Gegen die Lügen der Werbeabteilungen: Dokumentation statt Public Relation

Der kritische Konsument rettet nicht einen einzigen Wal. Da helfen nur Intervention und Aktivismus. Das bezeugen drei aktuelle Tier- und Umweltschutzdokumentationen im Kino.

Delfine, die in die Bucht von Taiji getrieben werden. Bild: © OPS 2008

Als die Schimpansenforscherin Jane Goodall Anfang der Neunzigerjahre zu Gast an der FU in Berlin war, begann sie ihre Vorträge immer mit zwei Fotos. Das erste zeigte den Berg in Tansania, der mitten im Schimpansengebiet liegt, im Zustand bei ihrer Ankunft in den Sechzigerjahren: als dicht zugewachsenen Urwald. Das zweite zeigte denselben Berg zwanzig Jahre später, einen kargen, gerupften Hügel, auf dem nur noch ein paar Bäume einsam verdorrten.

Die Frage, wie man dem Problem der fortschreitenden Abholzung der tropischen Wälder begegnen solle, beantwortete Goodall damals für sich mit einer kommunikativen Strategie. Für sie sei es - auch wegen ihrer Prominenz - ein gangbarer Weg, das direkte Gespräch mit den Unternehmen zu suchen und den dort Verantwortlichen die Sachlage nahezubringen, sagte sie damals. Eine Zeitlang schien das tatsächlich eine Möglichkeit zu sein, den Raubbau an den Urwäldern zumindest in den Blick der Planungsstrategen der Konsortien und Konzerne zu bringen, die vom Kongo-Becken bis nach Amazonien den Kahlschlag der letzten Urwälder organisieren. Allein es half nichts. Alle Zahlen sagen, dass der Raubbau mit unverminderter Geschwindigkeit weitergeht und die großen Unternehmen das Problem, anstatt es in ihre Planungen aufzunehmen, an ihre Werbeabteilungen weitergegeben haben.

Man werde die Öffnung Amazoniens für die industrielle Nutzung der Wald- und Wasserressourcen "mit totalem Respekt der Umwelt gegenüber" durchführen, heißt es etwa in einem Werbefilm der brasilianischen Regierung. Zu sehen ist der Spot des brasilianischen Fernsehens in dem gerade angelaufenen Dokumentarfilm "Eine andere Welt ist möglich - Kampf um Amazonien" von Martin Keßler. Keßlers Dokumentation steht mit zwei anderen Filmen - Louie Psyihoyos "Die Bucht" und Daniele Griecos "The Last Giants - Wenn das Meer stirbt" -, die in diesem Herbst in die Kinos gekommen sind, für eine Variante der Darstellung des Problems, die keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass direkte Interventionen notwendig sind. Das tun die drei Filme auf sehr unterschiedliche Weise.

Am radikalsten geschieht es mit Sicherheit in "Die Bucht" - der Film selbst stellt schon eine Intervention dar. Eher konventionell im Sinn einer klassisch aufklärerischen Haltung verfolgt Keßler die Konflikte um die geplante Errichtung des größten Staudammes am Fluss Xingu im Amazonasgebiet. Er lässt alle Parteien, den planenden Stromkonzern, die brasilianische Regierung und ihre indigenen Widersacher, zu Wort kommen, ergreift aber eindeutig Partei.

Partei ist auch Daniele Grieco, nämlich auf der Seite der Schweizer Tierschützerin Katharina Heyer. "The Last Giants" dreht sich um die Arbeit der Walschützerin Heyer in der Straße von Gibraltar. Dabei besteht die Intervention in diesem Fall schon in der Hauptperson: Nur weil Heyer vor zehn Jahren begann die Wale in der Straße von Gibraltar zu erforschen, gibt es sie überhaupt als Problem. Vorher hat niemand davon gewusst, weil keiner der an der Meeresenge Ansässigen und Arbeitenden etwas wahrgenommen hat. Daraus ergibt sich eine allgemeine Schwierigkeit für alle angesprochenen Filme: Interventionen sind immer problematisch, weil sie von außen kommen.

Interventionen brechen immer in bestehende Zusammenhänge ein und sind deshalb in der Regel notwendig rücksichtslos gegen den normal laufenden Prozess. Das ist in der Psychotherapie nicht anders als in der Politik. Oder wie hier: im parteiergreifenden Umweltschutz. Und es wird besonders schwierig, wenn der Akt des Filmemachens sozusagen selbst zur Barrikade wird, wie es in "Die Bucht" der Fall ist.

Der Film will den massenhaften Fang von Delfinen im japanischen Küstenort Taiji dokumentieren. Dort werden jedes Jahr zyklisch Hunderte von Delfinen zusammengetrieben, um die besten Tiere lebendig an die aus aller Welt kommenden Delfinarienbesitzer und Delfintrainer zu verkaufen. Da aber nicht alle Delfine für das Showgeschäft taugen und immer wesentlich mehr als benötigt gefangen werden, wird der Rest geschlachtet und als Nahrungsmittel verkauft. Der ganze Vorgang ist einigermaßen schrecklich und war selbst in Japan weitgehend unbekannt.

