Doku-Anime-Film über Iran 2009: Notizen aus der Nacht

"The Green Wave" von Ali Samadi Ahadi mischt dokumentarische Aufnahmen und animierte Sequenzen, um von der Repression zu berichten.

Die Frage, die alle Beteiligten umtreibt: War die Hoffnung auf eine Demokratisierung der Islamischen Republik Iran nur eine Fata Morgana? Bild: camino

An der Leiche von Amir Jaradifar, 24 Jahre alt, fehlten Finger- und Zehennägel, als seine Mutter ihn in Empfang nehmen musste. Der junge Iraner war im Chaos nach dem usurpierten Wahlsieg von Präsident Ahmadinedschad verschwunden. Als er wieder auftauchte, war er tot und wies Spuren von Folter auf. Die Bevölkerung des Iran hatte schon 2009 auf mehr Freiheiten und eine transparentere Regierung gedrungen, sie hatte dies in großen Teilen mit der Hoffnung auf einen Sieg des Kandidaten Mussawi bei den Präsidentschaftswahlen verbunden, war dann aber am Wahltag brutal enttäuscht worden, als der bisherige Amtsinhaber Ahmadinedschad fast 70 Prozent der abgegebenen Stimmen für sich beanspruchte.

Wenige Tage später schlug sich der oberste iranische Geistliche Ali Chamenei auf die Seite der regierenden Gewalt, womit die Demokratiebewegung zu einem abrupten Stillstand kam. Sie ist nun wieder auf die Kanäle angewiesen, die ihr davor schon zur Verfügung gestanden hatten, nun aber empfindlich eingeschränkt sind.

"Die Menschen hatten gelernt, wieder miteinander zu sprechen", heißt es in Ali Samadi Ahadis Dokumentarfilm "The Green Wave", der die Geschehnisse von 2009 noch einmal Revue passieren lässt. Ein Film dieser Art, in dem Blogger ausführlich zu Wort kommen (und ihre Erlebnisse in Animationsszenen anschaulich werden), wäre im Iran gegenwärtig undenkbar. Er ist deswegen in Deutschland entstanden, wo Ali Samadi Ahadi im Exil lebt und wo es leichter ist, die vielen Stimmen zu sammeln, die im Iran nun wieder in den Untergrund gedrängt werden. Der knapp 80 Minuten lange Film stellt sich die Frage, die alle Beteiligten umtreibt: War die Hoffnung auf eine Demokratisierung der Islamischen Republik Iran nur eine Fata Morgana? Die fortschrittliche Iraner sind Enttäuschungen gewohnt, schon der Präsident Chatami trat als Hoffnungsträger an, enttäuschte aber während seiner Amtstätigkeit. Immerhin herrschte unter Ahmadinedschads Vorgänger ein kulturell offeneres Klima als heute.

"The Green Wave" dokumentiert die Aufbruchstimmung, von der viele Menschen im Wahlkampf erfasst wurden - die grüne Farbe war das Symbol der breiten Mussawi-Koalition. Man begann, Fragen zu stellen, die das Regime an entscheidender Stelle hätten treffen können: Was geschieht eigentlich mit den enormen Einnahmen aus dem Ölexport? Einen Höhepunkt von "The Green Wave" bilden die Erzählungen vom Wahltag selbst, an dem engagierte junge Leute quer durch die ganze Stadt auf den Beinen waren, bis sich schließlich buchstäblich Dunkelheit über das Land legte. In den Tagen der Auseinandersetzung nach der Wahl kam eine Gewalt zum Vorschein, die alle schockierte.

"Diese Brutalität hat nichts mehr mit dem Wahlbetrug zu tun", sagt jemand, und zu den eindringlichsten Szenen gehört die Erzählung eines Milizionärs, der seine religiöse Zuversicht ("Dieses Land ist uns vom Messias Medhi geschenkt worden") nicht mehr mit den Gewaltakten seiner Kameraden in Einklang bringen kann. Dass eine junge Frau unter Folter die Passwörter für ihren E-Mail-Account preisgeben sollte, zeugt von der erbitterten Auseinandersetzung um die letzten Freiräume, die es im Iran gegenwärtig noch gibt. "The Green Wave" appelliert schließlich sehr deutlich an die westlichen Staaten, die Frage der Menschenrechte nicht ständig hinter die Realpolitik mit einer Atommacht zurückzustellen. Man wünscht den Menschen, die hier zu Wort kommen, jede Unterstützung. Es wird dazu auch in Deutschland eine Demokratiebewegung brauchen.

"The Green Wave". Regie: Ali Samadi Ahadi. Dokumentarfilm, Deutschland 2010, 80 Min.

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