemente hergestellt. Mit 306 Millionen produzierten Rädern jährlich ist Lego der größte Reifenproduzent der Welt. Es existieren 4 Milliarden Legomännchen. Damit sind sie die größte Bevölkerungsgruppe. Mit allen jährlich verkauften Legosteinen könnte man einen Turm bis zum Mond bauen.

Am 28. Januar 1958 hat Ole Kirk Christiansen den Legostein in Kopenhagen patentieren lassen. Die Firma Lego gibt es schon seit 1932. Das dänische Kunstwort aus "leg" und "godt" heißt übersetzt "spiel gut". Angefangen hatte Christiansen mit Holzspielzeug. Nach einem Lagerbrand suchte er nach feuerresistenten Materialien. Beim Herumexperimentieren kam er immer wieder zum Plastik zurück. Das brennt zwar ebenfalls, aber Christiansen war fasziniert von dessen Widerstandsfähigkeit und Formbarkeit.

Nach einigen Versuchen hatte Christiansen die endgültige Form gefunden. Die Steine mit Noppen und Hohlräumen ließen sich einfach ineinanderstecken und besaßen genügend Spannung, um aneinanderzuhalten. Das erste Set war der "Stadtplan". Mit der Box mit Steinen, Bäumen und Autos konnten die Kinder eine Stadt bauen. Natürlich war das Wichtigste schon damals die beiliegende Bauanleitung.

400 Milliarden produzierte Legoelemente später ist das Unternehmen aus Billund der fünftgrößte Spielzeughersteller der Welt. Für den dänischen Konzern ist Deutschland ein wichtiger Markt. 1956 war Deutschland das erste Land, in das die Steine exportiert wurden. Hier ist Lego mit 12,4 Prozent die Nummer eins auf dem Spielzeugmarkt.

Das Erfolgsrezept besteht in der Einfachheit des Spielzeugs und den vielen Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben. Aus einer Kiste voll Steinen kann ein Kind alles bauen: einen lebensgroßen Hund, das Elternhaus oder eine Raumstation. Mit sechs der klassischen 8-Noppensteine ergeben sich 915 Millionen Kombinationsmöglichkeiten. Deshalb genießt Lego den Ruf als pädagogisch wertvolles Spielzeug.

Kreativität und Genauigkeit sollen Kinder laut Pädagogen und Eltern beim Konstruieren lernen. "Außerdem schult es die Feinmotorik und Koordination", sagt René Hoffmeister. "Es ist interessant, meinem vierjährigen Sohn beim Bauen zuzusehen. Während er einen Stein aufsteckt, hat er schon die nächsten vier in der anderen Hand parat", sagt der Betreiber der Website www.1000 steine.de.

Der Faszination des Erschaffens können sich viele Erwachsene ebenso wenig entziehen wie die Kinder. Etwa 4 Prozent der Legonutzer sind Männer. Oft sind es technisch Interessierte, die durch das Hobby Modelleisenbahn zu Lego kommen. Sie bauen aus den Steinen Szenerien für die Eisenbahnanlage. Einige finden auch durch ihre Kinder zu dem ehemals geliebten Hobby zurück. Der 32-jährige René Hoffmeister hat beim Entrümpeln seines alten Spielzeugs die Liebe zu den Steinen wiederentdeckt. Als er bei eBay nach Ersatzteilen suchte, merkte er, dass er mit seiner Leidenschaft nicht allein ist. Er freut sich, dass er nicht mehr so oft für sein Hobby belächelt wird. Vor ein paar Jahren, als Lego mit Marken wie Bionicle versuchte, fertige Produkte statt Einzelteile zum Eigenbau anzubieten, büßte die Firma kurzzeitig an Popularität ein. Nun geht das Unternehmen zurück zu den Wurzeln - und ist populärer denn je.

Auf Hoffmeister sind viele neidisch. Er bringt nicht nur in seinem Internetforum Fans zusammen, sondern ist auch der einzige deutsche "Lego Certified Professional Builder". Für ihn ist das Hobby zum Ganztagsjob geworden. Ob Modelle für eine Lego-Ausstellung gebraucht werden oder eine Firma ihr Produkt in Form eines riesigen Legomodells auf einer Messe präsentieren will - all diese Anfragen landen bei Hoffmeister. Als offizieller Modellbauer konstruiert er alles Mögliche aus Lego: "Man rennt irgendwann mit einem Legoblick durch die Gegend. Bei allem, was man sieht, überlegt man, ob es sich gut als Legomodell zum Nachbauen eignet."

Manchmal baut er auch nur zum Spaß. Wie das mehrere Meter lange Motorboot, an dem er gerade sitzt. Oder das drei Meter hohe Chrysler-Building, für das er eine Woche gebraucht hat. Eine kurze Zeit. Viele Menschen beschäftigen sich Monate oder gar Jahre mit einem Gebäude. Wenn Hoffmeister sich an seinen Werken satt gesehen hat, macht er sie wieder kaputt und baut etwas Neues daraus. "Das Zerstören tut mir nicht weh. Auch meine Kinder dürfen beim Bauen Mithelfen. Denn eigentlich ist es ja ein Spielzeug", sagt Hoffmeister. Deshalb macht er sich anders als viele Legomaniacs vorher keinen Plan. Er baut einfach drauflos.

