Eine lange Linie Beton: Deutschland wird grauer

Viele halten sie für Überbleibsel von Bauarbeiten, doch auf deutschen Autobahnen werden die Mittelleitplanken zunehmend durch Betonwände ersetzt - dauerhaft.

Selbst Gelsenkirchen wird durch Betongleitwände trister. Bild: ap

"Aber die kommen doch wieder weg, wenn die mit dem Bauen fertig sind", glaubt der Sprecher im Bundesverkehrsministerium. Er ist damit in guter Gesellschaft: Viele Autofahrer halten die grauen Betonelemente in der Fahrbahnmitte von Autobahnen für Provisorien, doch die Betongleitwände beziehungsweise Betonschutzwände ersetzen an immer mehr Strecken dauerhaft die Mittelleitplanken. Es passiert vor unseren Augen, ohne dass wir es bemerken. Ob in Nordrhein-Westfalen oder Bayern - das triste Grau ist auf dem Vormarsch.

Das bestätigt auch Michael Kordon. Der Chef der Autobahndirektion Süd in Kempten betreut gleich drei Strecken, an denen zur Zeit kräftig gebaut wird: die A8 von München über Ulm bis Stuttgart, die A96 von München nach Lindau und den letzten noch nicht fertiggestellten Abschnitt der A7, die von Flensburg nach Füssen führt.

Und überall dort, wo neu gebaut oder ausgebaut wird, trifft man auf "die großen Grauen", Kritiker sagen auch "das große Grauen". Gemeint sind die meist 81 Zentimeter hohen und 2,7 Tonnen schweren Betonelemente, pärchenweise aneinander gereiht, zum Beispiel auf dem erst vor kurzem freigegebenen Teilstück der A96 zwischen München und der Allgäuer Gemeinde Erkheim. "Na ja, Deutschland wird grauer, das stimmt schon", sagt der Autobahnchef und beteuert im gleichen Atemzug, dass "die blühenden Landschaften nicht verschwinden." Auflösen freilich kann er den Widerspruch nicht, vielmehr stürzt er sich umgehend auf das Thema Sicherheit. Das greift immer.

Als Beispiel, findet er, eignet sich die Autobahn A96 zwischen München und Lindau hervorragend. Bald täglich ist die Zunahme des Verkehrs auf dieser so wichtigen Ost-West-Achse zu beobachten. Immer mehr schwere Lastwagen fahren diese Strecke parallel zur seit Jahrzehnten nicht ausgebauten Bahnstrecke München-Zürich. "Die Betongleitwände bleiben stehen, wie hier zum Beispiel, zwischen Memmingen und Erkheim auf zwölf Kilometern. Sie sollen verhindern, dass bei einem schwereren Unfall, zum Beispiel mit einem Lkw, ein Durchbrechen der Mittelleitplanke erfolgt." Die Maßgabe ist, dass die so genannte Rückhaltestufe H2 eingehalten werden muss, das heißt, ein 13 Tonnen schweres Fahrzeug, ein Omnibus beispielsweise, muss bei einem Aufprall auf die Mittelleitplanken zurückgehalten werden. Die 75 Zentimeter hohen und weithin bekannten Mittelleitplanken aus Stahl schaffen das nicht. Ähnlich widerstandsfähig wie die Betongleitwand ist die so genannte Superrail und die ist 1,20 Meter hoch (siehe Kasten).

Und was ist mit den Fahrern von Kleinwagen ohne Airbags oder mit nur wenigen? "Das ist doch eine Katastrophe", sagt ein Autofahrer und zeigt auf die wuchtigen Betonelemente. "Eine Leitplanke gibt nach und das Zeug nicht." Wütend wettert er über diese Ignoranz Kleinwagenfahrern gegenüber. Und der Mann ist nicht alleine. In Thüringen hat ein Geschäftsmann den Betonwänden den Kampf angesagt. Seit er in eine Massenkarambolage verwickelt worden war, bei der ein Mensch ums Leben kam, will er von der angeblich so hohen Sicherheit der Betonschutzwände nichts mehr wissen.

Auch einige Wissenschaftler zweifeln die vermeintliche Verkehrssicherheit der Betongleitwände an, zum Beispiel die vom Institut für Kraftfahrwesen an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen.

