Hongkongs Kino schwächelt: Die Stille nach dem Stunt

Seit Hongkong wieder zu China gehört, bremsen Kapitalflucht, Zensur und Tabus die einst so potente Filmindustrie und selbst Starregisseure wie Johnny To.

Regisseur Johnny To nach einer Pressekonferenz im Jahr 2008 Bild: AP

HONGKONG taz |"Das Kino Hongkongs ist im Verschwinden begriffen, seit die Stadt am 1. Juli 1997 an China zurückgegeben wurde. Der Hongkong-Film, wie wir ihn kannten, ist am Ende. Und die Welt schert es nicht, seit Hollywood alles, was am Kino Hongkongs brauchbar war, gelernt, gekauft oder sich sonst wie angeeignet hat." Das sind bittere Worte aus dem gerade erschienenen Buch "Once a hero" von Perry Lam, einem der profiliertesten Filmkritiker Hongkongs.

Lam ist nicht der einzige, der das Verschwinden des Hongkong-Kinos beklagt. Die Symptome sind kaum zu übersehen: Beim diesjährigen Hong Kong Film Festival waren gerade einmal sechs lokale Produktionen im "Hongkong Panorama" zu sehen. Im vergangenen Jahr waren es noch doppelt so viel. Und der Eröffnungsfilm des Festivals war die brave romantische Komödie "Dont Go Breaking my Heart", inszeniert von Johnny To, der in den letzten zehn Jahren extreme, immer hart an der Grenze des guten Geschmacks balancierende Thriller gedreht hat, wie sie die Fans des Hongkong-Kinos lieben.

Dass ein Altmeister des zynischen Großstadtkrimis die Dreiecksbeziehung zwischen drei Großstadtyuppies in schön anzusehende Bilder kleidet, gibt zu denken. Zumal "Dont Go Breaking my Heart" genau die Richtung anzeigt, in die sich die verbleibende Filmindustrie in Hongkong orientiert. Die Ménage-à-trois beginnt zwar in Großraumbüros im Bankenviertel. Der unausweichliche Heiratsantrag, der den Showdown des Films darstellt, findet aber in der idyllischen Kulisse von Shuozhou, dem "Venedig Chinas", statt. Denn in der Volksrepublik China suchen die Hongkong-Regisseure nun nach dem Publikum, das ihnen in ihrer eigenen Stadt verloren gegangen ist. Darum sprechen die Protagonisten in dem Film auch das in der Volksrepublik übliche Mandarin statt dem in Hongkong geläufigeren Dialekt Kantonesisch.

Zensur passieren

Chris Berry, Filmwissenschaftler von der University of London und Experte für chinesisches Kino, beschreibt den Trend so: "Filmproduktionen für den lokalen Markt in Hongkong sind nur noch Low-Budget-Produktionen, wenn man von den Filmen Johnny Tos absieht. Das Kapital wandert in die Volksrepublik China ab, und es hat finanziell wenig Sinn, in Hongkong zu drehen, wo alles so teuer ist." Bei den Koproduktionen zwischen Hongkong und dem Festland der letzten Jahre vermisst er die Schärfe, die die Filme aus Hongkong einst so ausgezeichnet hat: "Diese Filme gehen weniger Risiken ein, weil sie durch die chinesische Zensur müssen."

In "Mainland China" sind viele der bevorzugten Themen des Hongkong-Kinos tabu: Korrupte Polizisten wie in dem Hongkong-Klassiker "Infernal Affairs" oder die chinesische Mafia der Triaden, die in Filme wie "Election" die Strippen in der Stadt zu ziehen scheinen, könnten als Metaphern für die chinesische Regierung verstanden werden. Auch die extreme Gewalttätigkeit, die Filme von Regisseuren wie Johnny To, Ringo Lam oder Wai Ka-Fai prägt, kommt im kommunistischen China nicht gut an.

Die "Category III" der nichtjugendfreien Filme, die einst einen guten Teil der Low-Budget-Produktionen aus Hongkong ausmachten, ist vollkommen aus dem Repertoire verschwunden. Horror- und Geisterfilme sind auf den Festland als Werbung für "feudalistischen Aberglauben" verpönt. Und auch an Themen wie Prostitution und Drogenhandel wagt sich kaum noch ein Regisseur.

Doch vor allem die Filme über die einzigartige Stadtkultur von Hongkong sind es, deren Verschwinden die einstigen Anhänger dieses Kinos schmerzt. Ein Film wie Pang Ho-Cheungs "Dream Home" von 2009 würde beim chinesischen Zensor wohl wenig Gnade finden: In der schwarze Komödie über den hysterischen Immobilienmarkt Hongkongs wird eine Bankangestellte zur Mörderin, um eins der begehrten Apartments mit Seeblick in einem neuen Hochhaus zu ergattern.

Bis in die 90er Jahre hinein spielte das internationale, vor allem das Hollywood-Kino auf dem Filmmarkt Hongkongs keine Rolle. Die lokalen Produktionen füllten die Kinos, bis die amerikanischen Studios begannen, aggressiv die asiatischen Märkte anzugehen. Erst mit Special-Effects-trächtigen Filmen wie "Jurassic Park" und "Titanic", mit deren production values Hongkong-Filme schlicht nicht mithalten konnten, gelang es Hollywood, den Filmmarkt der Stadt zu knacken. Wenn man in der Statistik nachsieht, welche Filme in Hongkong im vergangenen Jahr am erfolgreichsten waren, findet man dort dieselben Titel wie überall auf der Welt: "Transformers", "Avatar", "Toy Story 3", "Harry Potter" und "Chronicles of Narnia".