So viel Improvisation kann sich Markus Kossmann nicht erlauben. Er ist Produktentwickler und erfindet neue Spielzeuge für die Lego-Technik-Reihe. Die komplexen Modelle von Baggern, Kränen und Fahrzeugen sind in Deutschland beliebter als in jedem anderen Land der Welt. Deshalb hören die Dänen auf die Vorschläge der deutschen Kollegen, wenn neue Technik-Produkte entwickelt werden. Kossmann entwirft alle Teile am Computer. Benötigt er für ein neues Modell ein Einzelteil, das es noch nicht gibt, entwirft er es einfach mit. Das wird mit einer speziellen Software direkt angefertigt und liegt am nächsten Tag fertig zum Bauen auf seinem Schreibtisch. Dann beginnt die aufwendigste Phase: das Bauen und der Feinschliff. Manchmal sind 30 Ansätze nötig, bis aus einer Idee ein marktreifes Modell wird. Einige Entwürfe werden sofort verworfen, weil sie schwierig zu bauen oder zu teuer sind. Oder weil die gewünschten Funktionen und das Design nicht zueinanderpassen.

Bis ein großer Bausatz fertig ist, brauchen die Entwickler bis zu acht Monate. "Für diesen Job muss man ein Perfektionist sein", sagt Kossmann. Entscheidend sind vor allem die kritischen Tester. Nur wenn die das Konzept verstehen, kommt es auf den Markt. Mehrmals im Jahr lädt das Unternehmen Kinder ein, um die neuen Produkte auszuprobieren. Bei ihrer Kritik sprechen die Kids eine eigene Sprache. Nicht nur mit Worten. Das Team beobachtet, wer wie lange mit welchem Produkt spielt und wann sich die Augen aufgeregt weiten oder nur fragend umherschauen.

Kossmann ist bei solchen Tests als Entwickler auch dabei. Als langjähriger Legofan ist er stolz auf seinen Job und seinen Arbeitgeber. "Die Lego-'Star Wars'-Produkte sind so populär, dass viele Kids glauben, 'Star Wars' wäre eine Erfindung von Lego", sagt er zufrieden.

Einer der vier Legoland-Freizeitparks steht in Bayern. Für Interieur und Dekoration wurden allein im Park Günzburg über 50 Millionen Steine verbaut. Lego gehört inzwischen genauso zur Popkultur wie Coca-Cola und MTV. Weil es Dinge vereinfacht und uns zeigt, dass man alles in der Welt auf kleine Einzelteile reduzieren kann. Man muss nur verstehen, wie sie zusammengesetzt werden. Umgekehrt zeigt Lego, dass jeder aus winzigen Teilen Großes schaffen kann. Nach dem Kindesalter noch Legomännchen im Regal stehen zu haben ist cool. Spätestens seit es Figuren von "Harry Potter", "Spiderman" und "Star Wars" gibt.

Die Steine und Männchen gehören fest zum Alltag, weil die Szenarien mit den allgemeinen Trends mitgewachsen sind. 1961 kamen mit dem ersten Zug komplexere Spielwelten. 1974 brachten die ersten Figuren Leben in die Klötzchenwelt. 1977 wurde Lego Technik ins Leben gerufen, das mit den detaillierten Modellen vor allem ältere Jungs anspricht. Durch eine Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology war es Ende der 80er-Jahre möglich, die Modelle über den PC zu steuern. In den 90ern kamen Roboter hinzu.

Den Durchbruch in die Populärkultur verschafften dem Unternehmen Lifestyleprodukte wie die Lego Studios Filmsets von bekannten Hollywoodstreifen mit Kamera und Filmsoftware, mit denen vor allem erwachsene Jungs ihre eigenen Filme drehen. Auch die Lego-"Star Wars"-Videospiele sind besonders bei Älteren beliebt. In diesem Jahr folgen Figuren und ein Lego-Videospiel zu den "Indiana Jones"-Filmen. Sogar ein Onlinerollenspiel im Stil von "World of Warcraft" ist geplant. Dort erleben Fans als Legomännchen gemeinsam im Internet Abenteuer

All die Themenwelten zeigen, dass einfach alles mit Lego umzusetzen ist. Eine ideale Voraussetzung nicht nur zum Spielen, sondern auch zum Lernen. Darauf bauen auch die weniger bekannten Sparten der dänischen Firma. Für das Projekt Lego Education entwickeln Pädagogen Konzepte und Materialien für den Unterricht. Lehrer können etwa Sets mit Zahnrädern und Hebeln für den Physikunterricht bestellen. Dass das Bauen bei den Kids besser ankommt als Lehrbücher, überrascht nicht.

Ungewöhnlicher wirkt die Idee hinter Serious Play, einem Konzept für die Industrie. Kjeld Kristiansen, jetziger Firmeninhaber und Enkel des Firmengründers, war Ende der 90er-Jahre unzufrieden mit den Ergebnissen der strategischen Meetings. Um mehr Schwung in die Sitzungen zu bringen, ließ er die Mitarbeiter mit Legosteinen ihre Ideen bauen. Das Konzept wurde immer weiter ausgefeilt und wird inzwischen von vielen Firmen eingesetzt. Weltkonzerne wie Daimler, eBay, Vodafone und Ikea haben es bereits genutzt, um in kleinen Gruppen konstruktive Vorschläge und Problemlösungen zu erzielen. In den Meetings bauen Angestellte 3-D-Modelle und erklären, was sie sich dabei gedacht haben. Männer mit Krawatte und Frauen im Businesskostüm, die Legosteine zusammensetzen - für Außenstehende ein skurriles Bild.

Das Konzept soll tatsächlich helfen: Es soll bei schüchternen Menschen Hemmungen abbauen, die Kreativität fördern und ungewöhnliche Ideen hervorbringen. Lego ist einfach überall. Im Kinderzimmer, im Physikunterricht und auf den Konferenztischen bei Daimler.

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