Doku über RAF-Anwälte: Im Bann der Väter

Der Dokumentarfilm "Die Anwälte - eine deutsche Geschichte" folgt den Lebenswegen Otto Schilys, Hans-Christian Ströbeles und Horst Mahlers. Von links nach rechts und weiter.

So kommen sie nicht mehr zusammen: Hans-Christian Ströbele, Horst Mahler und Otto Schily, 1973. Bild: dpa

Christian Ströbele schaut in die Kamera. Er ist 70 Jahre alt, hat schlohweißes Haar, und diese Geschichte wird er nie vergessen. Er war ein kleiner Junge, der mit seinen Kameraden spielte. Sie hantierten mit Munition und Granaten. Einmal ging er kurz ins Haus, dann gab es einen Knall. Alle seine Freunde waren tot, zerrissen von der explodierenden Granate.

Es gibt in den Kindheiten der 70-Jährigen viel Tod. Überleben war im Gewaltorkan des Krieges Zufall. Und irgendwann musste diese verdrängte Gewalt in die sterile, friedliche, vergessliche Bundesrepublik zurückkehren. Auch davon erzählt "Die Anwälte", ein skizzenhaftes Biopic über Horst Mahler, Otto Schily und Hans-Christian Ströbele.

Das Erstaunlichste an diesem Film ist, dass es ihn gibt. Das allein ist schon ein Verdienst der Regisseurin Birgit Schulz. Denn es ist lange her, dass diese drei Figuren etwas verband. Vor 40 Jahren waren alle drei aufstrebende Anwälte in Westberlin. Sie waren Anfang 30 und auf Seiten der Studentenbewegung. Der 2. Juni 1967 war das Schlüsseldatum. Der Tod von Benno Ohnesorg, sagt Ströbele, hat "mich politisiert". Otto Schily war 1967 ein forsch auftretender, gut gekleideter Anwalt mit schlankem, fast asketischen Antlitz. Der Kurras-Prozess war sein erstes politisches Verfahren und der Beginn seiner Karriere als Staranwalt in Politprozessen. Horst Mahler sieht man, mit dicker Hornbrille ausgestattet, in flimmernden TV-Bildern 1967 beim SDS, der versucht zu klären, warum Ohnesorg starb.

"Mit Ströbele habe ich mich gesiezt, aber wir waren befreundet", sagt Horst Mahler, ein netter älterer Herr mit randloser Brille und sonorer Stimme. Ströbele habe sich rührend um seine Familie gekümmert, als er in den 70er-Jahren als RAF-Mitglied im Knast war. Und Otto Schily brachte ihm die Gesamtausgabe von Hegel ins Gefängnis.

Heute trennen die drei Welten, Horst Mahler ist Neonazi, Otto Schily war der Law-and-Order-Minister der rot-grünen Koalition, Hans-Christian Ströbele ist noch immer ein freundlicher Linksliberaler. Die drei sind kein einziges Mal gemeinsam vor der Kamera zu sehen. Sie sitzen allein in einem leeren Gerichtssaal und erzählen von früher. Der Ort soll Atmosphäre und Geschichte vermitteln. Aber der Raum spricht nicht, und die Protagonisten wirken wie drapiert.

Ästhetisch ist "Die Anwälte" nichts Besonderes. Die Montage verschränkt zeithistorische Bilder und Fotos routiniert mit den Aussagen der drei. Die Regisseurin kommt ihren Figuren nicht nahe. Das ist kein Wunder, es sind Anwälte, Selbstdarstellung, Verschwiegenheit und Kontrollsucht gehen eine schwierige Melange ein. Heikle Punkte - Schilys Wandel vom Linksliberalen zum Stockkonservativen oder Ströbeles mehr als engagierte Verteidigung der RAF-Gefangenen - werden ausgespart.

Trotzdem ist "Die Anwälte" eine Fundgrube. Auf einem Tonband aus Stammheim etwa liefert sich Schily mit dem Vorsitzenden Richter ein theaterreifes Rede-, nein Schreiduell. Schily, der Großbürgersohn, war der raffinierteste der RAF-Anwälte. Der kluge Prozessbeobachter der FAZ, Jürgen Busche, hat mal beschrieben, warum. Schily schlug auch dem Richter gegenüber "den herrischen, herablassenden, schnarrenden Ton an, mit dem in seinem Elternhaus das Hausmädchen abgekanzelt wurde, wenn es die Treppe nicht richtig geputzt hatte".

Eine eigentümliche Spannung entsteht durch das Nebeneinander der jungen und alten Gesichter. Schily ist 77 Jahre alt, hat die gleiche Prinz-Eisenherz-Frisur wie vor 40 Jahren und das gleiche unerschütterliche Selbstbewusstsein. Ströbele wirkt als RAF-Anwalt und grüner MdB gleich: lässig gekleidet und mit einem wetterfesten Weltbild ausgerüstet. Schon als Kind, sagt er, habe ihn Unrecht aufgeregt. So blieb es.

Mahler verändert sich im Laufe der Zeit visuell am deutlichsten. In den 60ern ist er ein seriöser Wirtschaftsanwalt mit schwarzem Rolli, im Gefängnis mit Rauschebart die Karikatur eines Revolutionärs. Heute ist er 73 und wirkt seltsam juvenil.

Mahler ist das schwarze Loch in "Die Anwälte". Er war SPD-Mitglied, DDR-Sympathisant, RAF-Mitglied, der erste Renegat der RAF, Maoist, Liberaler, Deutschnationaler und Nazi. Ein Leben als Achterbahnfahrt durch die Ideologien und Totalitarismen des 20. Jahrhunderts. In dem Film sagt er über sich: "Ich habe nicht das Gefühl, dass ich von links nach rechts gegangen bin." Würde er besonnen erklären, dass die Erde eine Scheibe ist, man würde sich nicht wundern.

Vielleicht gibt es für Mahlers Zickzack keine rationale Erklärung. Schily und Ströbele fällt außer Achselzucken nichts ein. Mahlers Vater war ein fanatischer Nazi-Anhänger, der sich nach dem Krieg erschoss, weil er in einer Welt ohne Hitler nicht leben wollte. Schilys Vater war ein preußisch-strenger Bildungsbürger mit anthroposophischer Neigung. Beide, Schily und Mahler, sind ihren Vätern am Ende ihres Lebens ähnlich geworden. Wie ein Kreis, der sich schließt.

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