Tag der Linkshänder: Das Ende des Rechtsdrills

Lange wurden Linkshänder umerzogen, teils mit drastischen Methoden. Das ist vorbei - die alltägliche Diskriminierung nicht.

"Endlich schreiben, wie es mir gefällt." Bild: dpa

Dieses Gefühl, irgendwie anders zu sein, ließ Astrid Baldauf ihr Leben lang nicht los. Oft war sie verwirrt, überfordert von einer fremden Welt, der sie sich anpassen musste. Und das strengte an. So sehr, dass sie sich nicht mehr konzentrieren konnte. In der Schule hatte Baldauf regelmäßig Blackouts, Lernlücken taten sich auf. Manchmal hatte sie das Gefühl, nie ganz in diese andere Welt hineinzugehören. Dabei ist Baldauf eigentlich ganz normal - sie entspricht nur nicht der Norm. Denn Astrid Baldauf ist Linkshänderin.

Für die dominante Seite

"Das Problem ist, dass die Welt für Rechtshänder eingerichtet ist", sagt Johanna Barbara Sattler, Psychotherapeutin und Begründerin der ersten Linkshänderberatung in Deutschland. Knöpfe an Druckern, Computermäuse, Maschinen in den Firmen. All das ist auf die dominante rechte Seite zugeschnitten. Schon die Sprache hat einen starken Rechtsdrall: Alles was Recht ist, ist gut, ist jemand link, ist er schlecht. Jahrelang versuchte man alle Linkshänder in eine rechte Norm zu passen - mit teils drastischen Methoden: Lehrer und Eltern banden linke Hände der Kinder auf den Rücken, gipsten sie ein, stülpten Fäustlinge darüber. Alles bloß, damit das Kind nicht seiner natürlichen Prägung folgen kann.

"Bis Mitte der Achtziger hat man fast jedes linkshändige Kind umgeschult", sagt Sattler, selbst Linkshänderin, "das war gängige Praxis." Auch bei Astrid Baldauf. Ihre Grundschullehrerin stellte sie vor die Wahl, alleine zu sitzen oder mit rechts zu schreiben. Wann immer sie den Stift automatisch in die linke Hand nahm, herrschte die Lehrerin das Mädchen an: "Ja was seh ich denn da, den Stift in der linken Hand. Ja machen wir denn das?" Alle starrten Baldauf an. "So herausgehoben zu werden, leistet man sich genau einmal", erzählt die 56-Jährige. Von da an hat sie geübt. Mehr als drei Jahre lang. Erst dann konnte sie wirklich flüssig mit rechts schreiben.

Der Termin: Am nächsten Freitag, den 13. August, ist internationaler Linkshändertag. Der Amerikaner Dean Campbell hat ihn 1976 ins Leben gerufen, um auf die Diskriminierung und die Bedürfnisse der Linkshänder hinzuweisen. In gewisser Weise ist das auch ein Tag für Ludwig van Beethoven, Paul McCartney, Bob Dylan, Jimi Hendrix, Kurt Cobain, Leonardo da Vinci, Johann Wolfgang von Goethe, Bill Gates, Isaac Newton, Bill Clinton und Barack Obama. Sie alle sind oder waren schließlich Linkshänder.

Der Test: Viele wissen nicht, dass sie Linkshänder sind. Das lässt sich aber recht einfach herausfinden. Wenn Sie von diesen zehn Tätigkeiten fünf automatisch mit links machen, kann es gut sein, dass Sie eigentlich Linkshänder sind: Zähne putzen, unterschreiben, Brot streichen, Blumen gießen, Kartoffeln schälen, greifen, kleine Gegenstände aus einem Gefäß nehmen, Nägel feilen, Tisch wischen, Streichholz anzünden. Wer es genauer wissen will, kann sich von Experten testen lassen.

Wie Baldauf ging es vielen: Der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin zufolge dürften 10 bis 15 Prozent aller Menschen Linkshänder sein. Mindestens, schätzt Expertin Sattler. "Genaue Aussagen darüber kann man erst in ein oder zwei Generationen machen." In die Statistik gehen viele Umgeschulte, denen das vielleicht gar nicht bewusst ist, noch nicht mit ein.

