Filmkritik "Zeiten des Aufruhrs": Billige Zufriedenheit

Sie glaubt noch an ein besseres Leben. Er ist mit Mittelmaß und kleinen Affären zufrieden. Im kalten Licht von Sam Mendes Melodram "Zeiten des Aufruhrs" brilliert einmal mehr Kate Winslet.

Leo und Kate, zwölf Jahre später. Bild: dreamworks

Sie kriegen sich. Dann heult man. Sie kriegen sich nicht. Und dann weint man auch. So ist das mit dem Melodrama, der Großmeisterin für übergroße Sehnsucht und kurz wahr werdende Utopie. Genau darin liegt gemeinerweise die Perfektion dieses Genres. In der schrecklichen Schönheit einer unabwendbaren privaten Katastrophe, die vor den Kulissen einer ebenso unvermeidlich zusammenstürzenden Welt das Eigene im Absoluten aufgehen lässt. Kleiner gehts nicht in diesem Genre.

Doch genau in dieser Anmaßung, in dem Exzess aus Dekor, Farbe, Musik und Schmerz kann auch etwas Subversives liegen. Etwas, das die Opfergänge der Helden und Heldinnen überhöht und zur antibürgerlichen Ideologie erklärt. Etwas, das sich sogar in Camerons "Titanic" ausmachen lässt. Wenn Leonardo DiCaprio für immer in das eiskalte Nichts abtaucht, hat er seiner großen Liebe Kate Winslet zwar keine Zukunft in einer befreiten Gesellschaft bieten können, aber immerhin den einen perfekten Moment. Die Plateauphase, wenn man so will, nachdem sich mit der Tochter aus bestem Haus und dem proletarischen Auswanderer die S- und die A-Klasse, noch dazu auf dem Rücksitz eines luxuriösen Automobils, zu Céline Dions Oktavensprüngen vereinigen.

Zwölf Jahre ist das nun her. Und wenn wir Winslet und DiCaprio nun in Sam Mendes Verfilmung des Richard-Yates-Romans "Revolutionary Road" wiedertreffen, ist das ein bisschen so, als würde man sich am Morgen nach einer eskapistischen Nacht voller Stimmungsexzesse die Augen reiben. Verkatert findet man sich in einer nüchtern ausgeleuchteten, engen 50er-Jahre-Welt wieder. Wie unspektakulär und leicht uns Mendes in diese Muffigkeit hineinzieht, macht bereits einen Teil der Faszination dieses Films aus. Ein zweiter ist natürlich die Besetzung. Und der dritte, sicher der beträchtlichste, bleibt der literarische Stoff selbst. Geschrieben von einem ewig verkannten, schließlich neu entdeckten Experten für bürgerliche Lebensmiseren und alltägliches Scheitern.

Auch April und Frank haben das Höchste der Gefühle schon hinter sich. Den Moment auf jener Party, als der Gelegenheitsarbeiter der einzige Mensch zu sein schien, der die scharfsinnige Schauspielschülerin zum Lachen bringen konnte. Als das Leben und das Begehren noch alle Optionen offen hielt und ein Bürochef noch keine Verlockungen aussprechen konnte, die private Utopien ernsthaft gefährden könnten. Der Eisberg, an dem diese Liebe zerschellt, sind die typischen Vergletscherungen eines Paares in den 50er-Jahren. Zwischen nachbarschaftlichem Tausch von Eiersalat-Rezepten, Ratenzahlungen und den zotigen Kollegengesprächen am Mittagstisch.

"Zeiten des Aufruhrs" bebildert mit einer schönen, leisen Traurigkeit, wie das bürgerliche Leben die Paradiese der Boheme entzaubert. April träumt von einer Übersiedlung nach Paris. Dort will sie arbeiten, damit Walter seine eigentlichen Interessen herausfinden kann. Er könnte studieren oder schreiben, sich um die beiden Kinder kümmern. Doch der angekündigte Umzug wird für Walter zunehmend zu einer Belastung und für seinen Freundeskreis zu einer Provokation, die das eigene Leben auf die Größe eines gepflegten Vorgartens reduziert.

Die unvermeidliche Havarie der Ehe, die durch eine ungewollte Schwangerschaft noch beschleunigt wird, liegt von Anfang an mit einem harten Licht über den Gesichtern. Und es ist eine wundervolle Kate Winslet, die den milchgesichtigen DiCaprio an Psychologie und Strahlkraft von Anfang an in den Schatten stellt. Mit welcher Zermürbung sie an der Olive ihres Martinis kaut oder sich mit versteinerter Mine die vollen Lippen zu einem Sparkassenmund im zickigen Rot schminkt. Das hat eine Größe, gegen die sich DiCaprios Spiel unscharf und harmlos ausnimmt. Dafür erhielt Winslet am 11. Januar den Golden Globe für die beste weibliche Hauptrolle in einem Drama. Den für die beste weibliche Nebenrolle ("Der Vorleser") durfte sie ebenfalls mit nach Hause nehmen.

Eigentlich braucht es da keine weitere Zuspitzung, keinen wachsenden Blutfleck im Kleid, um die Fallhöhe der Protagonistin noch einmal drastisch anzuziehen. Denn im Gegensatz zu April, die noch träumt, hat Walter seine Seele längst an die Laufbahn eines mittleren Angestellten verkauft. Und damit - eine kleine, schmutzige Affäre mit der Sekretärin inklusive - ist er im Grunde seines Herzens vollauf zufrieden.

"Zeiten des Aufruhrs" erzählt vom Drama der Assimilation, der billigen Zufriedenheit. Es ist das Drama zweier Ertrinkender, bei dem nur einem schmerzlich bewusst ist, dass die Luft knapp wird. Und das Schöne daran ist, dass es in seiner stummen Implosion viel mehr Alarm schlägt als alle Schiffsglocken eines untergehenden Luxusdampfers auf einmal.

"Zeiten des Aufruhrs". Regie: Sam Mendes. Mit Leonardo DiCaprio, Kate Winslet u. a. USA/Großbritannien 2008, 119 Min.

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