Besuch in der Welt des Waffensports: Vom Selbstschutz der Schützen

Für die "Schießfreunde Emsdetten e.V." hat sich nichts verändert nach dem Amoklauf in ihrer eigenen Stadt. Und der Schützenbundpräsident bricht das Interivew aus Ärger vorzeitig ab.

"Da kann normalerweise nichts passieren", sind sich die allermeisten Sportschützen sicher. Bild: dpa

Der Deutsche Schützenbund e. V. (DSB) wurde 1861 in Gotha gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es 1951 in Frankfurt am Main einen Neustart. Der DSB ist der viertgrößte Spitzensportverband Deutschlands. Er ist organisiert in 20 Landesverbänden. Nahezu 1,5 Millionen Schützen sind Mitglieder in rund 15.000 Vereinen. Trainiert wird dort an den olympischen Disziplinen wie Gewehr, Pistole, Wurfscheibe und Bogen. Dazu kommen die Sportarten Vorderlader, Feldbogen, Armbrust, Sommerbiathlon, Bogenbiathlon und Laufende Scheibe. DSB-Präsident ist seit 1994 der Starnberger Josef Ambacher. GES

Der Mann hat sich nicht in der Gewalt. Josef Ambacher läuft rot an. Das sei "ein Schmarrn", ruft er, "blödes Daherreden". Die Reporterfragen seien "nur blödes Gewäsch". Ambacher rutscht immer mehr in seinen bayerischen Akzent ab. "Das sind keine logischen Fragen", belehrt er. Es hält ihn nicht mehr auf dem Stuhl. "Ich habe damit überhaupt nichts zu tun", zischt er. Das sei eine "bodenlose Unverschämtheit". Abbruch des Interviews.

Josef Ambacher, der Mann mit der geringen Selbstkontrolle, ist seit 15 Jahren Präsident des Deutschen Schützenbundes (DSB). Er hat Gott sei Dank nur zu Hause, im bayerischen Starnberg, ein Luftgewehr, ein Kleingewehr und drei Jagdwaffen. Den Reporter fragt er, ob er beim Bund war. Ambacher, Führungsfigur von knapp 1,5 Millionen Vereinsmitgliedern, sitzt an einem Besprechungstisch im Bundesleistungszentrum des DSB. Es ist ein geduckter, verwinkelter Komplex aus den 1960er-Jahren, idyllisch gelegen am Waldrand des Wiesbadener Stadtteils Klarenthal. Den Schreibtisch des dunkel gekleideten Funktionärs erwärmt die Frühlingssonne. Eine mächtige Amtskette in Gold auf der Brust, lächelt der 68-Jährige in einer postergroßen Fotografie milde von der Wand herab. Aber die Zeiten sind nicht nach Sanftmut und Milde. Die Nerven des Josef Ambacher liegen blank.

Das hat, man ahnt es, mit Winnenden zu tun. Vor zwei Wochen hatte der 17-jährige Schüler Tim K. mit einer offiziell angemeldeten Pistole seines Vaters, einer Beretta 92, 15 Menschen und sich selbst getötet. Tims Vater, ein Sportschütze, hatte 15 Waffen zu Hause gelagert, die Beretta angeblich unter Pullovern im Kleiderschrank. Tim hatte vor seiner Bluttat unter Aufsicht seines Vaters beim SSV Leutenbach das Schießen trainiert. Der Schützenverein gehört dem Württembergischen Schützenverband an, einem Landesverband des DSB.

Der Präsident der Schützen aber meint in seinem Büro, mit all dem nichts zu tun zu haben. Winnenden beruhe auf einer sehr bedauerlichen "Grobfährlässigkeit des Vaters", sagt Ambacher, als das Gespräch noch möglich ist. Die Debatten über ein Wegschließen der Waffen oder der Munition in Schützenhäusern oder Polizeiwachen "sind für uns keine Diskussionen", sagt er barsch. Wenn, dann müsse der Gesetzgeber aktiv werden.

