Privates Geld leihen im Internet boomt: Kredit ohne Hai

Der Weg zum Kredit war bisher hart: Banken, Anträge, Hoffen und Absagen. Auf Internet-Marktplätzen leihen sich Privatleute gegenseitig große Geldsummen.

Einen Sack voll Geld gibt es auch im Internet nicht - dafür vielleicht eine Überweisung. Bild: dpa

Torsten Häusler ist kein besonders risikofreudiger Mensch. Der 44-Jährige mit Bart und Brille arbeitet als Buchhändler und Übersetzer, wohnt in einem kleinen Ort in Bayern, und bevor er eine Antwort gibt, denkt er eine Sekunde nach, bevor er seine Sätze wohldurchdacht und druckreif von sich gibt. Er ist einer, der sein Erspartes zur Bank trägt und eher auf das solide Sparbuch einzahlt, als es in Aktienfonds mit Schwankungen nach oben und nach unten anzulegen. Trotzdem geht er seit anderthalb Jahren immer wieder ein ganz ähnliches Risiko ein. Von seinem Geld profitiert dabei keine Bank. Sondern andere Menschen.

Der bayerische Buchhändler ist einer von 1.400 Investoren auf dem Internet-Marktplatz Smava. Seit Anfang 2007 bringt die Plattform Kreditgeber und Kreditnehmer zueinander. Die Kreditnehmer stellen sich und ihre Projekte auf der Website von Smava vor. Jeder kann sich die Projekte anschauen und entscheiden, ob und wie viel er investieren möchte. Zwischen den Parteien steht eine Bank, die aber nur das Geld einsammelt und weitergibt - ohne sie gäbe es bei diesem Geschäft Ärger mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Denn in Deutschland muss man, um Bankgeschäfte übernehmen zu dürfen, eine Bank sein.

Häusler sagt, dass er sich sein Engagement gut überlegt hat. "Ich lege Wert darauf, dass mein Geld in sozial sinnvolle Projekte fließt", stellt er gleich zu Anfang des Gesprächs klar. Und dass er sich bewusst ist, dass das Geld auch futsch sein kann. Dabei tut Smava eine Menge, um das unsichere Geschäft mit dem Geld möglichst sicher zu machen. So erhält ein Kreditnehmer immer Geld von mehreren Anlegern. Zudem sind die Kreditnehmer in Gruppen aufgeteilt. Kann einer nicht mehr zahlen, verteilt sich das Risiko auf alle Anleger, die ein Projekt aus der Gruppe finanzieren. Damit betrifft eine Zahlungsunfähigkeit zwar immer mehrere Geldgeber, aber den einzelnen nicht mehr so stark. "Das Risiko ist kalkulierbar", formuliert es Häusler. 27 Projekte hat er bislang unterstützt, von Umschuldungen bis hin zu einem Wohnungsumbau für ein behindertes Kind. 11.000 Euro sind an Kreditsuchende geflossen - und ein Teil des Geldes auch schon wieder zurück.

Eine, die von seinem Geld profitiert, ist Masha Kilicer*. Die 35-Jährige war bis vor drei Jahren eigentlich keine Kandidatin für einen Kredit - wenn, dann eher als Geldgeberin. Glücklich verheiratet, zwei Kinder, Geschäftsführerin in der Firma ihres Mannes. Verträge liefen stets auf ihren Namen, ihr Mann hatte negative Schufa-Einträge. Dann gehen die Geschäfte auf einmal schlechter, als Geschäftsführerin verzichtet sie als Erste auf ihr Gehalt. Kurz darauf trennt sie sich von ihrem Mann. Mit zwei Kindern, einem Dispo am Anschlag, einem Exmann, der ihr aus verletzter Ehre keinen Unterhalt zahlt, und Behörden, die erst eine langwierige Maschinerie in Gang setzen müssen, ehe Kilicer oder ihre Kinder Geld erhalten, steht sie auf der Straße - und muss komplett neu anfangen.

"Ich war bei zwei Banken, um einen Kredit zu beantragen, von einer hatte ich die Unterlagen schon unterschrieben und abgeschickt", erzählt sie. Dann sieht sie im Fernsehen einen Beitrag über Smava - und zieht den Kreditvertrag bei der Bank zurück.

"Banken wollen einem immer etwas andrehen, hier noch eine Versicherung, da noch einen Zusatz, dann kommt die Bearbeitungsgebühr dazu", sagt Kilicer. "Aber ich weiß selbst, was ich will." Sie nimmt einen erstem Anlauf, von 8.000 Euro kommen gerade mal 1.000 zusammen. Dann kommt Häusler auf sie zu. "Er hat mir erklärt, dass ich etwas über mich schreiben muss, mein Projekt vorstellen. Und dass es schlauer ist, zwei kleine Projekte zu machen als ein großes." Innerhalb von 50 Stunden sind 5.000 Euro beisammen. Ihr zweites Projekt illustriert sie mit einem Foto: "Thanks smava" steht darauf.

Die Berliner Smava GmbH betreibt den Marktplatz nicht aus Gutmenschentum - auch wenn das bislang noch so aussieht. Das Unternehmen bekommt 1 Prozent des Kreditbetrages. Auf den Gläubiger kommen damit die geliehene Summe, 1 Prozent für Smava und die Zinsen zu. Wenn Kilicer die Gesamtsumme von 8.000 Euro zurückgezahlt hat, wird sie insgesamt 10.000 Euro überwiesen haben.

