Neue Studie zu Papierlosen: Die Angst vor dem Auffliegen

Eine Studie über Menschen ohne Aufenthaltsstatus in Hamburg fällt ein vernichtendes Urteil: Vor allem Kinder leiden unter der Situation und leben ohne Chancen.

Oft gleich mehrfach Opfer: Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Bild: kallejipp/photocase

HAMBURG taz | "Wenn ich mich nicht auf dem Schulweg alle zehn Minuten melde, ruft meine Mutter in Panik an", sagt Lena Kowka*. Die 13-Jährige geht seit sechs Wochen in Hamburg auf ein Gymnasium. "Ich habe Angst, dass irgendwann doch die Polizei da ist", sagt Mutter Elena.

Die 41-Jährige ist im Sommer mit Lena und ihrem 16-jährigen Sohn aus einem westeuropäischen Nachbarland in die Elbmetropole gekommen, um den Kindern eine gute Schulbildung zu garantieren. Obwohl Elena mit einem Deutschen verheiratet ist, gilt sie als Papierlose ohne geregelten Aufenthaltsstatuts. Ihre Ehe wurde als "Scheinehe" deklassifiziert.

Elena Kowka ist eine von schätzungsweise 22.000 Menschen ohne Papiere in Hamburg. Die Mehrheit ist im erwerbsfähigen Alter, 30 Prozent sind Jugendliche und 8 Prozent im schulpflichtigen Alter. Diese Zahlen nennt die Studie "Lebenssituation von Menschen ohne gültigen Aufenthaltspapiere in Hamburg" des Diakonischen Werks, die in Kooperation mit der Nordelbischen Kirche und der Gewerkschaft Ver.di erstellt worden ist und am Montag der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

Obwohl Menschen ohne Aufenthaltsstatus in nahezu allen Wirtschaftsbranchen arbeiten, führten sie ein Schattendasein, heißt es darin. Ihnen würden viele Grundrechte und Mindestnormen bei Gesundheitsversorgung oder im Bildungswesen vorenthalten. Zudem seien sie oft Opfer von Mietwucher oder ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, beklagt Landespastorin Annegrethe Stoltenberg.

Auch Elena Kowka, die in einer völlig überteuerten Wohnung leben muss, ist es nur mithilfe einer Beratungsstelle, Ver.di und einem Anwalt gelungen, adäquate Schulplätze für ihre Kinder zu finden. "Es ist uns geholfen worden, dass ich nicht auf eine schlechte Schule muss", berichtet Lena Kowka. Ihrem Bruder hingegen wurde am zweiten Schultag auf dem Nachhauseweg von Jugendlichen drei Zähne ausgeschlagen.

"Der Junge wehrte sich nicht, hatte Angst vor der Polizei und dass seine Statuslosigkeit bekannt wird", erzählt Elena Kowka. "Wir haben überall Angst vor Kontrollen." Das Leben sei "fürchterlich stressig". Immerhin hätten sich Lena und ihr Bruder in der Schule eingelebt, würden gute Noten schreiben und hätten soziale Kontakte aufgebaut.

Laut der Studie stammen die meisten Papierlosen in Hamburg aus Lateinamerika, Westafrika und dem osteuropäischen Raum. Unerwartet hoch ist auch die Anzahl aus dem asiatischen Raum - darunter Indien. Die Studie moniert, dass das Zentrale Schülerregister, durch das in Hamburg verwahrloste Kinder aufgespürt werden sollen, noch immer Eltern ohne Papiere davor abschreckt, ihre Kinder in die Schule zu schicken.

Dabei hatte Bildungssenatorin Christa Goetsch (Grüne) in einem Brief an die Schulleitungen im Juni 2009 klargestellt, dass das Hamburger Schulgesetz Schulpflicht, Schulrecht und Einschulung an den Wohnort knüpfe und nicht an den Aufenthaltsstatuts. "Es wäre fatal, wenn wir diese Kinder zurückweisen, nur weil eine amtliche Bestätigung über den Wohnsitz fehlt", schrieb die Grünen-Senatorin.

Ein vernichtendes Urteil fällt die Studie über die frühkindliche Erziehung. Obwohl Sozial- und Gesundheitssenator Dietrich Wersich (CDU) in Broschüren die Kinderbetreuung in den ersten Lebensjahren als Grundlage für "gute Bildung und starke Charaktere" als eine "Herzensangelegenheit" preist, sei im Gegensatz zum Schulbesuch die Unterbringung in einer Kita unmöglich.

Denn Eltern ohne Papiere erhalten keine Kita-Gutscheine. Damit würde den Sprösslingen die Möglichkeit genommen, frühzeitig Deutsch zu lernen, kritisiert die Sozialwissenschaftlerin Emilija Mitrovic, die an der Studie beteiligt war. Wenn die Kinder nicht vorher schon den Bildungszugang haben, nütze die Schulpflicht nur wenig, so die Sozialwissenschaftlerin.

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