Dabei hatte Hongkong einst eine der stabilsten Filmindustrien der Welt. Während des Zweiten Weltkriegs ließen sich chinesische Filmemacher hier nieder, die einst in Schanghai - in den 30er Jahren das "Hollywood Asiens" - gearbeitet hatten. Die Kapitalflucht aus China, wo Bürgerkrieg herrschte, half beim Entstehen einer Filmindustrie, die in den nächsten Jahrzehnten die Chinatowns in der ganzen Welt belieferte.

1965 wurden in der britischen Kronkolonie 235 Filme produziert, mehr als in Deutschland und Frankreich zusammen. Zu dieser Zeit dominierten große Filmstudios wie Shaw Brothers und Cathay die Filmindustrie Hongkongs. Mit einem großen Stab drehten sie in eigenen Studios monatlich mehrere Neuproduktionen.

Während viele nationale Filmindustrien in Asien, aber auch im Westen in den 70er Jahren in die Krise gerieten, wurden in Hongkong jährlich über hundert Filme gemacht. Noch in den Boomjahren Anfang der 90er wurden in Hongkong pro Jahr fast 250 Filme fertiggestellt, etwa so viel wie in Japan, einem Land, das 20-mal so viele Einwohner hat wie Hongkong. Im vergangenen Jahr kamen gerade noch 50 neuen Filme aus Hongkong. Bis Anfang des neuen Jahrtausends wurden in so gut wie jedem Jahr der Nachkriegszeit in Hongkong mehr Filme gedreht als in China.

Postkolonialer Kampf

Die Filme, für die Hongkong in den 60er und 70er Jahre berühmt wurde, waren natürlich die Kung-Fu-Filme, die mit Bruce Lee einen Star hervorbrachten, der von Asien bis in die schwarzen Ghettos der USA als Identifikationsfigur im postkolonialen Kampf gegen den weißen Mann verstanden wurde. In der Folge wurden auch viele andere der "Chop-Sokey"-Filme weltweit erfolgreich vertrieben, in Westdeutschland wurden einige der berühmtesten Martial-Arts-Filme sogar im Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten synchronisiert und im Spätprogramm gezeigt. Mit Jackie Chan brachte das Hongkong-Kino in den 80er-Jahren seinen zweiten Weltstar hervor.

Ende der 80er Jahren kamen aus Hongkong harte Gangsterfilme von Regisseuren wie John Woo, etwa "The Killer" (1988), deren stilisiertes "Gun-Play" in Zeitlupe unter Cineasten in der ganzen Welt für Begeisterung sorgte. Woo und einige anderen der führenden Regisseure dieser Zeit wurden kurzzeitig sogar in Hollywood hofiert: Woo drehte unter anderem "Face/Off" (1997) und einen der "Mission Impossible"-Filme in den USA, bevor er in seine Heimat zurückkehrte und 2008 mit "Red Cliff" eine der ersten Big-Budget-Koproduktionen zwischen Hongkong und China inszenierte. Das mag nicht zuletzt daran gelegen haben, dass zu dieser Zeit amerikanische Filme wie "Kill Bill" (2003) oder die "Matrix"-Trilogie begannen, sich der kinematischen Kampftechniken und -tricks zu bedienen, die in Hongkong-Martial-Arts-Filmen seit den 60er Jahren entwickelt worden waren.

Hongkong-Arthouse

Mit Regisseuren wie Wong Kar-Wai und Fruit Chan entwickelte sich in Hongkong zudem ein eigenes Arthouse-Kino, das weltweit ein breites Publikum fand. Doch im Jahr 2011 scheinen die Zeiten lange vorbei, als Filme wie "In the Mood for Love" (2000), "Happy Together" (1997) oder "Comrades: Almost A Love Story" (1996) bei Filmfestivals Preise abräumten. Das internationale Interesse hat sich nach China verlagert, und die meisten Produzenten in Hongkong verlassen sich heute lieber auf sichere Stoffe, etwa auf Martial-Arts-Historiendramen wie "Ip Man" (2008), "Bodyguards and Assassins" (2009) oder "Legend of the Fist" (2010), die oft an einen vagen panchinesischen Nationalismus appellieren.

Andererseits haben einige der wichtigsten Filmemacher einfach aufgehört, Filme zu drehen: Von Wong Kar-Wai war seit seiner ersten US-Produktion "My Blueberry Nights" (2007) nichts mehr zu hören. Stephen Chow, der mit seinem typisch Hongkonger Nonsense-Humor in "Shaolin Soccer" (2001) und "Kung Fu Hustle" (2004) kurzzeitig sogar in deutschen Multiplex-Kinos reüssierte, hüllt sich nach seiner gefloppten, überambitionierten Sozialkomödie "CJ7" (2008) ebenfalls in Schweigen. Und Jackie Chan, der einzige lebende Weltstar aus Hongkong, ist zu alt für die atemberaubenden Stunts, mit denen er berühmt geworden ist.

Filmkritiker Perry Lam fasst die Situation voller Enttäuschung so zusammen: "Was heute im Kino Hongkongs passiert, ist mehr als nur der dramatische Verlust seiner Qualität oder seiner Vermögens, die Leute ins Kino zu locken. Den Filmen der Gegenwart ist ihr spezieller Hongkong-Bezug mit chirurgischer Präzision entfernt worden."

Man könnte die Situation auch anders beurteilen: Im chinesischen Kino hält wieder der einstige Normalzustand Einzug, der bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs herrschte. Man produziert für einen transnationalen, panchinesischen Markt Filme, die sowohl in China als auch in der Chinatown San Franciscos ankommen - und das in der Regel eher auf dem Festland als in Hongkong.

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