Mit 1 Prozent ist für Smava noch kein Gewinn zu machen. Bei einem Gesamtumsatz von bisher knapp 5 Millionen Euro reichen die Erlöse kaum für die Miete. "Uns war von Anfang an klar, dass sich das Geschäft nicht über Nacht rentiert, sondern vielleicht in zwei bis drei Jahren", sagt Alexander Atropé. Doch über Geschäftszahlen spricht der Geschäftsführer nicht so gern. Lieber darüber, dass die Zahl der Kunden im Mittelpunkt steht, dass diese Zahl in ein paar Jahren eine "kritische Masse" erreicht haben soll.

Das Portal war der erste Marktplatz für Kreditgeschäfte im deutschsprachigen Raum - mittlerweile gibt es insgesamt eine knappe Handvoll, die in Betrieb sind. Davon einige mit mehr und einige mit weniger seriösen Konzepten, gibt Stefanie Laag von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zu bedenken. Was die Expertin als weniger seriös einstuft: wenn der Geldsuchende eine Art Sicherheit einzahlen muss, ohne überhaupt zu wissen, ob er Geld bekommt, wenn Gebühren erhoben werden, ohne dass ein Kreditvertrag zustande kommt, oder wenn das Risiko, dass der Gläubiger nicht zahlt, eins zu eins auf den Geldgeber abgewälzt wird.

"Es kann eine Lösung sein, einen günstigen Kredit zu bekommen", sagt sie. Mit der Betonung auf "kann". Aber wer schon bei einer Bank ein Problem habe, einen Kredit zu bekommen, werde wahrscheinlich auch bei einem Kredit-Marktplatz kein Geld sehen. Und dann erklärt sie doch noch einen Unterschied: "Wenn jemand nette Sachen schreiben kann, dann steht die Chance relativ hoch, einen Kredit zu bekommen." Da niemand die Verwendung überprüft, seien allerdings Betrügern Tür und Tor geöffnet.

Von Betrügern hat Häusler noch nichts gehört. Dabei wäre er einer, der es wissen müsste: Als Leiter der Gruppe "Menschen helfen Menschen", einer Art Community innerhalb der Community, hat er Kontakt zu über 500 Mitgliedern. Doch natürlich hat auch Häusler schon Erfahrungen mit der Kehrseite des Geldverleihens gemacht: "Zwei meiner Projekte sind bis jetzt ausgefallen." Auch hier hat die Gruppe das Risiko aufgefangen, sodass Häusler mit bis jetzt 7 Prozent Rendite sehr zufrieden ist. "Bis jetzt", gibt Verbraucherschützerin Laag zu bedenken. Die Kreditprojekte laufen normalerweise drei Jahre - man müsse abwarten, wie sich die Anlage weiter entwickele.

"Natürlich ärgert man sich, wenn jemand nicht mehr zahlen kann", sagt Torsten Häusler. "Aber ich würde mich noch mehr ärgern, wenn eine Bank das Geld verzockt hätte oder pleitegeht." Es ist keine Schadenfreude, aber ein kleines bisschen Erleichterung, die in seinen Worten mitschwingt. Schließlich stehen wegen der Finanzkrise gerade die Banken in der Kritik.

Auch für Geschäftsführer Alexander Atropé hat die Finanzkrise durchaus ihre positiven Seiten: Das Wachstum des Kreditvolumens, das er normalerweise zwischen 10 und 15 Prozent monatlich beziffert, habe sich im September auf 30 Prozent im Vergleich zum August verdoppelt. Für das letzte Quartal erwartet er sogar ein Wachstum von 40 Prozent. "Ich glaube, dass sich mit der Finanzkrise auch das Nutzerverhalten ändert", sagt Atropé. "Die Leute schauen sich nach alternativen Finanzsystemen um."

Ähnlich sieht das auch Häusler: "Mir hat das Konzept gefallen, die Idee, dass es eine Verbindung zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer gibt." Das könnte auch ein Faktor sein, der langjährig gepflegte Statistiken und damit Vorurteile der Schufa ausräumt. Demnach gilt nämlich bei Kreditnehmern eine einfache Regel: Je schlechter die Bonität, desto mehr Rückzahlungen werden abgebrochen. Die Statistiken von Smava zeigen etwas anderes: Komplett unabhängig von der Bonität, liegt die Rückzahlungsquote zwischen 95,3 und 99,6 Prozent und damit deutlich über den Erwartungen der Schufa. Noch bemerkenswerter: Die zweitschlechteste Zahlungsmoral hat die Gruppe mit der besten Bonität. Auch Kilicer, die immer noch spart, wo sie kann, würde lieber jeden Cent doppelt umdrehen, als nicht mehr zu zahlen. "Das Geld gehört doch jemandem", sagt sie.

Habe sie vor ihrer Zeit als Gläubigerin vom Kreditgeschäft nur durchschnittlich viel verstanden, jongliert sie jetzt geübt mit Fachbegriffen wie Scoring, KDF-Indikator und Effektivzinsen. "Dadurch, dass man alles selber machen muss, lernt man einiges", sagt sie und meint damit, dass jeder Kreditnehmer selbst die Laufzeit und den Zinssatz bestimmen kann. Mittlerweile hat Kilicer ein Drittel ihrer Schulden abgezahlt, zwei Jahre wird sie monatlich noch einen Teil ihres Einkommens abzwacken müssen. Doch sie denkt schon weiter. "Für ein Fernstudium würde ich noch mal einen Kredit aufnehmen", sagt sie. Und wenn die Kinder später aus dem Haus sind und sie besser verdient, kann sie sich auch vorstellen, selbst Geld zu verleihen.

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