Europäischer Filmpreis: Familientreffen in Bochum

Familientreffen bei der Preisverleihung in Bochum: Ausgezeichnet wurden unter anderem Michael Haneke, Kate Winslet, Ken Loach und Isabelle Huppert. Überraschungen blieben aus.

Kate Winslet (hier bei der Berlinale) erhielt abermals eine Auszeichnung für ihre Rolle der "Hanna Schmitz". Bild: reuters

Es hätte die Eröffnungsszene eines Werbefilms sein können. Während im feuerrot erleuchteten Hintergrund die Sirenen der Metallindustrie tönten, fuhren zweihundert Meter weiter Limousinen am roten Teppich vor und entließen Promis in die Glasarchitektur der Bochumer Jahrhunderthalle.

Die Verleihung des Europäischen Filmpreises stand an und diese ist vier Wochen, bevor das Revier endgültig in sein Jahr als Kulturhauptstadt startet, auch eine kleine Generalprobe für die hoch verschuldete ehemalige Industrieregion.

Der Ort der Zeremonie wurde dabei mit Bedacht gewählt. Die Jahrhunderthalle ist ein ehemaliges Stahlwerk und wird heute repräsentativ für Theater und Empfänge genutzt. "Ich habe gemischte Gefühle, diesen Preis in einer ehemaligen Fabrik entgegenzunehmen," erzählte der Brite Ken Loach.

"Das weiße Band": Michael Hanekes Filmdrama über die mysteriösen Geschehnisse in einem norddeutschen Dorf am Vorabend des Ersten Weltkrieges wurde in Bochum gleich dreimal ausgezeichnet. So heimste der Österreicher nicht nur den Europäischen Filmpreis für den besten Film 2009 ein, sondern wurde zugleich auch als bester Regisseur und bester Drehbuchautor geehrt.

"Slumdog Millionaire": Danny Boyles Überraschungserfolg erhielt den Publikumspreis.

"Der Vorleser": Als beste Schauspielerin wurde Kate Winslet für ihre Rolle der KZ-Aufseherin Hanna Schmitz ausgezeichnet.

"Un prophète": Taher Rahim wurde als bester Schauspieler für die Rolle des Malik in Jacques Audiards Gefängnisdrama ausgezeichnet

Ehrenpreisträger: Für ihr Lebenswerk wurden der englische Filmemacher Ken Loach und die französische Schauspielerin Isabelle Huppert gekürt.

In Bochum wurde Loach für sein Lebenswerk geehrt. Nach der Preisverleihung fügte er hinzu: "In Großbritannien haben wir keine guten Erfahrungen mit der Deindustrialisierung gemacht, aber das Thema ist zu wichtig für Soundbites." Für die Soundbites waren dann auch andere zuständig.

Schon bevor die Verleihung offiziell begann, standen die Grußformeln im Zeichen der Kulturhauptstadt. Wim Wenders erinnerte an seine Jugend, als er die Schule schwänzte, um die Oberhausener Kurzfilmtage zu besuchen. Der gebürtige Essener Dieter Gorny zitierte das Motto von Ruhr 2010: "Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel", um im Anschluss die Wichtigkeit der Kreativindustrien, für deren Förderung er im Kulturhauptstadtjahr verantwortlich ist, zu betonen. Und die zeitgleich ebenfalls ihren ersten Test bestehen mussten.

In Unna fand parallel eine Meisterklasse der European Film Academy in einem ehemaligen Auffanglager statt, das zukünftig als Standort für Kreativbetriebe dienen soll. Trotz der bedeutungsschwangeren Umgebung war die Preisverleihung dann aber doch überraschend kurzweilig. Das lag nicht zuletzt auch an Moderatorin Anke Engelke, die die Abwesenheit von Preisträgerin Kate Winslet als beste Schauspielerin dadurch überspielte, dass sie ein leeres Sofa interviewte.

Ohnehin stand der Abend eindeutig im Zeichen des österreichischen Regisseurs Michael Haneke, der für "Das weiße Band" Auszeichnungen als bester Film, bestes Drehbuch und beste Regie entgegennehmen durfte. Sein Abonnement am Rednerpult wurde ihm nur von Danny Boyle streitig gemacht, dessen "Slumdog Millionaire" sowohl den Publikumspreis als auch den Award für die beste Kameraarbeit zugesprochen bekam.

Dass beide Filme in Cannes und bei den Oscars schon zu den Preisträgern gehörten, dürfte dabei nicht weiter schädlich gewesen sein, die Auszeichnungen der Jury bewiesen selten Mut zum Experiment.

Auch "Katalin Varga", das Debüt des englischen Regisseurs Peter Strickland, hatte bereits auf der Berlinale den silbernen Bären gehalten, bevor er in Bochum als "European Film Academy Discovery 2009" ausgezeichnet wurde.

Der Preis für Tahar Ramin, der in "A Prophet" einen Gefangenen spielt, der im Knast zum Boss einer Gang aufsteigt, war dann im Gegenzug aber notwendig, um eine Enttäuschung zu verhindern, denn der Film des französischen Regisseurs Jacques Audiard war als Favorit in den Abend gegangen.

Den zum ersten Mal vergebenenPreis für den besten Animationsfilm gewann die französische Produktion "Mia et le Migou". In diesem Genre lässt sich der routiniert vorgetragenen Klage über die Dominanz des US-Kinos gegenüber Europa eine gewisse Berechtigung nicht absprechen. Über weite Teile der Veranstaltung wirkte sie jedoch wie ein Tribut an die Gastgeber.

"Kino ist eine europäische Sprache," erklärte Isabelle Huppert in ihrer Dankesrede für den "Lifetime Award" und Ken Loach forderte protektionistische Maßnahmen zum Schutz des europäischen Films. Wirklich erregen vermochte sich darüber jedoch niemand und nach zwei Stunden Festakt verlief auch der Rest des Abends eher gemütlich. Nur mit dem einsetzenden Schneefall hatte niemand gerechnet.

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