Kindersoldaten als Asylbewerber: Flucht ins Ungewisse

Bis zu 500 ehemalige Kindersoldaten leben in Deutschland. Oft können sie ihre Geschichte nicht beweisen. Also begegnet man ihnen mit Misstrauen - und nur selten mit dem Versuch, sie zu therapieren.

Archivbild eines Kindersoldaten. Moussas Asylverfahren läuft noch. Er wollte sich deshalb nicht fotografieren lassen, und sein Name wurde geändert. Bild: dpa

Als Moussa* nach Deutschland kam, hatte er schon nichts mehr: Keine Eltern, kein zu Hause, kein Gepäck und keine Kindheit. Und weil ihm auch Papiere fehlten, nahm ihm die Regierung von Oberbayern seinen Geburtstag.

Jetzt sitzt Moussa hier, in einem Büro des Katholischen Jugendsozialwerks KJSW in München. An der Wand hängen Bilder von fröhlichen Kindern, auf einem Glastisch steht Kaffee. Darunter kann man sehen, wie Moussa seine Hände knetet. Manchmal knacken sie, so fest drückt er.

Moussa kommt aus Sierra Leone, in den 90er Jahren wütete dort ein brutaler Bürgerkrieg. Die Revolutionary United Front (RUF) kämpfte gegen die Armee, beide Seiten zwangsrekrutierten Kindersoldaten. Moussa war einer von ihnen.

Vor zwei Monaten kam er nach Deutschland, alleine, ohne Familie oder Verwandte. Etwa eintausend unbegleitete Minderjährige wie er fliehen jedes Jahr in die Bundesrepublik, Experten gehen davon aus, dass etwa drei bis fünf Prozent von ihnen ehemalige Kindersoldaten sind. Politiker und Parteien verurteilen hierzulande seit Jahren den Einsatz von Kindersoldaten, man könnte meinen, in Deutschland erwartet sie die Chance auf ein neues Leben. Doch den wenigen, die es hierher schaffen, begegnet oft Misstrauen, Desinteresse und Ungewissheit.

Flüchtlings- und Kinderhilfsorganisationen kritisieren seit Langem den Umgang mit ehemaligen Kindersoldaten in Deutschland. Sie sagen, dass viele Asylbeamte sich nicht dafür interessieren, ob ein Jugendlicher kämpfen musste, deshalb fragen sie im Zweifelsfall nicht nach. "Ein paar Kinder haben erzählt, dass sie Rebellen waren in Sierra Leone", sagt Albert Riedelsheimer, Sozialpädagoge beim KJSW. "Da müssten die Alarmglocken klingeln." Statt in therapeutisch betreuten Clearinghäusern landen die Jugendlichen aber in Sammelunterkünften.

Wie Moussa nach München kam, ist unklar. Er sagt, ein Weißer habe ihm geholfen, vielleicht war es ein Fluchthelfer. Die Polizei fand ihn frierend vor einem Laden, stundenlang hatte er dort gesessen, weil er nicht wusste, wohin er sonst gehen sollte. Er wurde in eine Erstaufnahmestation für Flüchtlinge gebracht.

Moussa ist klein, auf dem Bürostuhl im KJSW wirkt er wie ein verschüchterter Mittelstufler, der beim Direktor sitzt. Die Klamotten sind die eines normalen Teenagers, nur in seinem Gesicht kann man sehen, was er erlebt hat. Es ist alt geworden.

Obwohl er bei der ersten Vernehmung angab, erst 17 zu sein, setzten die Beamten den 31. 12. 1990 als Geburtsdatum fest. In seiner Akte steht "fiktiv" als Vermerk. Moussa war auf einmal volljährig, eine gängige Praxis, wenn Flüchtlinge keine Papiere haben. "Es wird erst mal davon ausgegangen, dass sie gefährlich sind", sagt Albert Riedelsheimer, "also werden sie älter gemacht, nur zur Sicherheit."

Dass Moussa zu Albert Riedelsheimer gefunden hat, war Glück. Minderjährige Flüchtlinge bekommen in Deutschland einen Vormund, weil Moussa aber als volljährig eingestuft wurde, verschwand er in einer Sammelunterkunft. Ein ehemaliger Schützling brachte Moussa zu Riedelsheimer. Der Sozialarbeiter hilft dem 17-Jährigen, sein fiktives Geburtsdatum anzufechten. Denn Volljährige verteilt die bayrische Regierung auf Sammelunterkünfte, viele davon auf dem Land, irgendwo in der Provinz. Der nächste Therapieplatz wäre damit unerreichbar.

