Leben mit 4,53 Euro pro Stunde: "Ohne Arbeit stünde ich besser da"

Er bewacht 50 Stunden die Woche an einem Theater die Pforte, doch von dem Lohn kann seine Familie nicht leben. Ein Pförtner erzählt, was es heißt, 4,53 Euro die Stunde zu verdienen.

"Wie man von 800 Euro eine Familie ernährt? Das geht nicht." Bild: dpa

Manchmal sagt unser großer Sohn: Ich will auch mal ins Theater gehen! Er ist gerade sechs geworden und würde gerne sehen, wo sein Vater arbeitet. Dann muss ich antworten: Aber ins Theater gehen? Von welchem Geld? Theater, Kino, Schwimmbad - ist nicht.

Ich bin 31 und Wachmann an einem Theater in Ostdeutschland, seit fünf Jahren. Wo genau will ich lieber nicht sagen. Meinen Job haben früher städtische Angestellte gemacht. Aber das war der Stadt zu teuer. Also wurde eine private Sicherheitsfirma beauftragt. Wir ersetzen jetzt die Pförtner am Bühneneingang. Ich sag mal, wir sind die Mädchen für alles. Wir kontrollieren die Dienstausweise der Schauspieler, gehen ans Telefon, schließen auf und zu und machen nachts Kontrollgänge. Rund um die Uhr ist jemand von uns da. So wie früher. Nur, dass wir viel billiger sind. Das Theater verlangt, dass die Firma uns nach Tarif bezahlt. Aber was heißt das schon!

Ich bekomme 4,53 Euro brutto die Stunde. Für Nachtarbeit gibt es zehn Prozent Zuschlag, sonntags 35 Prozent. Im Monat verdiene ich so knapp 1200 Euro brutto, netto bleiben aber nur 800 Euro. Dabei komme ich inzwischen 215 Arbeitsstunden im Monat - Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht. Und mehr geht einfach nicht. Irgendwann sagt der Körper: Hallo, Du kannst nicht mehr!

Wie man von 800 Euro eine Familie ernährt? Das geht nicht. Wir werden so schlecht bezahlt, dass der Staat mithelfen muss. Das ist doch beschissen! Beim Arbeitsamt haben die mir gesagt: Ich müsste alleine 1500 Euro netto verdienen, damit ich alles bezahlen kann. Meine Frau kriegt seit einem Jahr Arbeitslosengeld II vom Amt, damit wir zusammen wenigstens an die Grenze von 1500 Euro kommen.

Arm trotz Arbeit - bei mir stimmt das. Ich bin arm. Wir können uns nichts leisten. Das Risiko, sich zu verschulden, ist immer da. Mal im Urlaub nach Teneriffa fliegen? Geht nicht. Wenn man sieht, wie das abgeht mit den Lebensmittelpreisen. Wir kaufen sowieso nur bei Aldi, Lidl oder Kaufland und wohnen in einer günstigen Drei-Raum-Wohnung. Den Computer sparen wir uns, Internet hatte ich mal, den Kabelanschluss fürs Fernsehen hab ich auch abgeschafft, Handy geht nur mit Prepaid-Karte. Das frisst alles zu viel Geld. Wenigstens den Kindergarten wollen wir uns leisten, die Kinder sollen ja mit anderen zusammen sein und etwas lernen.

Natürlich hat der Große inzwischen viele Wünsche. Zum Beispiel hätte er gerne so einen Kindercomputer, das hat er bei Freunden gesehen. Aber wir müssen ihm sagen: Dafür haben wir kein Geld. Bei uns reicht es nur für Kleinigkeiten. Dieses Jahr haben wir ihm zum Geburtstag ein Spielzeugauto geschenkt, für 5,99 Euro.

Als meine Frau noch gearbeitet hat, standen wir besser da. Sie hat Textilfachreinigerin gelernt, so wie ich, und sogar besser verdient. Aber im Moment muss sie sich zuhause um unseren Kleinsten kümmern, der wird jetzt ein Jahr alt. Wir hätten nicht gedacht, dass es mit dem Elterngeld so schlimm für uns würde. Das Elterngeld ist einfach nur was für Leute mit Super-Einkommen. Erst sollte meine Frau nur den niedrigsten Satz bekommen, 300 Euro, so wie Arbeitslose - obwohl sie berufstätig war. Unser Widerspruch hat sechs Monate beim Amt herumgelegen, bevor der Anruf kam: Wir kriegen jetzt wenigstens etwas mehr.

Eigentlich denke ich, mein Chef würde uns schon lieber besser bezahlen. Der weiß genau, wie beschissen wir da stehen. Aber er kann nicht - denn dann würde eine andere Firma den Auftrag bekommen. Das Theater selbst würde uns sicher besser entlohnen, ist aber als städtische Einrichtung der Stadtverwaltung untergeordnet. Und die denkt nur an ihre leeren Kassen. Leute für meinen Job zu finden, das ist trotz der Bezahlung ganz einfach. Die Firma schreibt ans Arbeitsamt. Dann werden ihr Bewerber geschickt, die erstmal Probe arbeiten. Und die Arbeitslosen haben eigentlich keine Wahl. Die müssen den Job nehmen, weil ihnen sonst auch noch Hartz IV gekürzt würde. Ich selbst musste aus gesundheitlichen Gründen meinen eigentlichen Beruf aufgeben. Natürlich habe ich schon öfters überlegt, mir einen anderen Job zu suchen. Aber meine Frau hält mich zurück. Sie fürchtet, dass der nächste Chef dann in der Probezeit sagt: Wiedersehen! Dann würde ich ganz ohne etwas dastehen. Das ist uns zu riskant.

Viele aus meiner Firma sind inzwischen in der Gewerkschaft. Wir wollen alle den Mindestlohn. Aber unser Chef mag Gewerkschaften nicht so. Deshalb will ich auch nicht meinen Namen sagen und wo ich genau arbeite.

Ich kenne viele, die sagen: Wenn das mit dem Mindestlohn nicht klappt, dann packe ich die Koffer und gehe ins Ausland. Ein Bekannter ist schon in die Schweiz gezogen. Der lacht jetzt über uns, so gut verdient der da als Wachmann. Aber hier lachen uns ja inzwischen sogar die Hartz-IV-Empfänger aus! Ein älterer Kollege von mir hat sich das mal durchgerechnet: Ohne arbeiten zu gehen, hat der am Ende genauso viel wie mit seinem Job. Danach ist der ausgestiegen. Bestimmt wäre das für meine Familie auch einfacher, wenn wir nicht mehr arbeiten würden. Das kann doch nicht sein. Denn ich will ja nicht zu Hause hocken, sondern arbeiten gehen - aber eben nicht zum Nulltarif.

Wenn ich höre, dass Politiker von CDU und FDP den Mindestlohn verhindern wollen, kann ich mich nur wundern. Schließlich haben sich die Bundestagsabgeordneten gerade erst eine Diätenerhöhung gegönnt. Ich glaube, die können sich überhaupt nicht vorstellen, wie es sich mit so wenig Geld lebt. Die Herren sollten das einfach mal selbst ausprobieren. Einen Monat lang, aber richtig. Ab ins Hochhaus, in eine kleine Wohnung. Kein dickes Dienstauto mehr. Immer bei Aldi einkaufen. Nie ins Restaurant gehen. Ich wette, die würden das nicht mal eine Woche durchhalten.

PROTOKOLL: ASTRID GEISLER

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