Ratzinger will Juden bekehren: Er ist wieder auf Kreuzzug

Papst Benedikt XVI lässt eine alte Karfreitagsfürbitte zu, die zur Bekehrung der Juden auffordert. Warum nimmt er ein politisches Desaster in Kauf?

Reaktionärer Empörer: Joseph Ratzinger. Bild: dpa

Papst Benedikt XVI. lässt immer weiter die Hosen runter - und ist jetzt ordentlich über sie gestolpert: Nachdem das Oberhaupt von 1,1 Milliarden Katholiken im Sommer 2007 die strengen Beschränkungen für die alte lateinische, die sogenannte tridentinische Messe gelockert, ja sie de facto wieder zugelassen hatte, ist er nun in einem Nachfolgeschritt heftig auf die Schnauze gefallen. Jüdische Verbände und Persönlichkeiten in aller Welt protestieren gegen eine Karfreitagsfürbitte, die der Papst jüngst erlassen hat. Die anstehende Reise des deutschen Papstes in die USA, wo mehr Juden leben als in Israel, ist schon jetzt stark belastet. Joseph Ratzinger hat ein theologisches, interreligiöses und politisches Desaster angerichtet. Und am Freitag wird es offenbar werden.

Um zu verstehen, was passiert ist, muss man etwas ausholen: Seit dem gegenreformatorischen Konzil von Trient (deshalb: tridentinisch) waren alle Gläubigen der katholische Kirchen ab 1570 dazu verpflichtet, für die "perfidis judaeis", die "perfiden" oder "treulosen Juden" zu beten, die in "Finsternis" und "Verblendung" lebten. Dieses Gebet, die berüchtigte Karfreitagsfürbitte, gilt Antisemitismusforschern als ein Kernstück des christlichen Antijudaismus, der eine Quelle des neuzeitlichen Judenhasses war. Denn diese immer am Karfreitag vorgeschriebene Fürbitte beschrieb die Juden und ihre Religion als defizitär und forderte ihre Bekehrung zum Christentum.

So blieb es Jahrhunderte lang. Erst nach Krieg und Holocaust strich der Reformpapst Johannes XXIII. schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) im Jahr 1959 den Ausdruck "treulos". Das Konzil selbst reformierte die Messen, die nun nicht mehr in Latein stattfinden sollten, sondern in den jeweiligen Landessprachen der Weltkirche. Die katholische Kirche verabschiedete sich offiziell von ihrer uralten Judenfeindschaft.

Auch die Karfreitagsfürbitte wurde reformiert. Seit 1970 ist von "Finsternis" oder "Verblendung" nicht mehr die Rede. Im Gegenteil wird betont, dass Juden schon viel länger als die Christen das auserwählte Volk sind: "Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen", heißt es im "Missale Romanum", im Messbuch des Jahres 1970. Die Feier der lateinischen, der tridentinischen Messe mit den für Juden empörenden Wörtern "Finsternis" und "Verblendung" war seitdem de facto verboten - und nur noch mit einer ausdrücklichen Ausnahmegenehmigung ("Indult") des jeweiligen Bischofs erlaubt. So weit, so gut.

Doch dann kam der jetzige Papst Benedikt XVI. Ihm geht es schon seit langem darum, die reaktionärste Gruppe von Katholiken wieder einzufangen: die Lefebvre-Anhänger, die die Messreform des Konzils, ja das ganze Konzil ablehnen und deshalb aus der katholischen Weltkirche ausgeschlossen wurden. Um sie wieder zu integrieren, erließ der Papst im vergangenen Sommer die Weisung "Summorum Pontificum", die die alte tridentinische Messe wieder zuließ. Das Schreiben hatte die Form eines Motu Proprio, das heißt einer Schrift, die ein persönliches Anliegen des Papstes ausdrückt.

Ordentlich und außerordentlich

Es gab bei der Wiederzulassung zwei Einschränkungen: Zum einen war es die lateinische Messe mit der Neuerung von Johannes XXIII., also ohne das Wort "treulos" in Bezug auf die Juden. Zum anderen bestimmte der Papst, dass die "ordentliche" Form der Messe die landessprachliche, moderne sein sollte - und die tridentinische Messe nur "außerordentlich" gefeiert werden sollte, etwa, wenn dies eine Gruppe von Gläubigen ausdrücklich wünscht. Und der Papst erließ, noch im Sommer 2007, eine - wenn auch sehr schwammig gehaltene - Zusatzverordnung, wonach die "außerordentliche" Messe nicht an den Ostertagen und am Karfreitag gebetet werden sollte. Die Logik: Ohne alte Karfreitagsmesse keine Karfreitagsfürbitte.