Herausgefunden hat den Skandal Ric OBarry, der einstmals als Berater der Fernsehserie "Flipper" der berühmteste Delfintrainer der Welt war. Mit "Flipper" hat OBarry selbst aber wesentlich mit dazu beigetragen, dass Delfinshows zu einem Milliardengeschäft geworden sind. Weil er durch zwei einschneidende Erlebnisse, die Erkenntnis, dass Delfine sich im Spiegel erkennen und dass sie Selbstmord begehen können, die Tiere als unserer Empfindungsapparatur nahestehend fand, wurde er zum Gegner der Shows und Delfinschützer. Das tut er in demselben hochenergetischen Aktionismus, der ihn einst als Flippertrainer auszeichnete. Und weil er sich im amerikanischen Showgeschäft auskennt, kann er auch zusammen mit dem Team um Psihoyos sich genau der filmischen Mechanismen bedienen, die die Delfinshows auch auszeichnen. Sie werden hier nur in der Zielrichtung verkehrt. Und das Ziel ist eindeutig: Dokumentation und damit in der Folge Verhinderung des Delfinfangs in Taiji.

Das ist dem Film in jeder Beziehung gelungen, denn nach dem Erfolg der Dokumentation hat die japanische Regierung erst einmal das Fangszenario eingestellt. Die Durchführung dieser Aktion erfolgte in denkbar größter Rücksichtslosigkeit gegenüber den Fischern von Taiji und den lokalen Arbeitszusammenhängen. Der geschätzte Kollege Bert Rebhandl hat das in seiner Kritik zu "Die Bucht" deutlich gesehen und dem Film angekreidet, dem fiktionalen Kino näher als der dokumentarischen Erforschung komplexer Umstände zu stehen.

Das stimmt zwar, aber Komplexität ist in diesem Fall kein hilfreicher Begriff für den Schritt zur Tat. Rebhandl stellt zum Beispiel den japanischen Delfin- und Walfang (Delfine gehören zu den Walen) in die agrarische Tradition Japans und erklärt damit Walfleisch zu einer Nahrung, die wie Fisch schon immer zum japanischen Leben gehörte. Das ist falsch. Walfleisch wird in Japan erst nach dem Zweiten Weltkrieg nennenswert verzehrt und dann auch nur in hochpreisigen Delikatesslagen.

Der Walfang Japans entspringt nicht der agrarischen Tradition, sondern industrieller Expansion auf den Meeren in der Folge der verlorenen Krieges. Irgendwo mussten die unbrauchbar gewordenen, im Krieg erworbenen Kenntnisse der Meeresnutzung genutzt werden. Schon die Methoden, mit denen die Fischer in Taiji die Delfine in die Bucht treiben, haben überhaupt nichts mit Tradition zu tun. Sie sind der modernen Forschung an Delfinen, die seit 1938 auch immer wieder im militärischen Kontext erfolgte, entnommen. Die Fischer treiben die Tiere mit unter Wasser geleitetem Krach in die Bucht, und dass das geht, weiß man erst, seit es Forschungen zum komplexen Lautsystem der Gehörtiere gibt. OBarry weiß um diese Sensibilitäten der Tier und zieht sozusagen die Reißleine, in dem er sagt, wenn sie so empfindlich sind, müssen wir sie in Ruhe lassen, wofür er dann kämpft.

Und damit ist man auch gleich bei Katharina Heyer und Gibraltar. Es ist nämlich der Krach von Containerschiffen und Frachtern, der in einem der wichtigsten Verkehrswege zwischen Atlantik und Mittelmeerraum Delfine und Wale zunehmend irritiert und sich in Schiffsschrauben oder an Land verirren lässt. Die Intervention Heyers setzt hier an und läuft darauf hinaus, eine Klinik für verwundete Wale und Delfine errichten zu wollen. Ihre Bemühungen darum sind hartnäckig, aber im Verhältnis zu OBarry unspektakulär. Rücksichtslos gegenüber den sogenannten Traditionen um Gibraltar bleibt sie aber trotzdem, einfach weil sie eines Problem kreiert, indem sie es entdeckt.

In ein neues Verhältnis zu Traditionen wird man sich auch im Fall des geplanten Superstaudamms am Amazonas setzen müssen. Denn die Folgen von Superstaudämmen für Umwelt und Bevölkerung sind aus ihrer Geschichte genauso bekannt, wie die Lebensraum vernichtende Wirkung der Öffnung Amazoniens für Rohstoffabbau und Agrarindustrie. Auch hier wird man nicht um Interventionen herumkommen, wenn man die absehbaren Schäden vermeiden will. In Amazonien aber kann der lokale Protest nur wirksam sein, wenn er den universellen Charakter seines Gegenstands, die Erhaltung sauberen Wassers und sauberer Luft, gegen den regierungsseitigen "totalen Respekt gegenüber der Umwelt" in Stellung bringt. Welche Mobilisierungen dafür notwendig sind, davon erzählt Keßler in seinem Film. Ohne Interventionen, daran lässt er keinen Zweifel, wird es nicht gehen; dass sie aber so einfach sein könnten wie in "Die Bucht" oder in der Straße von Gibraltar, kann er auch nicht behaupten. Die Intervention, die Keßlers Film darstellt, hilft aber bei der Entscheidungsfindung im Umgang mit den Umwelten: Ohne Bruch mit den Traditionen geht es nicht, auch im Dokumentarfilm selbst nicht. Der Versuch, im Film selbst so etwas wie ein interventionistisches Element einzuführen, macht alle drei Filme sehenswert. Und sehenswert sind sie auch, weil sie den modischen Glauben, durch richtiges Einkaufen könne man die Wale und überhaupt die Umwelt retten, komplett desavouieren. Es muss sich schon etwas mehr bewegen als der sogenannte Konsument, um einem Übel zu Leibe zu rücken. Das ist die gute Nachricht dieser Dokumentationen.

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