Schulen wollen keine behinderten Schüler: Down-Kinder bleiben vor der Tür

Die Schulgesetze schreiben längst vor, dass Behinderte in normale Schulen sollen. Doch die Realität sieht gerade bei schwer beeinträchtigten Kindern anders aus.

Kind mit Down-Synmdrom: Eine "Zumutung für die Schule"? Bild: dpa

BERLIN taz Neulich hat Claudia Schirocki mit einer Grundschule telefoniert. Sie hat zwei Söhne und ist Gründerin einer Selbsthilfegruppe. "3mal21 = Down-Syndrom" heißt diese Gruppe, die behinderten Kindern das Leben leichter machen will. Nach dem Gespräch mit der Schule war Schirocki fertig mit den Nerven. "Ich hatte eine Wut im Bauch, die man nicht beschreiben kann."

Es war nur ein einziger Satz, der sie so aufbrachte. Aber der hatte es in sich: "Es war nie vorgesehen, dass Kinder mit Down-Syndrom hier aufgenommen werden", sagte man ihr im Rektorat der Schule. "Denn unsere Lehrer bekommen schon beim Anblick dieser Kinder Psychosen."

Der Fall im im Berliner Bezirk Reinickendorf zeigt exemplarisch, wie mit schwer behinderten Kindern umgegangen wird. Längst haben sie weitgehende Rechte. Schwarz auf Weiß steht in Schulgesetzen, dass Behinderte vorrangig in die Regelschule integriert werden sollen - aber die Realität ist anders.

Die Eltern von drei Downkindern aus der Selbsthilfegruppe "3mal21" wollten ihre Kinder fürs nächste Schuljahr in normalen Grundschulen anmelden. Seit Wochen wird darüber verhandelt, es gab sogar schon einen Runden Tisch, bei dem Schulleiter, Betroffene und das halbe Bezirksamt zusammensaßen. Es bestehe prinzipielles Einvernehmen, dass die Down-Kinder in normale Grundschulen kommen, sagten die Beamten der taz. Es müsse nur noch die Schwere der Behinderung ärztlich festgestellt werden - damit man ausrechnen kann, wie viele sonderpädagogische Stunden die jeweilige Schule bekommt.

Alles bestens also? Nichts da.

Als Schirocki zum Hörer griff, um als Vorsitzende von "3mal21" den Zwischenstand an einer der Schulen zu erfragen, fiel der brutale Satz. Und als sie an einer anderen Schule die Einschulung ihres Sohnes für das Jahr 2009 klarmachen wollte, hieß es: "Geht nicht, wir nehmen erst 2010 wieder ein Down-Kind auf."

Für Eva-Maria Thoms aus Köln ist das nichts besonderes. "So sieht der Alltag von Eltern mit behinderten Kindern aus", berichtet Thoms. "Die Schulen sind so ärmlich ausgestattet, dass man ihnen oft gar nicht übel nehmen kann, wenn sie zurückhaltend sind." Das gilt sogar für Schulen, die formell den so genannten "gemeinsamen Unterricht" behinderter und nichtbehinderter Kinder anbieten.

Thoms ist selbst Mutter eines behinderten Kindes und bei einem Selbsthilfeverein. Als eine der Mütter ihr Down-Kind bei einer Kölner Grundschule anmelden wollte, sagte man ihr: Das sei "eine Zumutung" für die Schule. Was die Mutter so schockierte: Auch diese Grundschule ist eine, die behinderte Kinder integriert.

Dabei ist die Lage gesetzlich eindeutig. "Alle Schulgesetze in Deutschland stellen Integration in normale Schulen vor den abgetrennten Unterricht in Sonderschulen", berichtet Doreen Kröber, die zwei mehrfach beinträchtigte Kinder hat. "Aber das ist nur die halbe Wahrheit." Immer, wenn konkrete Bedingungen vor Ort ins Spiel kommen, wird es bitter. Dann gibt es nicht genug sonderpädagogische Förderstunden. "Oder der behindertengerechte Umbau einer Toilette ist nicht möglich", sagt Kröber.

Die Mütter behinderter Kinder sind nicht immer verzweifelt, oft sind sie sehr aktiv. Kröber hat das "Berliner Netzwerk Förderkinder" organisiert. Und Eva-Maria Thoms arbeitet bei der Intitiative mit, die den Kongress "Eine Schule für Alle" in Köln veranstaltet. Dort treffen sich Eltern und Experten aus ganz Deutschland und fragen sich, "warum 87 Prozent aller behinderten Kinder getrennt von den anderen Kindern aufwachsen."

www.eine-schule-fuer-alle.info

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