Grimme-Preis für Dokufilmer aus Bangladesch: "So nah ran wie es geht"

Der Regisseur Shaheen Dill-Riaz über Flut, Armut, Ausbeutung und orthodoxen Islam in seinen Filme aus Bangladesch und was ihm der Grimme-Preis 2010 bedeutet.

"Ich versuche immer neue Blickwinkel zu entdecken." Bild: Lemme Film

taz: Herr Dill-Riaz, warum sollte sich ein deutsches Publikum für Filme aus Bangladesch interessieren?

Shaheen Dill-Riaz: Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen sich grundsätzlich für andere Menschen interessieren, egal in welchem Land sie leben. Meine Filme zeigen Geschichten, die über Bangladesch hinaus Relevanz haben. Es geht um Themen, die auch in Deutschland interessieren.

In Ihren Filmen geht es um Flut und Armut, um Ausbeutung und den orthodoxen Islam. Sind sie interessant, weil sie genau von den Klischees erzählen, die es in Deutschland über Bangladesch gibt?

Shaheen Dill-Riaz wurde 1969 in Dhaka, Bangladesh, geboren. Seit 18 Jahren lebt er in Deutschland und hat an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam studiert.

In seinem ersten Film "Sand und Wasser" widmete sich Dill-Riaz den nomadischen Bewohnern von Inseln im Brahmaputra.

"Die glücklichsten Menschen der Welt" untersuchte 2005 in vier Porträts ein Umfragenergebnis, demzufolge Bangladeshis weltweit am glücklichsten sind.

"Eisenfresser" (2007) zeigt die Arbeit auf einer Abwrackwerft in Südbangladesh, wo Schiffe aus Industrieländern zerlegt werden.

Dill-Riaz' neuester Film "Korankinder" (2009) erzählt von Kindern, die in Koranschulen aufwachsen.

Für mich existieren diese Themen auch reell. Aber es gibt durchaus die Gefahr, dass man mit Filmen darüber Klischees bedient. Ich versuche deshalb neue Blickwinkel zu entdecken und differenziertere Ansichten zu transportieren. Bei "Eisenfresser" brauchte ich selbst zwei Monate um die Zusammenhänge zwischen Arbeiter, Vorarbeiter und Firmenbesitzer zu verstehen und war überrascht was für ein globaler Druck sich dort auf der Werft entlädt. Dort trifft eine globale Marktwirtschaft auf Arbeiter am Rande der Existenz. Die Ausbeutung ist vorprogrammiert. Gleichzeitig haben die Arbeiter selbst ein sehr fragwürdiges, fatalistisches Weltbild.

Sie werden aber immer wieder genau auf die Klischees angesprochen, die sie aufbrechen möchten. Fühlen Sie sich missverstanden?

Nein, die meisten Zuschauer sagen, dass sie mit einem differenzierterem Bild aus dem Kinosaal kommen. Es gibt trotzdem genügend Leute, die in meinen Filmen nur die Klischees über Bangladesch wiederfinden.

Sie leben inzwischen seit 18 Jahren in Deutschland. Hat sich ihr Blick auf Bangladesch geändert?

Ja, ich bin distanzierter geworden, die Geschichten gehen mir nicht mehr so Nahe und ich sehe sie in anderen Zusammenhängen. Gleichzeitig kann ich mich dort frei bewegen. Dadurch komme ich besonders nahe an die Menschen heran, kann aber auch relevante Fragen stellen, die sonst nicht gefragt werden. Auf der Werft zum Beispiel, wurde mir klar, dass sowohl die Arbeiter als auch die Vorarbeiter sich gegenseitig überfordern. Die Arbeiter sind Bauern, die in ein industrielles Milieu eintauchen und es nicht verstehen. Genauso verstehen die Vorarbeiter ihre Untergebenen nicht.

Wie kommen Ihre Filme in Bangladesch an?

Leider zu wenig. Dort gibt es weder bei den Verleihen noch bei den Kinobetreibern Interesse an Dokumentarfilmen. Allerdings ist "Eisenfresser" in einem Prozess gegen die Schiffabwrackindustrie eingesetzt worden, soweit ich weiß hat ihn sogar der Richter im Obergericht angeschaut. Daraufhin mussten alle Werften, die kein Umweltzertifikat hatten, vorübergehend schließen. Darauf war ich richtig stolz, da es zeigt, das die Filme nicht nur für ein deutsches Fernsehpublikum interessant sind.

Ihre Filme sind für das Kino gedreht, werden aber vor allem im Fernsehen gezeigt. Der aktuelle Grimme-Preis für "Eisenfresser" ist auch ein Fernsehpreis. Sind Sie nun Kinoregisseur oder Fernsehregisseur?

Meine Filme müssen bestimmen wohin ich gehöre. Aus wirtschaftlichen Gründen muss ich aber sowohl das Fernsehen als auch das Kino bedienen. Im Falle von "Eisenfresser" haben sich drei Sender und etliche Filmförderungen beteiligt. Wir hatten das Ziel einen Kinofilm zu produzieren, der auch im Fernsehen funktioniert. Die Würdigung mit dem Grimme Preis beweist für mich, dass diese ästhetische Herausforderung gelungen ist.

Ihr neuestes Projekt ist ein Dokumentarfilm zum Klimawandel "The Drowning World". Worum geht es da, außer das Bangladesch bald im Meer untergehen soll?

Ich möchte die Geschichten der Menschen erzählen, die besonders betroffen sind. In Südbangladesch versalzen die Flüsse durch den steigenden Meeresspiegel, im Norden werden Dürren und Überflutungen heftiger. Es gibt eine massive Landflucht, die sich auch internationale Auswirkungen hat: Viele Menschen wandern aus, in den Bergregionen besetzen Bengalen das Land der dort wohnenden Ethnien, mit Myanmar gibt es Streit über die Flüchtlinge, die keiner der beiden Staaten als Bürger akzeptieren will. Auch hier möchte ich so nah an die Betroffenen heran, wie es geht.

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