Diskussion um Videospiele: "Gewalt ist Teil unserer Kultur"

Bei der Tagung "Mörderische Spiele?" in Erfurt mussten die Teilnehmer selbst die Maus in die Hand nehmen, um bei "Counterstrike" Terroristen zu erschießen.

Nötig, um sich in der Welt zu verorten: Ballerspiele wie Counterstrike. Bild: archiv

Gewaltdarstellungen in Videospielen führen zu Jugendgewalt: Reflexhaft wird diese These wiederholt, sobald es zu Gewalttaten von Jugendlichen kommt. Ob das tatsächlich so ist, wollte die Evangelische Akademie Thüringen Anfang der Woche auf einer Tagung an einem symbolträchtigen Ort untersuchen: In Neudietendorf, vor den Toren Erfurts, der Stadt, in der zum ersten Mal in der Bundesrepublik ein Schüler mit Waffen in seine Schule gestürmt ist, Mitschüler, Lehrer und sich selbst tötete.

Veranstaltungen zu diesem Thema laufen immer unversöhnlich ab, sind von Ideologie und Überzeugungen geprägt, selten von Wissen oder gar dem Wunsch, wirklich etwas über das zu erfahren, über das man diskutiert. Vorurteile und Unwissen über Videospiele prägen die Auseinandersetzung. Das zu ändern war das erklärte Ziel der Veranstalter. Bevor debattiert wird, sollte deshalb erst einmal Aufklärung betrieben werden: Worüber redet man eigentlich, wenn man Killerspiel oder Gewaltspiel sagt? Wie sieht so ein Spiel aus? Erst wenn das bekannt sei, kann man die nächste Frage stellen: Was macht es mit denen, die spielen? Nun trafen sich also Medienwissenschaftler, Familientherapeuten, Spieler mit Kirchenmitarbeitern und Mitgliedern der Friedensbewegung, um zu lernen. Immerhin lautete ihr Fazit am Ende des Tages, dass diese Spiele wohl doch nicht so schlimm seien wie angenommen. Ein interessantes Ergebnis, wurde doch immerhin auch das "Super Columbine Massacre Role Playing Game" vorgeführt, wo Zombies in Massen niedergemetzelt wurden und die Teilnehmer selbst die Maus in die Hand nahmen, um bei "Counterstrike" Terroristen zu erschießen.

"Es hat sogar ein wenig Spaß gemacht," gab ein Teilnehmer zu, fast verwirrt von seinem Mut und Gefühlen - und etwas enttäuscht, dass er nicht noch eine Runde spielen konnte. Selbst zu spielen ist wichtig, denn wer nur auf das Bild schaut, das auf dem Monitor erscheint, wird Spiele nicht richtig verstehen.

Für Klaus Peter Jantke, Leiter der Forschungsgruppe Kindermedien beim Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie in Erfurt bedeutet Forschung an Spielen auch, die Mechanik dahinter zu verstehen. "Erst dann," so sagt er "kann ich ein Spiel wirklich begreifen, seine Faszination." Das Bild wirkt weniger mächtig, wenn man spielt.

Im Spiel geht es hauptsächlich darum, seine Fähigkeiten anzuwenden, geschickt zu sein, das Spiel zu beherrschen. Weniger darum, sich an blutigen Bildern zu berauschen.

Der Jugendtherapeuten Olaf Jantz bestätigt das: "Es geht darum, etwas richtig gut zu können," sagt er. Jungen fänden in Videospielen die Freiräume, die ihnen in der realen Welt verbaut seien. Viele würden im Spielen zum ersten Mal das Gefühl bekommen, tatsächlich etwas zu bewirken, selbst effektiv handeln zu können, auch wenn dieses Handeln nur daraus besteht, eine Handgranate in einen Raum zu werfen. So wenig sich einige Jungen im echten Leben um Regeln kümmern würden: In Spielen werden sie beachtet. "Die Jungen," sagt Jantz, "wissen ganz genau, was andere an diesen Spielen schlimm finden. Viele von ihnen empfinden das genau so." Er erzählt von Jungen, die die Spiele nur anmachen, wenn die Mutter ins Zimmer kommt, um sie zu erschrecken und um Grenzen zu überschreiten. Dies sei nötig, um sich in der Welt zu verorten.

Spiele sind also sowohl Rückzugs- als auch Testgebiet für Jungen. Hier können sie ohne Leistungsdruck und Versagensängste sein, erklärt Jantz. Jugendpädagogik müsse Handlungsmöglichkeiten im wirklichen Leben aufzeigen.

"Gewalt", so sagt der Spieleentwickler Florian Stadlbauer auf die Frage, warum diese überhaupt in Spielen vorkommen muss, "ist ein Teil unserer Kultur." Und so lange dieses Thema von Lesern, Filmguckern oder Spielern verlangt werde, so lange werden entsprechende Produkte hergestellt. Erst wenn Gewalt aus allen Medien verschwindet, wird sie auch aus den Spielen verschwinden. Je mehr die Tagungsteilnehmer über Aufbau der Spiele und Motivation der Spieler erfahren, desto offener werden sie gegenüber dem Thema. Ein Unbehagen bleibt dennoch und viele weigern sich auch zu akzeptieren, das Gewaltdarstellung sein muss. Das gilt für sie aber im gleichen Mass wie für alle Medien. Gewalthaltige Computerspiele sind nur ein weiteres Symptom der Gewaltbessenheit unserer Kultur, nicht aber die Ursache für Gewalt.

Eines aber scheint beim Abschluss Konsens zu sein: Verbote helfen nicht. Verbessern muss sich die Wertschätzung, die Jugendlichen in der Gesellschaft entgegen gebracht wird. Oder wie Klaus Peter Jantke zum Zusammenhang von Amokläufern und Spielen sagt: "Spiele können der Tropfen sein, der das Fass zum überlaufen bringt. Über diesen Tropfen können wir gerne reden, doch zuerst sollten wir über das Fass sprechen."

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