Neuer Wayne-Wang-Film: Das rote Tuch der Erinnerung

In Wayne Wangs "Mr. Shi und der Gesang der Zikaden" müssen ein chinesischer Vater und seine Tochter, die in Amerika lebt, das Sprechen miteinander lernen.

Zarte Andeutungen: Mr. Shi und seine Bankbekanntschaft. Bild: pandora

Es ist schön, wenn Filme gleich mit der ersten Szene unaufgeregt zur Sache kommen. Jahrelang haben sich Mr. Shi und seine Tochter nicht gesehen, jetzt kommt der Witwer in die USA gereist. Verhalten schüttelt man sich die Hände, schaut aneinander vorbei, wechselt kaum ein Wort, und alles ist über eine distanzierte Beziehung gesagt. Dabei scheint es sich bei dem Chinesen um einen charmanten Erzähler zu handeln, jedenfalls verabschiedet sich eine junge, amerikanische Mitreisende herzlich bei dem ehemaligen Raketeningenieur und bedankt sich für seine schönen Geschichten.

Zunächst schenkt Wayne Wangs neuer Film die Sympathie dem hageren Mann, der die Hose mit einem Gürtel hoch über dem Bauchnabel zusammenhält. Auch übernimmt "Mr. Shi und der Gesang der Zikaden" das Tempo des in die Jahre gekommenen Helden. Langsam und sehr aufmerksam nimmt Mr. Shi unter seiner Baseballkappe die neue Umgebung wahr. Sorgfältig studiert er den Schilderwald aus überdimensionalen Reklametafeln, Neonleuchten und God-Save-the-World-Plakaten entlang eines Highways, schreibt unbekannte Worte nieder und wird doch nie ihre Bedeutung herausfinden. Auch das Leben, das seine Tochter in einer gesichtslosen amerikanischen Vorstadt führt, scheint ihm seltsam und fremd.

Während die junge, allein lebende Frau arbeitet, verbringt er einsame Tage in ihrem unpersönlich eingerichteten Apartment. Stundenlang schaut er aus dem Fenster, blickt auf eine Wohnanlage wie aus dem Musterhauskatalog und auf einen Pool, der nur selten benutzt wird. Einmal am Tag geht er im örtlichen Park spazieren und unterhält sich mit einer adrett zurecht gemachten Iranerin. Ein alter Mann und eine alte Frau auf einer Parkbank im Grünen. Es ist ein schönes und einfaches Bild, das Wayne Wang für zwei Menschen findet, die sich vom Leben und ihrer Familie abgeschoben fühlen. Er redet Chinesisch und sie Farsi, und auch ohne die Worte des anderen zu verstehen, werden sie zu Seelenverwandten.

In diesen Momenten ist der Film anrührend, ohne zum Rührstück zu werden, weil Wayne Wang weiß, wann er abzublenden hat. Er belässt es bei Andeutungen und Verweisen, spielt nicht jede Szene bis zum Ende durch. So tun sich ohne große Worte große Konflikte auf, für die ohnehin keine Filmlänge lang genug wäre.

Schon das rote Tuch, das Mr. Shi als Erinnerungsstück mitgenommen hat, verweist auf seine Vergangenheit als Parteifunktionär. In den Gesprächen mit der Tochter kommt zum Vorschein, wie sehr das politische Dasein des Vaters auch das Familienleben beeinflusst hat. Es geht um die Verstrickung von öffentlichen und privaten Problemen und um eine Familie, die nie gelernt hat, miteinander zu reden. So wird "Mr. Shi und der Gesang der Zikaden" immer mehr zu einer Expedition in die Schwierigkeiten von Sprache und Verständigung. Es geht um einen Vater und eine Tochter, die sich auf die Suche nach ihren Worten machen. Wenn Mr. Shi am Ende eine Zugreise durch die USA antritt, sieht man ihn bereits heftig beim Lernen. Noch handelt es sich um eine Zeichensprache. Mit ausufernden Gesten erklärt er einer jungen Frau seinen ehemaligen Beruf. Wieder und zum letzten Mal blendet Wayne Wang dezent ab und lässt den alten Mann seinen Weg allein beschreiten.

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