Doch vor wenigen Wochen, Anfang Februar, verfügte der Papst plötzlich eine neue Fassung der Karfreitagsfürbitte. Das ist unlogisch, denn eigentlich sollte es alte Messen an diesem Tag ja gar nicht geben. Offenbar aber wurden die Ausführungsbestimmungen für die lateinische Messe bewusst so dehnbar gehalten, dass nun ihre Fans sehr wohl den alten Ritus auch am Karfreitag nutzen können.

Dieses Einknicken des Vatikan war zu befürchten, denn natürlich wollten die Anhänger der alten Messe auch am wichtigen Fest Karfreitag einen Gottesdienst feiern. Und so erließ der Pontifex Maximus in Rom eine lateinische Karfreitagsfürbitte, die alles noch viel schlimmer machte. Die neue Fassung der Karfreitagsfürbitte von Papst Benedikt XVI. lautet in deutscher Übersetzung: "Wir wollen beten für die Juden. Dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller Menschen." In diesem Duktus geht es noch ein paar Sätze weiter. Was anderes ist dies als eine Aufforderung zur Bekehrung der Juden, ja zur Judenmission?

Bewusste Entscheidung

Der Papst bestimmte zwar zugleich, dass diese neue Form der Karfreitagsmesse samt der "Judenfürbitte" nur für Orden und ordensähnliche Gemeinschaften erlaubt sei - und auch nur "in ihren eigenen Kapellen". Das aber beruhigte die Kritiker überhaupt nicht. Denn klar ist, dass der Papst zugunsten einer Besänftigung reaktionärer Katholiken die Empörung jüdischer Gruppen bewusst in Kauf nahm. Schließlich hätte der Papst auch problemlos die harmlose, moderne Karfreitagsfürbitte aus dem Jahr 1970 in lateinischer Übersetzung für die tridentinische Messe festlegen können. Oder er hätte einfach klar bestimmen können: Am Karfreitag wird niemals die alte Messe gefeiert.

Aber so tickt Ratzinger nicht. Er will schon länger die Lefebvre-Anhänger wieder in die Weltkirche integrieren - auf Teufel komm raus. Die deutsche Bischofskonferenz ist praktisch sprachlos. Aus der Deckung wagt sich der "Gesprächskreis ,Juden und Christen' beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken" (ZdK). Der Gesprächskreis warnt vor der neuen Fürbitte: "Das Gebet für die Juden hatte seit dem Mittelalter am Karfreitag zu harten Demütigungen und gefährlichen Ausschreitungen gegen die ,perfiden' und ,verblendeten' Juden geführt. Dieses Vokabular traditioneller Judenfeindschaft kommt in der neuen Fürbitte zwar nicht vor, aber die dort formulierte Hoffnung auf die Erleuchtung der Herzen der Juden … hat alte jüdische Ängste wieder wachgerufen." Der Gesprächskreis zeigt sich "enttäuscht und bestürzt", das neue Gebet "beschädigt das gewachsene Vertrauen zwischen Katholiken und Juden schwer". Die Gläubigen bitten den Papst, seine Entscheidung zu revidieren.

Doch das Kind ist schon im Brunnen: Die italienische Rabbinervereinigung hat angekündigt, den Dialog mit der katholischen Kirche erst einmal abzubrechen. In Deutschland forderte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, der Papst müsse das Gebet zurücknehmen, und zwar "möglichst schnell, glaubwürdig und total". Als "reaktionär" bezeichnete die Fürbitte der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz in Deutschland, Henry G. Brandt. Aus Protest gegen den päpstlichen Affront haben der Rabbiner Walter Homolka (Potsdam) und der deutsch-jüdische Publizist Micha Brumlik unabhängig voneinander ihre Teilnahme am anstehenden Katholikentag in Osnabrück abgesagt - obwohl der ja vom ZdK organisiert wird, nicht von der Amtskirche. Brumlik fordert: "Die Verweigerung gemeinsamer religiöser Feiern ist das Mindeste, was die Selbstachtung gebietet."

Und der Papst? Der schweigt zu all dem. Benedikt XVI. schickt lediglich Kurienkardinal Walter Kasper vor, der im Vatikan für den interreligiösen Dialog zuständig ist. Der redete zunächst bezüglich der Fürbitte von Missverständnissen - um dann aber doch klarzustellen: "Der Papst lässt das Gebet. Es ist ja auch aus unserer Sicht theologisch vollkommen in Ordnung. Es ist nur schwierig für die Juden, das zu akzeptieren." So simpel sieht man die Sache in Rom. Und so dumm.

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