Stefan Klöppel, Psychiater an der Universitätsklinik Freiburg, erforscht seit fünf Jahren die unterschiedliche Gehirnfunktion von Links- und Rechtshändern. Im Labor lässt Klöppel Linkshänder, Rechtshänder und umgeschulte Linkshänder Knöpfe drücken, mit dem Finger auf etwas zeigen oder andere einfache Bewegungsabläufe machen. Am Bildschirm kann er dann sehen, welche Gehirnbereiche dabei aktiv sind. Vor einigen Wochen hat der Wissenschaftler seine Studien veröffentlicht. Ergebnis: Für die Steuerung einer Handbewegung ist die jeweils entgegengesetzte Gehirnhälfte zuständig. Drückt der Proband mit rechts, erkennt Klöppel, wie die linke Gehirnhälfte arbeitet. "Bei Umgeschulten jedoch sehen wir, dass in der Regel beide Gehirnhälften aktiv sind", stellt er fest. Für die Koordination komplexer motorischer Tätigkeiten gibt es also kein klares Aufgabenfeld mehr. Möglicherweise haben die Koordinationsschwierigkeiten und Verwirrungen umgeschulter Linkshänder damit zu tun. "Das könnte aber auch an dem Druck liegen, dem sie damals ausgesetzt waren", sagt Stefan Klöppel.

Der Forscher konnte zudem sehen, dass bei Umgeschulten zusätzlich Areale im Gehirn, die für die Aufmerksamkeit zuständig sind, aktiver waren: Umgeschulte Linkshänder müssen sich schon für einfache Bewegungen stärker konzentrieren. "Komplett umschulen kann man Linkshänder also einfach nicht", schließt der Experte daraus.

Heute wird kaum mehr ein Kind umgeschult, die Zeiten des Eingipsens sind vorbei.

Die Diskriminierung der mindestens acht Millionen Linkshänder in Deutschland findet nun subtiler statt: Kaum ein Haushaltswarenladen bietet Messer, Saucenlöffel, Korkenzieher oder Dosenöffner für Linkshänder an. Größere Drogeriemärkte verkaufen zwar Linkshänderblöcke und -stifte. Lineale, Spitzer und Geldbeutel für Linkshänder gibt es dort jedoch selten. Und dass Stifthersteller ganz selbstverständlich sowohl eine Version für Rechtsschreiber als auch eine für Linksschreiber anbieten, scheint bisher die Ausnahme zu sein.

Linkshänder müssen deshalb immer noch in speziellen Bedarfsläden, meist online, bestellen, was sie für den Alltag brauchen. Oder eben doch die Rechtshänderschere benutzen. Das ist schwerer denn je: "Jetzt, wo endlich die Linkshänder nicht mehr umgeschult werden, wird es immer relevanter, geeignete Gebrauchsgegenstände für Linkshänder zu haben", sagt Klöppel.

Richtig linkshändertauglich ist der Schulalltag aber trotz des Fortschritts noch nicht. "Den Kindern wird immer noch nicht genug der Rücken gestärkt", sagt auch Linkshänderexpertin Sattler. Kindergärtner und Lehrer müssten Linkshänder viel mehr integrieren, sie auf die richtige Seite setzen, damit sich die Kinder beim Schreiben nicht stoßen, und sie entsprechend fördern.

In ihrer Beratungsstelle übt Sattler zusammen mit gerade eingeschulten Linkshändern und Vorschulkindern, wie sie schreiben können, ohne ihre Schrift zu verwischen. Oder auch wie sie eine Linkshänderschere richtig benutzen. Auch das Selbstbewusstsein der Kinder als Linkshänder wird gestärkt: Oft haben linksschreibende Kinder so sehr Angst, anders zu sein, dass sie heimlich umtrainieren. "Die Kinder müssen wissen, dass sie normal sind."

Selbst zurückgeschult

Astrid Baldauf schreibt nun auch wieder mit der linken Hand. Sie hat sich selbst zurückgeschult, nachdem sie vierzig Jahre lang mit rechts geschrieben hatte. "Irgendwann war ich es einfach leid, mich immer anzupassen", erzählt die Sozialpädagogin. Das Umlernen war zwar mühsam, aber es hat sich gelohnt: "Das war ein bisschen wie Selbsterfahrung." Sie fühlt sich seither mehr bei sich, einfach stimmiger. Baldauf benutzt seitdem auch Linkshändermesser und -stifte. Für die Flasche Wein hat sie jedoch ein besonderes Gerät: einen badischen Korkenzieher. Der funktioniert in beide Richtungen, für Links- und Rechtshänder. Vielleicht ein guter Lösungsansatz.

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