Bei der Polizei weiß man zudem, dass es für Kinder und ältere Menschen oft schwierig ist, über die hohen Betonklötze zu steigen, um sich in Sicherheit zu bringen. Doch ein klares Votum für oder gegen die Betongleitwände gibt es nicht. Edmund Martin, der Verkehrsexperte des Polizeipräsidiums Südwest in Kempten, der seit vielen Jahren die Autobahnen in der Urlaubsregion beobachtet, sagt, es hänge ganz stark von den jeweiligen Streckenbegebenheiten ab. "Auch Leitplanken können fürchterliche Folgen zeitigen", erklärt er am Beispiel mehrerer tödlicher Motorradunfälle im Allgäu. "Gleich mehrere Biker sind unter die Leitplanke gekommen, und genau das hat sie das Leben gekostet." Dort, wo die Gefahr groß ist, dass Fahrzeuge die Mittelleitplanken durchbrechen könnten, ist auch er für die Betongleitwände, gibt jedoch zu bedenken: "Das Drübersteigen ist dort schon schwerer als bei den herkömmlichen Leitplanken."

Auch Sabine Götz, Sprecherin des Automobilclub von Deutschland (AvD), ist zwiegespalten. In bestimmten Fällen gebe es tatsächlich ein Mehr an Sicherheit, "aber es wird eben auch der Aufprall härter." Und das könnten größere und neuere Autos besser wegstecken als kleine, ältere Fahrzeuge. ADAC-Kollege Martin Mühlbauer schließt sich ihr an: Dort wo es einen hohen Anteil an Lkw-Verkehr gibt, spreche vieles für die Betongleitwände. Der Nachteil sei, dass der Aufprall bei einem Pkw-Unfall für den Fahrer folgenschwerer ausfallen könnte. Es müsse beim Autobahnbau immer entschieden werden, was kann an dieser Stelle passieren und welcher Schutz ist der am besten geeignete.

Im Bundesverkehrsministerium ergibt erst die Nachfrage bei der Fachabteilung, dass die Tendenz bei vielbefahrenen Strecken hin zu den Betonschutzwänden geht. Auch das bayerische Innenministerium lässt eine Sprecherin verkünden: Vor allem auf vielbefahrenen Strecken, über die pro Tag mehr als 60.000 Autos rollen, seien die Betongleitwände im Kommen. Denn nach einem Unfall seien ja oft aufwändige Reparaturarbeiten an den Leitplanken erforderlich - verbunden mit Verkehrsbeeinträchtigungen. Ganz anders sei das bei Betongleitwänden. Die gingen ja nicht so schnell kaputt, wenn mal wieder ein Auto dagegenschleudert.

Da ist es endlich, das Kostenargument. Klar ist es teurer, eine verbeulte Mittelleitplanke aus Stahl zu erneuern, als ein verschobenes Betonelement wieder gerade zu rücken. Und was die Anschaffung angesichts des weltweiten Rohstoffpreisanstiegs angeht, so gibt es derzeit auch ein deutliches Plus für den Beton - rein wirtschaftlich betrachtet. Für einen Kilometer Mittelleitplankenschutz vom Typ "Superrail" müssen derzeit rund 340.000 bis 350.000 Euro hingeblättert werden, die gleiche Strecke kostet in der Betonausführung nur 280.000 Euro. Vergessen wird dabei freilich, dass nicht überall auf den oft kilometerlang gerade verlaufenden Bundesautobahnen - 12.000 Kilometer sind es in Deutschland - auch die hohen "Superrails" aufgestellt werden müssen. Vielerorts genügen nach wie vor die 75 Zentimeter hohen und deutlich günstigeren normalen Leitplanken.

Fragt man Autofahrer, was sie von den Betongleitwänden halten, fallen die Reaktionen ganz unterschiedlich aus. Eine Vorarlbergerin, die an einem Autobahnparkplatz im Allgäu eine Rast einlegt, meint: "Ich finds total irritierend, mir ist das alles zu hoch, ich meine immer, ich bin noch auf einer Baustelle." Ihre Tochter nickt zustimmend. Und Gabi aus Nesselwang findet sie "extrem einengend".

Ein Schweizer Urlauber hingegen ist uneingeschränkt für die Betonwände: "Wenns mehr Sicherheit bringt, dann ists doch gut." Und Gunter Stengl, der täglich auf der Ost-West-Autobahn A96 unterwegs ist, meint: "Da braucht man wenigstens nicht immer fürs Büscheschneiden und Grasmähen die Autobahn zu verengen."

Dass viele Wartungsarbeiten und damit auch Staus und Auffahrunfälle wegfallen, ist sowohl für die Ministeriumssprecherin in München als auch für den Chef der Autobahndirektion in Kempten das vielleicht wichtigste Argument für die Betonwände. Die Optik, so hört man derzeit oft, müsse da eben zurückstehen.

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