Kindersoldaten sollen so schnell wie möglich psychologisch betreut werden, fordern Flüchtlingsorganisationen. "Außerdem sollten die Jugendlichen nicht allein zum Asylamt gehen müssen", sagt Thomas Berthold vom Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (B-UMF). Denn die Anhörungen können für die ehemaligen Kindersoldaten extrem traumatisierend sein.

Moussa sitzt im Büro des KJSW und kann nicht aufhören zu weinen. Hier ist nicht die Ausländerbehörde, es geht hier nicht um seine Zukunft, nur darum, dass er einem Journalisten erzählt, was er durchgemacht hat.

Als die Rebellen nach Kono kamen, töteten sie seine Familie, sie brannten sein Zuhause nieder und nahmen ihn mit in den Busch. Wenn man ihn fragt, wann das war und was er dort erlebt hat, blickt er schweigend auf seine Hände. Dann knacksen sie wieder.

Nach dem Waffenstillstand lebte Moussa bei seiner Tante. Man versprach ihm, dass er bald in die Schule gehen könne. Dann fingen die Leute an zu reden. Über ihn, nie mit ihm, dass er ein Rebell war und dass man ihn hier im Dorf nicht haben wolle. Als es zu schlimm wurde, ging Moussa ins Nachbarland Guinea, dorthin war seine ältere Schwester geflohen. Bald fingen die Leute wieder an zu reden. "Sie sagten, dass ich den Krieg nach Guinea bringen würde", sagt Moussa. "Sie haben mich beschimpft und mich geschlagen." Als Moussa weg war, brannten sie die Hütte der Schwester nieder und brachten sie um. Ein Freund traf Moussa auf der Straße und erzählte ihm davon. "Ich bin nicht mehr zurückgegangen", sagt Moussa. Er hatte zum dritten Mal sein Zuhause verloren.

Albert Riedelsheimer nimmt Moussa in den Arm, seit 18 Jahren betreut er jugendliche Flüchtlinge, viele davon Kindersoldaten. "Manche Geschichten, die wir hier hören, sind einfach unvorstellbar", sagt der 43-Jährige. Kinder erzählen, wie sie in Lagern Hände abhacken mussten oder Schwangeren den Bauch aufschnitten. "Manchmal denke ich, dass ich in einem Horrorfilm sitze", sagt Riedelsheimer.

Viele Asylbeamten reagieren skeptisch. Um leichter Asyl zu bekommen, haben einige Jugendliche in der Vergangenheit angegeben, Kindersoldaten gewesen zu sein, obwohl sie es nicht waren. Also fragen die Beamten heute nach, immer wieder, ganz genau. "Teilweise werden aber Fangfragen gestellt", sagt Thomas Berthold vom B-UMF, "es sollen chronologische Abläufe geklärt werden. Das können die Kinder nicht beantworten und verstricken sich."

Nach der Anhörung beginnt für die Jugendlichen die Unsicherheit: Ob sie bleiben dürfen oder ob sie wieder abgeschoben werden. In Sierra Leone ist der Krieg seit 2000 vorbei, für Moussa bedeutet das aber noch lange keinen Frieden.

Die Menschen wissen, wer bei den Rebellen war. Und sie wissen, dass die Kindersoldaten gemordet haben, manchmal aus Zwang, manchmal aber auch freiwillig oder aus Rache. Also werden die Jugendlichen stigmatisiert, niemand will etwas mit ihnen zu tun haben, oft kommt es zu Racheakten.

Was mit Moussa geschieht, ist unklar. Seine erste Asylanhörung ist in einigen Wochen. Bis dahin wird er in der Sammelunterkunft bleiben. Einen Therapieplatz hat er noch nicht, nachts schläft er kaum. "Ich wache um drei Uhr auf, dann liege ich wach, bis es Tag ist", sagt er. Zweimal pro Woche bekommt er ein Essenspaket, es gibt eine Großküche, die nach Fett stinkt, und im Keller eine Dusche. Sehr viel mehr hat Moussa nicht zu tun - also kehren die Bilder zurück.

Auf seinem Computer hat Riedelsheimer Fotos von einem ehemaligen Kindersoldaten, den er betreut hat. Eines wurde nach der Ankunft gemacht, eines nach einem Jahr in Deutschland.

Auf dem letzten sieht er jünger aus.

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