Und mit der Legislative und Exekutive kann Ambacher offensichtlich ganz hervorragend umgehen. Beim Deutschen Schützentag in Coburg 2004 kam, als Ehrengast neben Ambacher abgelichtet, der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und lobte: "Die Bayerische Staatsregierung weiß sehr genau, welch positiven Einfluss die Schützenvereine und -verbände auf ihre Mitglieder und besonders auf Kinder und Jugendliche haben." Nach dem Schulmassaker von Erfurt 2002 sahen sich der DSB, der Deutsche Jagdschutz-Verband e. V. (DJV) und die Waffenbesitzerlobby "Forum Waffenrecht" in einer gemeinsamen Pressemitteilung zu diesem Wink mit dem Zaunpfahl genötigt: Es habe sich "nichts daran geändert, dass … Jäger, Sammler und Sportschützen rechtsstaatlich denkende und handelnde Bürger sind - und wahlberechtigt bleiben".

Trumpft in Wiesbaden der Präsident mit Macht und Härte auf, ist der Ton ein paar hundert Kilometer weiter in Emsdetten nachdenklicher. Emsdetten, ein Städtchen im Münsterland mit knapp 36.000 Bürgerinnen und Bürger, hat nicht weniger als 12 Schützenvereine mit insgesamt 8.000 Mitgliedern. Sebastian B. gehörte nicht zu ihnen. Der 18-Jährige verletzte 2006 mit seinen Waffen in seiner früheren Schule fünf Menschen schwer und brachte sich dann um. "Der war nie hier", sagt Paul Austrup.

Der 62-Jährige war früher Bundeswehroffizier und ist der 1. Vorsitzende der "Schießfreunde Emsdetten", die die Schützenvereine der Stadt vereinigt. Es ist Donnerstagabend in der Ems-Halle, wo die Schützenvereine der Stadt gemeinsam trainieren. Ein paar gestandene Herren - nur Männer dürfen diese Waffen benutzen - üben mit ihren Kleinkalibergewehren auf einem kleinen Schießstand. Das laute Knallen ihrer Schüsse, gefolgt von einem schnellen Echo, ist zu hören. Nebenan stehen ein paar Tische mit den ersten Feierabendbierchen darauf. Dahinter ist ein weiterer Schießstand, wo jüngere Leute und Frauen an Luftgewehren üben. Von der Ems-Halle ist es weniger als einen Kilometer bis zur Schule, wo Sebastian B. Amok lief. Nein, sagt Austrup freundlich im Vorstandskabuff neben der Waffenkammer, nach dieser Bluttat habe sein Verein nichts Besonderes unternommen: "Wir brauchten da nichts zu machen", erklärt er, "ist alles dabei geblieben, wie es war."

Auch über den aktuellen Fall in Winnenden habe man kaum geredet, sagt Austrup. Schließlich gebe es bei den "Schießfreunden Emsdetten" keine Faustfeuerwaffen, also Pistolen. Außerdem müssen doch zu Hause alle Waffen weggeschlossen werden. Ebenso die Munition, getrennt von den Waffen. "Da kann normalerweise nichts passieren." Sebastian B. hatte sich seine Waffen online bestellt. In der Ems-Halle versperrt eine dicke weiße Eisengittertür den Zugang zur Waffenkammer. Es gibt Bewegungsmelder und eine Leitung zu einem Wachdienst.

Trotz aller Betroffenheit wegen Winnenden, ein Schuss Selbstmitleid ist nicht zu überhören: "Die Sportschützen, das sind ja die bösen Leute", rutscht es aus Austrup heraus. In einer aktuellen Umfrage sprachen sich 78 Prozent der Bevölkerung gegen eine Lagerung der Waffen bei den Schützen zu Hause aus. Von der Idee, die Waffen zentral im Schützenhaus zu lagern, rät Austrup ab: "Der, der da einbricht, hat alle mit einem Mal", erklärt er. Überhaupt: "Das kann überhaupt niemand bezahlen!" Das ist kein schlechtes Argument in einem Milieu, das eher kleinbürgerlich und leicht spießig, aber auch ziemlich friedlich ist.

