Hüttendorf in Hannover: "Ja, ja. Die Jugend"

Die "Freie Republik Wendland" steht derzeit in Hannover - ganz nach dem historischen Vorbild. Aber anders als früher siedeln dort keine Berufsrevolutionäre mehr.

Seit 30 Jahren zentrales Motto der Atomgegner: "Atomkraft? Nein, danke". Bild: dpa

HANNOVER taz | In der Stadt Hannover herrscht Aufruhr. Auf die Frage, wo es zum Ballhofplatz gehe, sagt ein älterer Herr mit Klapprad: "Da wollen Sie hin? Sie wollen da wohl mitmachen, wie? Ich sage Ihnen, da gerät so einiges gefährlich durcheinander." Ein paar Meter weiter bedarf es keines Wegweisers mehr. Einfach den Hammerschlägen nach. Und da ist auch schon ein hübsch gemaltes, heimeliges Ortsschild: "Freie Republik Wendland" steht darauf.

Wie in der Rumpelkammer

Eine Handvoll frisch gezimmerter Hütten stehen auf dem Platz, junge Menschen beugen sich mit Pinseln in der Hand über Transparente, andere sitzen auf einer Bühne zusammen und proben ein Theaterstück, wieder andere hocken zwischen Geschirr und schnippeln Gemüse. Es riecht nach Sommerfrische und Bastelstube, nach Bauernhof und Blechnapf, nach freiem Leben und den angestaubten Träumen einer anderen Zeit, nach Requisiten aus der Rumpelkammer. Ja, ein Durcheinander. Aber kein gefährliches.

Ausgerufen hat die "Republik freies Wendland" ein Ableger des Staatstheater Hannover, das am Ballhofplatz residierende Junge Schauspiel Hannover. Bevölkert wird die Republik nicht von Berufsrevolutionären, sondern von Schülern aus der elften Klasse der Integrierten Gesamtschule Roderbruch. Die Hütten, die Infostände mit den Anti-AKW-Flyern, die Volxküche: alles Theater, eine Aufführung dessen, was sich vor 30 Jahren in der Wirklichkeit vollzog. Damals besetzten Atomkraftgegner in der Nähe von Gorleben die Tiefbohrstelle 1004. Etwa vier Wochen währte der Versuch eines selbst bestimmten, ökologischen Lebens im Hüttendorf. Dann kamen Polizei und Bundesgrenzschutz und beendeten den Versuch.

Für die hannoversche Rekonstruktion steht nach einer Woche am Sonntag ihr Ende auf dem Programm. Auch die Polizei wird dann zugegen sein. Allerdings nur virtuell: Bilder der gewaltsamen Auflösung der "Freien Republik Wendland" sollen auf Stellwände projiziert werden, derweil das Hüttendorf im Beisein von Statikern und Handwerkern säuberlich zusammengelegt wird. Bis dahin aber gibt es noch eine Menge Programm: heute Abend das Theaterstück "Little Boy - Big Taifoon" des Japaners Hisashi Inoue, am Freitag Streitgespräche und Konzerte, am Samstag etwa "Die Physiker vs. Utopia" nach Dürrenmatt und Morus.

Die örtliche CDU hat dennoch den "Theatergedanken" bei dem Projekt vermisst und einen Versuch der politischen Indoktrinierung gewittert. Der Dramaturg Aljoscha Begrich sieht das naturgemäß anders. Mit dem Projekt wolle man nicht für die Anti-AKW-Bewegung mobilisieren, sondern die Menschen lediglich für das Thema sensibilisieren. Und die Möglichkeit nutzen, "dass man als Theater auch andere Leute ansprechen kann als die, die immer schon gekommen sind". Mit dem Hüttendorf gebe das Theater den Jugendlichen bloß eine Struktur vor, innerhalb deren sie sich frei bewegen. "Wir fragen nach der Utopie", sagt Begrich, "und die hängen eine Gardine vor die Hütte."

Gegessen wird im Imbiss

Am Nachmittag scheint es, dass die Utopie auch ganz schön schlaucht. Gut ein Drittel der Schüler hängt im Foyer des Theaters ab, das mit Isomatratzen und Rucksäcken vollgepackt den Eindruck einer Unibesetzung vermittelt. "Die letzten Tage haben wir viel gebaut, na ja, und abends viel gefeiert", sagt Mattis. Am besten gefallen haben ihm bislang die Besuche der alten Hasen der Anti-AKW-Bewegung im Hüttendorf. "Was die so erzählen, puh!" Im Wendland war er noch nicht, will aber bei der nächsten Demo hin.

Anderes kommt weniger gut an. "Die Sojamilch", stöhnt Viktoria. "Alles viel zu gesund hier", sagt einer anderer und verrät, dass er nachts schon mal nach nebenan geht, zu einem Steakhaus, zu McDonald's. Die Köpfe, scheint's, sind bereit - nur die Mägen noch nicht so weit. Was die Schüler aufbringt, ist allerdings das Verhalten ihrer Lehrer. Ein Großteil habe das Projekt im Vorfeld schlechtgeredet, mit dem Ergebnis, dass von deren Schülern kaum einer gekommen sei. 45 sind sie jetzt - mit 80 hatte das Theater gerechnet - von 160 Schülern der gesamten Stufe.

Wohlwollender aufgenommen wird das Hüttendorf von den Vorbeikommenden. Viele bleiben stehen, nicken oder sagen Dinge wie: "Ja, ja. Die Jugend." Ein älterer Herr zückt seinen Fotoapparat. "Hübsch ist das nicht", sagt er, "aber wichtig." So wichtig und richtig, sagt er, wie das Buch, das er sich gerade gekauft habe, das vom Thilo Sarrazin. Ein Durcheinander halt. Eins, für das Theater seit je die Blicke schärft.

Mehr zum Thema findet sich im Hüttendorf-Blog auf bewegung.taz.de. Die Jugend-Pressegruppe der reaktivierten Republik freies Wendland berichtet hier täglich vom Leben im Hüttendorf.

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