Die Konzentration der Munition in Polizeiwachen hält Austrup ebenfalls für unpraktikabel: "Die Polizei wird sich bedanken." Dass ein Polizist die Munition für die jeweiligen Schützen vor ihren Trainingsstunden sortiert und sie dann ausgibt, wäre "Humbug": "Der fummelt sich tot." Sein Vereinskollege Dieter Alm, verantwortlich für die "Altersschützen", hört zu. Im Kabuff klimpert er gedankenverloren mit den Vereinsschlüsseln herum. "Für den Nachwuchs ist das" - er meint das Massaker in Winnenden - "ganz schädlich." Und, halb für sich, murmelt er: "Die Beretta hat viel kaputt gemacht."

Heil ist die Welt noch im thüringischen Suhl. Hier oben liegt noch Schnee - irgendwelche Schulmassaker sind ganz weit weg. Sehr zuvorkommend empfängt die DSB-Trainerin Bärbel Georgi den Besuch im "Schießsportzentrum Suhl Friedberg". Die moderne Wohn- und Trainingsanlage ist eine Medaillenschmiede. Georgi, ein mütterlicher Typ, trainiert hier gerade die Nationalmannschaft Pistole C, das heißt eine Handvoll junger Männer aus ganz Deutschland, die in ein paar Jahren an der Kleinkaliberpistole Medaillen holen sollen. In einer großen, fast leeren Halle schießen sie mit ordentlichem Knallen auf winzige Scheiben, 50 Meter entfernt. Was verbindet diese hoch konzentrierten Athleten mit einem irren Gleichaltrigen und seiner Beretta in einer Schule?

Der 18-jährige Schüler Alexander Zellner aus dem bayerischen 300-Seelen-Kaff Niederhausen hat Zeit für ein Gespräch. Der sportliche Mann im schicken Trainingsanzug der Nationalmannschaft bewegt die Schultern beim Reden, um nicht kalt zu werden, dabei ist er ruhig, sehr ruhig. Obwohl erst seit vier Jahren Sportschütze, war er schon bei einer Europameisterschaft - Trainerin Georgi strahlt vor Stolz.

Auch Zellner hält das deutsche Waffenrecht für scharf genug, seine Argumente gleichen denen in Emsdetten. Aber er kann etwas von der Faszination vermitteln, die das Schießen für ihn hat. Und die hat so gar nichts mit Erfurt, Emsdetten oder Winnenden zu tun: "Der Reiz ist nicht, dass scharf geschossen wird", sagt er mit leicht bayerischem Zungenschlag, "Der Reiz ist, die Fehler zu minimieren." Auch Zellner tötet mit Waffen - nämlich Wild, als Jäger. "Aber", sagt er, "das ist alles andere als angenehm." Besonders schlimm sei es, wenn der Schuss nicht sofort tödlich sei und man "die Schreie vom Wild" noch hören müsse: "Da reißt es einem das Herz raus."

Seltsam: Die professionellsten Schützen scheinen die sensibelsten zu sein - wie Ralf Schumann, der ebenfalls, den Bundesadler mit Gold unterlegt auf der Brust, in einer ruhigen Ecke zwischen zwei Schießständen über Winnenden und die Folgen laut nachdenkt. Schumann, "Schützenschumi" genannt, war dreimal Olympiasieger, viermal Weltmeister und 13-mMal Europameister und erhielt den Titel "Schütze des Jahrhunderts". Er sitzt unter einem Poster, das ihn in Peking zeigt, in der Hand die Silbermedaille, die er dort holte. Daneben ist ein Spruch aus dem Brief des Paulus an die Philipper zu lesen: "Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist."

Schumann ist sehr fromm, auf seinem Palm hat er mehrere Bibelübersetzungen geladen. Das Massaker in Winnenden sei "extrem erschütternd". Denn: "Ich weiß, was eine Waffe macht", sagt er, wie "ein Körper kaputt geht", was bei Schüssen "hinten rausgeht". Aber auch er betont: "Das hat mit dem, was wir tun, gar nichts zu tun." Das sagen alle.

Hat er für die Opfer gebetet? "Ja", sagt Schumann, "und für die Hinterbliebenen."

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